Durch Ressourcenaktivierung Coaching und Therapie effektiv gestalten
Eine Ressource, das kann alles sein, was uns gut tut: Beziehungen, Wahlmöglichkeiten oder Routinen. Vielen unserer Klient:innen und Patient:innen fällt es allerdings nicht (mehr) so leicht, Positives zu erleben oder Stärken zu nutzen. Was kannst du also tun, um Ressourcen wieder zu aktivieren? Unsere Autorinnen Miriam Deubner-Böhme und Uta Deppe-Schmitz erklären dir, warum Ressourcen im Coaching- und Therapieprozess so wichtig sind.
Bevor du den Artikel beginnst, laden wir dich zu einer Übung ein. Setze dich dafür bequem hin und schließe die Augen. Lass nun in Gedanken die letzten 60 Minuten noch einmal Revue passieren. Welche angenehmen Momente hast du erlebt? Welche positiven Gefühle waren da? Zähle nun mit deiner Hand: Finde für jeden Finger einen positiven Moment, egal wie groß oder wie klein er war. Zeichne deine Hand als Umriss auf ein Blatt Papier und schreibe die positiven Aspekte zu jedem Finger auf (Übung: „Eine Hand voll Ressourcen“ aus Deubner-Böhme & Deppe-Schmitz, 2018).
Wie ist es dir mit der kleinen Übung ergangen? Konntest du einige positive Momente erinnern? Welche dieser Momente hast du bereits als positiv wahrgenommen, als sie stattgefunden haben?
Warum wir positive Informationen oft verpassen
Positive Aspekte entgleiten uns im Alltag schnell, weil sie uns zu „normal“ erscheinen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit eher auf Informationen, die „auffällig“ sind. Dazu gehören v.a. auch negative Informationen. Dieses Phänomen wird evolutionsbiologisch erklärt: Negative Informationen weisen uns auf mögliche Gefahren hin. Sie schnell wahrzunehmen dient damit unserem Überleben.
Wenn wir beispielsweise an unsere täglichen Fahrten zur Arbeit denken, erinnern wir uns vermutlich eher an Fahrten, an denen etwas Besonderes passiert ist: die Bahn hatte Verspätung oder wir haben völlig unerwartet einen Freund getroffen. Fahrten, bei denen alles glatt gelaufen ist und wir pünktlich ins Büro gekommen sind, gehen in unserer Wahrnehmung dagegen schnell unter! Das Beispiel zeigt, dass wir viele positive Informationen im Alltag „verpassen“. Das ist schade. Denn die Wahrnehmung von positiven Aspekten ist mit positiven Gefühlen verbunden.
Wohlbefinden
Positive Aspekte im Alltag zu erkennen und damit auch positive Stimmungen und Gefühle zu erleben, ist eine wichtige Ressource für unsere Gesundheit. Wir erfüllen damit ein zentrales psychisches Grundbedürfnis: Alle Menschen streben danach, sich wohl zu fühlen! In der klinischen Psychologie wird dies als ein Streben nach einer positiven Lust-Unlust-Bilanz beschrieben. Wenn dieses Grundbedürfnis zu lange vernachlässigt oder gravierend verletzt wird, werden wir unzufrieden und krank.
Es ist also sinnvoll, die Wahrnehmung positiver Eindrücke bewusst zu trainieren, damit wir so unser Wohlbefinden stärken. Mehr Lebensqualität entsteht, wenn es uns gelingt, die vielen alltäglichen positiven Erlebnisse im Alltag, die tatsächlich da sind, auch als solche zu erkennen.
„Eine Hand voll Ressourcen“ sensibilisiert uns für positive Aspekte aus den letzten 60 Minuten. Wir beobachten bei unseren Klient:innen einen Übungseffekt: mit zunehmendem Training fällt es leichter, sich an positive Aspekte erinnern. Wir machen außerdem die Erfahrung, dass durch regelmäßiges Training mit dieser Übung auch die Sensibilität für positive Informationen im gegenwärtigen Erleben zunimmt. Positives überrascht uns vielleicht nicht sonderlich, aber wir entdecken es, wenn wir mit einem geschulten Blick danach suchen. Ein weiterer Trainingseffekt dieser Übung besteht darin, dass wir selbst aktiver werden und uns positive Erlebnisse in unserem Alltag verschaffen!
Neben dem übergeordneten psychischen Grundbedürfnis nach Wohlbefinden spielen weitere Grundbedürfnisse für unsere Gesundheit eine wichtige Rolle.
Kontrolle und Orientierung
Alle Menschen streben danach, das Leben aktiv gestalten und sich an der Umwelt orientieren zu können. Wir fühlen uns dann sicher. Beispiele für Ressourcen, die unser Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung erfüllen, sind, dass die Arbeitszeit eingegrenzt ist und wir damit abschätzen können, wann wir arbeiten und wann wir Freizeit haben. Oder Rituale, die uns durch ihren vertrauten Ablauf eine Sicherheit geben. Ressourcen, die unser Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung erfüllen, haben auch mit Freiheit zu tun: ein Spielraum, der uns ermöglicht, aktive Entscheidungen zu treffen, die dem eigenen Wohlbefinden dienen. Ein Beispiel dafür ist, innerhalb eines von außen vorgegeben Rahmens selbst zu entscheiden, wann man eine bestimmte Aufgabe erledigt. Oder eine Auswahl an Menüs in der Kantine zu haben und sich für ein bestimmtes Menü zu entscheiden. Oder selbst über seine Wochenendaktivitäten zu bestimmen. Oder sich für oder gegen einen Job zu entscheiden.
Bindung
Wir sind soziale Wesen und brauchen den Kontakt miteinander. Menschen, die sich nicht mehr in ein soziales Netz eingebunden fühlen, werden krank. Viele körperliche und psychische Erkrankungen gehen wiederum mit sozialem Rückzug einher. Eine Partnerschaft, der Kontakt zu Eltern, Geschwistern oder Freunden sind bedeutsame Ressourcen, die das Grundbedürfnis nach Bindung erfüllen können. Aber auch die erlebte Zugehörigkeit zu einem Team in der Arbeit oder zur Belegschaft der Firma, für die man arbeitet, können Ressourcen für Bindung sein und damit eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit spielen. Eine Stärkung der Verbundenheit mit anderen erfolgt über Kontakt. Ressourcenaktivierung bedeutet deswegen auch, gut im Kontakt mit anderen Menschen zu sein
Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
Lob und Anerkennung tun gut und stärken unseren Selbstwert. Wertschätzung durch andere, aber auch durch unser eigenes Verhalten zu erfahren, sind wichtige Ressourcen für unser Grundbedürfnis nach einem guten Selbstwert. Menschen werden krank, wenn sie gravierend verletzt oder gedemütigt werden oder wenn sie über längere Zeit zu wenig selbstwertdienliche Erfahrungen machen. Leider kommt im beruflichen und privaten Alltag die Kommunikation von Wertschätzung oft zu kurz! Manchmal tragen wir aber auch selbst durch ungünstige Denkmuster zu einer Abwertung unseres eigenen Selbstwerts bei, etwa wenn wir den eigenen Wert mit unserer Leistung verknüpfen. Eine Ressource kann in diesem Sinne z. B. der Gedanke sein: „Ich bin in Ordnung unabhängig von meinem beruflichen Erfolg.“
Positive Ressourcendynamik
Für unser Wohlbefinden und unsere psychische Gesundheit ist es entscheidend, dass wir unseren Blick darauf richten, unsere Grundbedürfnisse gut zu befriedigen. Eine Ressource kann alles sein, was wir als hilfreich und wertvoll erleben und was zu einer guten Befriedigung unserer körperlichen und psychischen Grundbedürfnisse beiträgt.
Wenn wir über viele Ressourcen verfügen, sind wir gesund und zufrieden. Uns fällt es leichter, weitere Ressourcen auszubauen und unseren Ressourcenschatz immer mehr anzureichern. Wir können unsere Ressourcen im Alltag gut nutzen und sie in Momenten, in denen wir sie brauchen, gezielt aktivieren. Wir kommen so in eine positive Ressourcendynamik. Befinden wir uns über längere Zeit in einer Krisensituation, wie es bei unseren Klienten oder Patienten oftmals der Fall ist, gerät unsere Bedürfnisbefriedigung in eine Schieflage und das Risiko für die Entstehung von Krankheiten steigt (Grawe, 2004). Ressourcen, die wir sonst gut nutzen können, liegen brach und werden durch Probleme und Belastungen verschüttet. Der Zugang zu unseren Ressourcen wird erschwert und wir geraten in eine negative Ressourcenabwärtsspirale.
Was bedeutet Ressourcenaktivierung für unsere tägliche Arbeit mit Klienten?
Wir unterstützen unsere Klient:innen und Patient:innen dabei, ihren Blick auf ihre vorhandenen Ressourcen zu lenken, um damit die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse zu fördern und eine Ressourcenabwärtsspirale zu stoppen bzw. eine positive Ressourcendynamik anzukurbeln. Durch das gezielte Ansprechen der Ressourcen wie z. B. bei der Übung „Eine Hand voll Ressourcen“ machen wir die vorhandenen Ressourcen sichtbar und erlebbar. Dadurch werden unsere Klient:innen in einen positiven Zustand versetzt, der ihr Wohlbefinden fördert und sie dabei auch offener für Veränderungen macht. Die Bearbeitung von Problemen in der Coaching- oder Therapiesitzung wird erleichtert. Unsere Klient:innen erleben sich als erfolgreich, was wiederum ihren Selbstwert stärkt.
Für uns Coach:innen und Therapeut:innen heißt es, die Ressourcen unserer Klient:innen immer im Blick zu haben - aber auch unsere eigenen Ressourcen nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Dann fällt es uns viel leichter, auch mit Klient:innen Möglichkeiten einer gezielten Ressourcenaktivierung zu erkennen.
Literatur:
Deubner-Böhme, M. & Deppe-Schmitz, U. (2018). Coaching mit Ressourcenaktivierung. Ein Leitfaden für Coaches, Berater und Trainer. Göttingen: Hogrefe.
Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.