Warum wir mehr Leichtigkeit brauchen
Wie meistert man schwierige Situationen? Und wie kommt man von einem blockierten Zustand zur Lösung? Die Psychologin und hypnosystemische Coachin Ina Hullmann beschäftigt sich seit Jahren mit der Psychologie der Leichtigkeit. Warum es wichtig ist, über sich selbst zu lachen, wie wir im Berufsalltag auftanken können und wie das auch unseren Klient*innen hilft, erzählt sie uns im psylife-Interview.
Frau Hullmann, wie sind Sie zum Thema Leichtigkeit gekommen?
Schon als Kind habe ich während meiner Ballettausbildung gelernt, dass schwere Schrittkombinationen nur in einem Zustand innerer Leichtigkeit zu meistern sind. Diese Erkenntnis habe ich später auf die psychologische Arbeit übertragen. Insbesondere bei »schweren« Fällen oder Problemen hilft eine Atmosphäre von Leichtigkeit dabei, das Thema zu transformieren, also vom blockierten Zustand in eine Lösung zu bewegen. Dabei war ein Fall zu Beginn meiner Laufbahn besonders eindrucksvoll: Als angestellte Psychologin und Berufseinsteigerin im Alter von gerade erst 24 Jahren bekam ich in meiner ersten Klinikanstellung eine Patientin zugeteilt, die mir von den anderen Psycholog*innen meines Teams als »extrem schwierig und therapieresistent« angekündigt wurde. Die schick gestylte 35-Jährige kam zum vereinbarten Termin in mein Praxiszimmer. Sie setzte sich, musterte mich von oben bis unten und platzte dann heraus: »Sie sind ja selber noch ein Kind, was soll das hier bei Ihnen bringen?« Ich bemühte mich verkrampft, so erwachsen und vernünftig wie möglich zu wirken. Die Frau schimpfte weiter, über das Personal der Klinik, die anderen Psycholog*innen, das Essen und sogar über sich selbst. Alles sei eine einzige Katastrophe und die Hoffnung auf Besserung oder ein glückliches Leben habe sie bereits vor langer Zeit aufgegeben.
Plötzlich und völlig unvermittelt brach meine Klientin in Tränen aus. Dummerweise hatte ich keine Taschentücher zur Hand und sah mich verzweifelt nach etwas um, was ich ihr schnell zum Trocknen der Tränen und des aquarellartig verlaufenden Make-ups reichen konnte. Da bemerkte ich die Toilettenpapierrolle, die die Putzfrau wohl aus Versehen in meinem Bücherregal hatte stehen lassen. Reflexartig griff ich nach ihr und stellte sie ohne Worte zwischen uns auf den Tisch. Meine Patientin stockte, schaute fast entsetzt auf den unliebsamen Toilettenartikel und polterte dann heraus: »Finden Sie etwa, dass ich Ihnen Scheiße erzähle?« (Originalton der Klientin). Peinlich berührt ob dieser vermuteten Geschmacklosigkeit starrte ich meine Klientin wohl recht fassungslos an. Dann prusteten wir beide plötzlich los und mussten schallend lachen. Erst Minuten später konnten wir uns wieder einigermaßen unter Kontrolle bringen. Von einem ernsten Therapiegespräch konnte nun jedoch nicht mehr die Rede sein. Die Klientin schilderte mir ihre Leidensgeschichte, aber jeder längere Blickwechsel provozierte wieder ein Lachen und so verging die Sitzung im Nu. Meine Patientin verließ kichernd mein Büro und wischte sich gerade mit einem langen Klopapierfetzen die letzte Lachträne aus den Augen, als ausgerechnet meine Chefin den Gang entlangkam. Sie stutze, sah der Klientin hinterher und fragte mich: »So ein Stimmungswandel – wie hast du das denn hinbekommen?« Ich konnte ein schelmisches Grinsen nicht unterdrücken und antwortete: »Mit Klopapier.«
Der Fall oben war ein wichtiger Schlüsselmoment für mein Verständnis der Wirksamkeit von Humor und Leichtigkeit in Kommunikationsprozessen. In meiner Coachingausbildung setze ich mittlerweile sogar systematisch auf diese spezielle Grundhaltung würdigender, humorvoller Leichtigkeit. Meine Klient*innen lade ich damit nonverbal in eine besonders wachstumsförderliche Atmosphäre ein, sodass jede Intervention so wirksam wie möglich ist – wie in ein Gewächshäuschen, in dem man sich optimal entfalten kann. Das ist nicht nur ein optimaler Wirksamkeitsverstärker für Therapie- oder Coachingprozesse, sondern auch für Coach*innen oder Therapeut*innen selbst ein wahres Lebenselixier und die beste Burnout-Prophylaxe.
Was genau verstehen Sie unter Leichtigkeit?
Leichtigkeit bedeutet, eine erweiterte Sichtweise auf das Leben und seine Schwierigkeiten einzunehmen und so vieles aus einem anderen Blickwinkel wahrnehmen zu können. Ob wir uns angesichts unserer Lebensumstände schwer fühlen oder in die sprichwörtliche Leichtigkeit des Seins gelangen, hängt nicht zwangsläufig von der Realität an sich ab, sondern entspringt vor allem der Perspektive, aus der wir auf die verschiedenen Aspekte, Konflikte, Krisen oder Schwierigkeiten im Leben blicken.
Dieser erweiterte Bewusstseinszustand der Leichtigkeit zeichnet sich durch Humor sowie eine grundsätzlich wertschätzende, würdigende Haltung dem Leben gegenüber aus. Es geht um einen wohlwollenden, gelassenen Umgang mit sich und anderen. Diese Grundhaltung entspricht den im Buddhismus gängigen vier positiven mentalen Eigenschaften: Wohlwollen, Mitgefühl, Freude und Gelassenheit. Eine Klientin beschrieb diesen Zustand einmal als eine »völlig andere Flughöhe, von der aus sie auf ihre Alltagsschwierigkeiten blicke«. Von dieser Metaposition der Leichtigkeit aus sieht man neue Lösungswege, ist kreativer und stressresistenter. So ist es auch möglich, Schweres zuzulassen und Themen, die uns vielleicht emotional belasten, anzunehmen. Der größte Kraftkiller ist nämlich der innere Widerstand gegen Schicksalsschläge und Schwierigkeiten.
Den Noch-Skeptiker*innen lege ich dabei Folgendes ans Herz: Leichtigkeit hat nichts zu tun mit Leichtfertigkeit, Albernheit oder Oberflächlichkeiten. Im Gegenteil: Meine Erfahrungen mit diesem Ansatz und die meiner Teilnehmer*innen und Klient*innen bestätigen immer wieder, dass man Schweres in einem solch positiven Bewusstseinszustand viel leichter ertragen und akzeptieren kann.
Wie bringe ich mehr Leichtigkeit in Therapie- oder Coachingstunden?
Zunächst einmal muss es eine Form von Erlaubnis oder Legitimation geben. In meinen Ausbildungskursen erlebe ich immer wieder Zweifel meiner Teilnehmer*innen, ob Leichtigkeit bei schweren Themen und in Therapieprozessen überhaupt angemessen, ja, sogar erlaubt sei. Es gibt oftmals eine unausgesprochene wage Angst, nicht mehr als seriös wahrgenommen zu werden. Und auch eigene innere Blockierungen können verhindern, dass Coach*innen oder Therapeut*innen Leichtigkeit zulassen können. An dieser Stelle ist dann die Erforschung der Ursachen nötig, die systemisch gesehen oftmals durch Verstrickungen mit Personen der Ursprungsfamilie entstanden sein können. Wenn unsere Vorfahren beispielsweise ein schweres Schicksal hatten, dann haben die Nachkommen nicht selten unbewusst eine gefühlte innere Handbremse im Hinblick auf ausufernde Lebensfreude und Leichtigkeit. Die Erkenntnis, dass dieser Bewusstseinszustand aber ein absoluter Wirkverstärker ist, hilft meistens, sich bewusst zu erlauben, mehr Leichtigkeit in den Alltag zu bringen und zu kultivieren. Und dafür gibt es auch schöne Techniken, z. B. seine persönlichen Leichtigkeitstankstellen zu finden und zu aktivieren.
Sie selbst arbeiten gerne mit Hypnosystemischem Coaching. Was genau verbirgt sich dahinter?
In den letzten 10 Jahren habe ich mich auf den modernen Hypnosystemischen Ansatz spezialisiert, der eine Fusion aus der Systemischen Therapie und der Hypnotherapie nach Milton Erickson ist. Das Unterbewusstsein kann mit hochwirksamen Techniken neu ausgerichtet werden, sodass durch wenige, sehr präzise Interventionen, der Entwicklungsprozess der Klient*innen ganz von alleine weiter in die gewünschte Richtung laufen kann. Hypnosystemisches Coaching ist wissenschaftsbasiert und man könnte es als »angewandte Neuroplastizität« beschreiben. Die Zusammenarbeit zwischen Coach*in und Klient*in beruht auf einem humanistischen Menschenbild, wo man sich auf Augenhöhe begegnet und gemeinsam im Teamwork arbeitet. Die Rolle als Coach*in ist dabei die einer achtsamen, wertschätzenden Prozessbegleitung. Die Hypnosystemische Arbeitsweise nutzt hochwirksame Techniken und Strategien, eingeschränkte Perspektiven zu erweitern, Problemtrancen in ressourcenvolle Lösungstrancen zu überführen und bei wirklich jeder Intervention das mächtige Unterbewusstsein mit ins Boot zu holen.
Was mögen Sie an der Methode?
Ich bin auf Augenhöhe mit meinen Klient*innen und stärke ihre Selbstwirksamkeit. Durch dieses Teamwork werden die Klient*innen dazu angeregt, wieder Selbstverantwortung zu übernehmen und die eigenen Stärken und Kräfte zu entfalten. Da Coach*innen nur Prozessbegleiter sind und in dieser Rolle auch niemals «übergriffig» werden sollten - indem sie sich eben nicht für Inhalte verantwortlich fühlen, sondern für einen optimalen Prozess -, ist ein hypnosystemisches Coaching sehr wirksam und erlaubt ein Arbeiten im Zustand von Leichtigkeit ohne große energetische Kraftanstrengungen. Jede Form von Direktsuggestionen ist tabu, wodurch diese Form der Coachings nahezu ohne Einmischung beziehungsweise inhaltliche Manipulation auskommt. Da für mich persönlich jede Form der Direktsuggestion einem mentalen Übergriff gleichkommt, bin ich froh mit dieser «sauberen» und wissenschaftsbasierten Methode mit meinen Klient*innen arbeiten zu können.
Sollten wir öfter über den psychologischen Tellerrand schauen?
Wenn wir lernen über den Tellerrand dessen zu schauen, was wir gelernt haben, können wir neue Erkenntnisse und Zusammenhänge entdecken, die unsere Arbeit erleichtern und uns wirksamer machen. Jede Form von «Tellerrand» oder gedanklicher Abgrenzung ist ein Denkstopper, eine Art mentaler Käfig, der uns daran hindert, neue Erkenntnisse zu finden, größere Zusammenhänge zu verstehen oder noch wirksamere Techniken zu entwickeln. Um das Konzept der Leichtigkeit wissenschaftsbasiert mit dem hypnosystemischen Ansatz kombinieren zu können, musste ich beispielsweise weit über den Tellerrand der klassischen Psychologie hinausschauen.
Darf auch Wissenschaft spielerisch sein?
Grundsätzlich geht Leichtigkeit mit einer Verspieltheit einher, auch wenn viele Akademiker*innen bei diesem Begriff zunächst vielleicht die Nase rümpfen, weil sie einen Mangel an Autorität befürchten. »Wer verspielt ist, kann sich leichter für neue Erfahrungen öffnen und den alltäglichen Herausforderungen stressfreier begegnen«, so fasst René Proyer (2017), Professor für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Halle, seine Forschungsergebnisse zu diesem Thema zusammen. In seiner Studie Being playful and smart konnte er zeigen, dass verspielte Studierende bei einer schriftlichen Prüfung sogar bessere Noten erzielen (Proyer, 2011).
Unbeschwerte Verspieltheit äußert sich nach Proyer beispielsweise darin, gerne zu improvisieren, und ist ein wahrer Kreativitätsbooster. Es steht allerdings außer Frage, dass gerade in diesem Bereich zunächst einige Vorurteile aus dem Weg geräumt werden müssen. »Eine weit verbreitete Meinung, auch unter Wissenschaftlern, ist: Die Verspielten seien albern, kindisch, unrealistisch und unzuverlässig.« Proyers Forschungsergebnisse bestätigen aber das Gegenteil: Intellektuell verspielten Menschen geht es überhaupt nicht ums Rumalbern, sondern darum, andere und neue Sichtweisen zuzulassen und vielfältige Lösungen zu finden. Verspielte scheinen sogar über eine höhere kognitive Flexibilität zu verfügen, die es ihnen ermöglicht, sich leichter auf unterschiedliche Themen einzulassen.
Wie können Coach*innen und Therapeut*innen selbst mehr Leichtigkeit in ihren Berufsalltag bringen? Was sind z. B. Ihre persönlichen Kraftquellen?
Jeder Mensch hat ganz individuelle Leichtigkeitstankstellen - das sind Dinge, Tätigkeiten oder Erlebnisse, die einen blitzartig in den erweiterten Bewusstseinsmodus der Leichtigkeit versetzen. Oftmals sind es die kleinen Dinge, die einen entsprechenden Bewusstseinsshift auslösen, wie zum Beispiel eine Katze zu streicheln, die Lieblingsmusik zu hören oder einen Spaziergang zu machen. Meine persönlichen Tankstellen sind beispielsweise Tanzen, Bewegung, Musik, Tiere, Fahrradfahren oder Spaziergänge in der Natur, eine Tasse Tee trinken und Kerzenlicht, vor allem aber ist es eine erweiterte Sichtweise aufs Leben, die mir eine persönliche Nahtoderfahrung vor einigen Jahren ermöglicht hat: Ich erinnere mich ständig daran, mich nicht zu ernst zu nehmen. Man darf auch mal herzhaft über sich selbst lachen, wenn man mal wieder in gewisse Fettnäpfchen getreten ist, die das Leben immer wieder für uns bereithält.
Zum Weiterlesen:
Hullmann, Ina (2020). Psychologie der Leichtigkeit. Stuttgart: Schattauer Verlag.
Quellen:
Proyer, R. (2017). Mit mehr Leichtigkeit. Deutsche Hochschulzeitung. Online hier abrufbar.
Proyer, R. (2011). Being playful and smart? Learning and Individual Differences, Vol. 21, Issue 4, S. 463-467.