Gruppentherapie wagen?

Angst vor schwierigen Gruppensituationen, organisatorische Probleme – und die Patienten sind auch nicht immer direkt aus dem Häuschen, wenn sie das Wort „Gruppentherapie“ hören. Unser Autor Frank Wendrich hat es dennoch gewagt. Gemeinsam mit seinem Gruppensupervisor Arno Remmers erklärt er, worin die Herausforderungen liegen, wenn man eine Therapiegruppe starten möchte, und warum es sich dennoch lohnt. 

Ich hab’s gewagt

Ich gestehe, ich habe mir den Start einfacher vorgestellt. Meine Warteliste für die Einzeltherapie war riesig und ich dachte: „Prima, ich starte mit der Gruppenbehandlung, dann helfe ich gleich vielen Patienten auf einmal“. 
Nur, die wollten sich erstmal nicht helfen lassen. Schon wenn ich nur das Wort Gruppentherapie in der Sprechstunde aussprach, folgte meist ein „das ist nichts für mich“.

Ich springe mal in die Gegenwart; Ich habe inzwischen drei gut gefüllte Therapiegruppen und für jede der Gruppen eine lange Warteliste. Ich bin begeistert über die Wirkung der Gruppentherapie und erfreue mich an der Abwechslung im therapeutischen Alltag. Dazwischen lag ein zweijähriger Weg, bei dem ich jede Supervisionsstunde gut gebrauchen konnte. Diesen Weg, mit all seinen Stolpersteinen, von der Entscheidung bis zum Start der Gruppe, stellen wir im Folgenden aus den Rollen Therapeut (Frank Wendrich) und Supervisor (Arno Remmers) dar.

Es braucht eine etwas andere Einstellung und eine gute Organisation für Gruppen.

Warum so schwer?

Ich habe den Eindruck, dass ich weit und breit der einzige Therapeut mit Gruppentherapie bin. In der „Werbung“ für die BARGRU-Studie (Barrieren bei GruppenpsychotherapeutInnen gegenüber der ambulanten GrPT für die GKV) steht: „In Deutschland sind etwa 8.500 PsychotherapeutInnen zur ambulanten Gruppenpsychotherapie im KV-System zugelassen. Derzeit bieten jedoch nur etwa 300 PsychotherapeutInnen Gruppenpsychotherapie (GrPT) nach den Psychotherapie-Richtlinien an. Also realisieren 95% der zur GrPT Zugelassenen keine GrPT-Indikation“ (Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung e.V., 02.01.2019).


Herr Remmers, warum bieten eigentlich so wenige Therapeuten Gruppentherapie an?

Das ist auch historisch begründet: Der Aufwand für jede Gruppenstunde ist höher als für Einzeltherapie, doch die Vergütung war früher nicht besser. Das hat sich erst vor kurzem deutlich geändert, seit die Einsicht in die starke Wirkung von Gruppen – aus stationären Behandlungen bekannt – auch bei den Verantwortlichen für die ambulante Versorgung kam. In der Vergangenheit hatte ich eine Kollegin in der Intervision, die in ihrer Praxis noch unter den alten Vergütungsbedingungen nur Gruppentherapie anbot und damit sehr zufrieden war. Es braucht eine etwas andere Einstellung und eine gute Organisation für Gruppen. Das haben Sie ja auch in Ihrer Praxis erlebt. Viel einfacher wird es, wenn ein Sekretariat existiert, dann kann der organisatorische Teil besser von der therapeutischen Rolle getrennt werden.

Das kann doch nicht alles sein, was so viele daran hindert, die mittlerweile auch finanziell lukrative Therapieform zu nutzen?

Ja, emotional ist die ambulante Gruppentherapie erst einmal eine Herausforderung: Moderator einer Gruppe zu sein, dieser emotional ausgeliefert, scheinbar weniger einflussreich und bedeutsam zu sein, denn die Gruppe „macht“ die Therapie und wirkt. Das ist nicht mehr wie in der Einzelbegegnung das Gefühl von „ich wirke“. In der Ausbildungszeit, in der Supervision und im Kollegenaustausch geht es überwiegend darum, wer „ich als Therapeut“ bin. In der Gruppentherapie geht es dagegen um „die Gruppe als Therapeutin“, kaum um mich als den Wirkfaktor, da ich doch keinen direkten Einfluss auf das Ergebnis zu haben scheine. In der ambulanten Gruppe wird erst nach einiger Erfahrung ein anderes Gefühl entstehen: Die Gruppenmitglieder profitieren durch meine Anwesenheit und Prozess-Moderation voneinander. Ich präge als Leiter den Stil der Gruppe und die Gruppe arbeitet am Inhalt und Ziel, bildet den sozialen Mikrokosmos, in dem die heilsame Interaktion gedeiht.

Die Verpflichtung zu einer bestimmten, wöchentlich gleichen Zeit über lange Strecken mit längerfristiger Urlaubsplanung mag ein Hindernis für manchen Lebensstil von Therapeuten sein. Kollegiale Vertretung ist in Deutschland in ambulanten Gruppen noch nicht üblich, doch hoffentlich langfristig denkbar. So besteht eine zeitliche Verpflichtung mehreren Menschen gegenüber, was eine Umplanung weit schwieriger macht als in der Einzeltherapie. Aufgewogen werden diese Nachteile durch die Zufriedenheit mit dem im „Wir“ entstandenen nachhaltigen Ergebnis durch weniger inhaltliches und emotionales Engagement – da ja die Gruppe dies leistet und ich nach der Gruppe gewöhnlich mit weniger emotionaler Beladung und Containment nach Hause gehen kann als in der Einzeltherapie.

Herausforderungen für Therapeuten

Ich verstehe das schon, gerade zu Beginn einer Gruppentherapie ist der zeitliche Ressourcenbedarf enorm. Da probatorische Sitzungen nur als Einzelsitzungen möglich sind, ist es erforderlich, für 9 Patienten Einzeltermine zu ermöglichen. In meiner vollausgelasteten Praxis bedeutete dies, dass ich bei anderen Patienten Termine ausfallen lassen musste. Trotzdem vergingen von der ersten probatorischen Sitzung bis zum Start der Gruppe 5 Monate, was dazu führte, dass der Patient mit der ersten Genehmigung bis zum Start schon wieder abgesagt hatte. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Sorgen und Herausforderungen. Wir haben mal in unserer Gruppensupervision die anderen Gruppentherapeuten befragt, hier ein paar der genannten Themen:

  • Angst vor schwierigen Situationen (z.B. „Gruppe verbündet sich gegen mich“ und „ich bin dann völlig alleine“)
  • Das Uhrzeit-Problem, „Ich will abends keine Therapie machen“
  • „Verantwortung dafür, was das alles auslöst“
  • Mindestteilnehmerzahl ist zwar 3, jedoch ist der Start mit 3 Patienten wenig sinnvoll
  • Einschränkungen bei der Patientenwahl, z.B. möglichst positive Vorerfahrungen
  • Gruppenraum und Gruppenlogistik (Karte einlesen, Wasser und Toilette für alle)
  • Der hohe administrative Aufwand (9 Patienten in 100 Minuten bedeutet für 9 Patienten Arztbriefe, Reha-Anträge, Anfragen z.B. vom Versorgungsamt, bis zu 9 Berichte für eine Umwandlung usf.)
  • Gruppenberichte sind anfangs schwer zu schreiben und zeitaufwendig. 

Unsere Antworten zu diesen Themen würden den Umfang dieses Artikels sprengen. Wir haben sie in folgender Übersicht zusammengestellt: Hier klicken.


Und wie klappts? Der Reihe nach.

Erstmal brauchte ich Patienten. Dies ist nach meiner bisherigen Erfahrung ein reines Startproblem. Sobald die erste Gruppe erfolgreich läuft, wirkt die Mund zu Mund Propaganda und sorgt für einen steten Zustrom von Patienten, die eine Gruppentherapie machen möchten.

Doch für die erste Gruppe braucht es etwas Werbung – ein für viele Therapeuten ungewohntes Thema. Dies meint weder Zeitungsanzeigen noch Plakate, sondern gezielte Informationen an Patienten und Zuweiser. Wichtige Zuweiser sind:

  • Hausärzte
  • Psychiatrische Kliniken
  • Kollegen, die PsyRena Gruppen anbieten (die Kollegen dürfen die Patienten anschließend nicht in der Gruppentherapie behandeln)
  • Kollegen, die eine Behandlung für Angehörige ihrer Patienten empfehlen (z.B. KJP)

Konkrete Informationen sind hier gefragt. Insbesondere eine klare Beschreibung der Zielgruppe (Depressive Patienten, Patienten mit einer Angststörung usw.). 

Direkt ansprechen kann man Patienten natürlich in den eigenen Sprechstunden.


Erst informieren, dann ansprechen!

Ich habe am Anfang die wirklich frustrierende Erfahrung gemacht, dass Patienten in der Sprechstunde sofort abwiegeln, wenn ich das Wort Gruppentherapie auch nur erwähne. Meine anfängliche Strategie, Patienten zu „überreden“, die Gruppe zu machen, hat sich m.E. nicht bewährt. Ich habe dann die Strategie umgestellt und ein hübsches laminiertes Merkblatt zu den Vorteilen der Gruppentherapie in mein Wartezimmer gelegt. Gut, mein Wartezimmer ist eine informatorische Wüste, d.h. sonst liegt nichts rum, außer der Information zur Datenschutzgrundverordnung. Nur, wer will die lesen?

Ab diesem Moment sprach mich etwa jeder vierte Patient in der Sprechstunde an: „Ich habe mir gedacht, so eine Gruppentherapie könnte doch auch etwas für mich sein.“ An der Stelle frage ich erst nach, warum jemand glaubt, die Gruppe sei gut, und mache keine „Reklame“ für die Gruppe. Das ist auch der Zeitpunkt, nach früheren Gruppenerfahrungen zu fragen.

Patientenauswahl

Herr Remmers, wie sieht denn der ideale Gruppenpatient aus? 

Positive Rehaklinikerfahrung ist sicher die beste Basis für die Aufnahme in einer Therapiegruppe, unabhängig von Diagnose, Konfliktthemen oder Persönlichkeit. Menschen mit depressiver Reaktion auf Erlebnisse, Anpassungsstörungen, mit rezidivierender Depression oder mit Angst- und Panikstörungen sind meist dem Gruppensetting gegenüber offen. Gruppen mit einer Größe ab etwa 7 Teilnehmern haben eine erstaunliche Fähigkeit, auch mit „schwierigen Mitmenschen“ umzugehen und sich gegenseitig aufzufangen. Meine Bedenken waren vor Gruppenbeginn oft größer als die anschließend erlebte Flexibilität und Akzeptanz. Da ist eine Wirkung in den Gruppen, die ich immer wieder erstaunlich finde.

Genau das habe ich auch erlebt, die besondere Kraft der Gruppentherapie, die auch ich oft noch nicht verstehe. Zugleich wächst mein Vertrauen in die Wirkung mit jeder Sitzung.

Daher habe ich großes Interesse daran, auch weitere Therapeuten von der Gruppentherapie zu begeistern! 

Viel Erfolg!