"Chancen ergreifen und bereit sein, loszulassen" – Interview mit Guido Gebauer
Guido Gebauer hat jahrelang in einer forensischen Psychiatrie und als Gutachter gearbeitet, als er beschließt, die Online-Partnerbörse Gleichklang ins Leben zu rufen, seine Therapieausbildung abzubrechen und nach Kambodscha zu ziehen. Im psylife-Interview erzählt uns der Tausendsassa mehr über unkonventionelle Wege, Herzensprojekte und warum man immer nach vorne schauen sollte.
Herr Gebauer, Sie beschäftigen sich mit zahlreichen Themen und Projekten. Wie kann ich mir einen typischen Arbeitsalltag bei Ihnen vorstellen und wie behalten Sie den Überblick?
Im Grunde arbeite ich von mittags bis tief in die Nacht, aber dafür stehe ich spät auf. Der Vorteil ist, dass mir meine Tätigkeiten Spaß machen und ich sie mir frei aussuchen kann. Ich kann sie jederzeit anders priorisieren und erst einmal liegen lassen. Um Finanzen kümmere ich mich nicht – das überlasse ich meinem Lebenspartner, der auch Geschäftsführer von Gleichklang ist. Ich setze mich primär mit inhaltlichen Aspekten unserer Plattform auseinander, also mit Zufriedenheit, Erfolgsraten, Erfolgsfaktoren, Marketing, PR-Arbeit sowie mit gesellschaftlichen Themen, die für unsere Plattform relevant sind und zu denen ich regelmäßig in verschiedenen Blogs und auf Webseiten Artikel schreibe. Zusätzlich entwickele ich unterschiedliche psychologische Testverfahren. Schließlich ist ein weiterer großer Anteil meiner Arbeit die Anleitung und das Management der umfangreichen Programmierungen, die durch derzeit vier Programmierer*innen in Indien und vier Programmierer*innen in Kambodscha geleistet werden.
Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, eine Partnerbörse im Internet aufzubauen?
Die Idee entstand mit einem Kommilitonen noch während unseres Psychologiestudiums. Wir dachten, warum sollte die Psychologie bei der Partner*innensuche keine aktive Rolle spielen, wo sie doch auch sonst in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen vertreten ist? Damals war das Internet noch in den Anfängen und es gab die großen Partnerbörsen noch nicht. Die Umsetzung hat sich aber viele Jahre verzögert. Jeder ist zunächst andere Wege gegangen. Ich selbst bin nach England gegangen und habe promoviert. Nach meiner Rückkehr habe ich in der forensischen Psychiatrie begonnen und mich bald als Gutachter selbständig gemacht. Da blieb einfach zu wenig Zeit für dieses Projekt. 2006 haben wir es dann aber doch zum Abschluss gebracht und sind mit Gleichklang online gegangen.
Auf der Seite von Gleichklang findet man Schlagworte wie vegane Ernährung, Hochsensibilität, LGBTQ*, Ökologie – ich habe den Eindruck, dahinter steckt mehr als „nur“ die Idee, Menschen zu verkuppeln?
Das ist richtig. Gleichklang ist nicht eine Partnerbörse unter vielen, sondern hat einen besonderen Ansatz, der unser Alleinstellungsmerkmal ist. Übergreifend unterstützen wir Menschen bei der Partner*innen- und Freundschaftssuche, die in hohem Ausmaß sozial und ökologisch denken und für weiche und menschenfreundliche Lösungen gesellschaftlicher Probleme stehen. Wir wenden uns an Menschen mit erhöhter Empathie, die sich auch auf den nicht-menschlichen Bereich generalisiert, weshalb vegetarisch oder vegan lebende Menschen ein wichtiges Kernklientel von uns sind. Hochsensible sind ein weiteres Kernklientel und machen sogar ein gutes Drittel unserer Gesamtmitgliederanzahl aus. Zu diesem Ansatz gehört, dass wir gerade auch Menschen, die sonst oft Schwierigkeiten bei der Partnersuche haben zur Seite stehen wollen. Deshalb erheben wir von all unseren Mitgliedern die Akzeptanz für Erkrankungen, Behinderungen, seelische Probleme oder sexuelle Funktionsstörungen. So können Menschen mit diesen Bedingungen gelassener bei uns auf Partnersuche gehen.
Sind Ihnen diese Themen auch persönlich wichtig?
Ja, ich selbst und mein Lebenspartner leben beispielsweise seit 30 Jahren vegan. Wir möchten in den Grenzen des Möglichen dazu beitragen, diese Welt ein Stück weit besser zu machen. Wir möchten keine Paare vermitteln, die später gemeinsam auf Demonstrationen „Absaufen-Lassen“ rufen, und auch keine Paare, die gemeinsam Schlachthäuser eröffnen oder gefährliche Pestizide vertreiben. Wir wissen, dass Mitglieder von Gleichklang beispielsweise gemeinsam eine vegane Keksfabrik eröffnet haben oder nach Ungarn gefahren sind, um Geflüchtete zu unterstützen. Das Entstehen solcher Beziehungen möchten wir gerne fördern.
Übergreifend unterstützen wir Menschen bei der Partner*innen- und Freundschaftssuche, die in hohem Ausmaß sozial und ökologisch denken und für weiche und menschenfreundliche Lösungen gesellschaftlicher Probleme stehen.
Früher haben Sie in einer forensischen Psychiatrie gearbeitet. Woran haben Sie gemerkt, dass Sie das nicht erfüllt?
Was mir an der forensischen Arbeit gefallen hat, war, dass man sich wirklich Zeit für einen einzelnen Menschen nehmen kann, um den Gesamthintergrund der Biografie und der Tat zu verstehen. Die forensische Psychiatrie habe ich aber als ein zu stark ärztlich bestimmtes Setting erlebt, wo die psychologische Kompetenz nicht ausreichend zur Geltung kommt oder nicht ausreichend erkannt wird. Insofern habe ich mich schnell als Gutachter selbständig gemacht. Die nachfolgende 10-jährige Gutachtertätigkeit habe ich zunächst als sehr angenehm erlebt, aber mir wurde mit den Jahren immer klarer, dass der Großteil der Gutachteninhalte die Gerichte nicht interessiert, dass es vielen Richter*innen nur um die Zusammenfassung geht und dass einige Richter*innen bei gutachterlichen Empfehlungen, die sie anders sehen, so reagieren, dass sie keine Folgeaufträge erteilen. Auch kann man zwar ausführliche Empfehlungen geben, aber ob und wie diese umgesetzt werden, ist eine ganz andere Frage. Irgendwann hatte ich den Eindruck, dass meine Tätigkeit inhaltlich sinnlos ist und nur noch dem Geldverdienen dient.
Letztlich war es das, dass ich über die gesamten Jahre an der alten Idee aus der Studienzeiten festgehalten habe[.]
Was hat Ihnen dann dabei geholfen, Ihre Berufung zu finden?
Letztlich war es das, dass ich über die gesamten Jahre an der alten Idee aus der Studienzeiten festgehalten habe, eine psychologisch fundierte Plattform zur Partner*innen- und Freundschaftssuche mit besonderer gesellschaftlichen Ausrichtung aufzubauen. Meine Einnahmen aus der forensischen Tätigkeit habe ich in diese Plattform gesteckt und schließlich hatte ich den Punkt erreicht, wo ich auf die Einnahmen aus der forensischen Tätigkeit nicht mehr angewiesen war und gleichzeitig ortsungebunden wurde.
Was hat Sie dann persönlich nach Kambodscha gezogen?
Das hatte vielfache Gründe. Zum einen wollte ich bereits als Kind unbedingt aus Deutschland auswandern. Ich war damals ein großer Grzimek-Fan und habe alle seine Bücher gelesen. Insofern stand für mich zunächst Afrika im Fokus. Ich habe übrigens auch einige Jahre bis zur Zwischenprüfung zusätzlich zur Psychologie Afrikanistik studiert. 1989 – damals machte ich gerade mein Abitur – lernte ich meinen 8 Jahre älteren Partner kennen, der aus Thailand stammt und als Stipendiat in Hannover Klavier studierte. Wir sind jetzt seit 30 Jahren zusammen. Mit den Jahren hat sich mein Interesse so auch auf Asien ausgeweitet. Nachdem meine Mutter, die wir bei uns zu Hause drei Jahre gepflegt hatten, starb, war für mich die Zeit gekommen, nun einen neuen Weg zu gehen. Auch mein Partner war im spürbar veränderten Deutschland nicht mehr glücklich. Ich habe dann schrittweise meine rechtspsychologische Tätigkeit beendet und wir haben uns nach Ländern für eine Auswanderung umgesehen. Da eine Familie aus Libyen mit uns kommen wollte, gab es aufgrund extrem restriktiver Visabestimmungen für libysche Staatsbürger*innen nur sehr wenige Optionen. Am Ende blieben Urugay oder Kambodscha als Möglichkeiten übrig, wobei Kambodscha den Vorteil hatte, in der Nähe der Familie meines Lebenspartners zu sein. Ein weiterer Grund für die Auswanderung war, dass unsere Plattform permanente Programmierung verlangt, die in Deutschland extrem teuer ist und die für uns nicht mehr finanzierbar war. Geplant war also ein Outsourcing der Programmierung, was eine Anwesenheit vor Ort notwendig machte. Hierfür ist Asien sehr gut geeignet.
Was sollte man in Kambodscha auf jeden Fall erlebt haben?
Standardmäßig ist die Antwort natürlich Angkor Wat in Siem Reap, vielleicht auch der Königspalast in Phnom Penh oder die unzähligen buddhistischen Pagoden, die das ganze Land durchziehen. Wenn es um Strand und Meer geht, dann sind Sihanoukville oder Kep die richtigen Plätze. Es gibt aber auch einen wunderschönen Flusstrand in der Provinz Kratie, wo es nur wenige andere Badegäste gibt. Politisch-historisch sind das Foltermuseum in Tuol Sleng und das Killingfield in Choeung Ek Plätze, die oft aufgesucht werden. Die Fahrt mit dem Moped zum letzten Unterschlupf von Pol Pot im Dschungel in Anlong Veng ist auch eine Erfahrung, die in Erinnerung bleibt. Man muss das Moped auf den verschlungenen Sandwegen oft schieben und kommt immer wieder an kleinen Dörfern vorbei. Der Unterschlupf ist hoch gelegen auf einem Berg und man kann direkt nachempfinden, wie hier Pol Pot um einen Mangobaum gegangen ist und von einem kleinen Aussichtsplatz die gesamte Gegend überblicken konnte. Für mich am wichtigsten ist aber die Teilhabe am Leben der Menschen in den Provinzen auf dem Land. Dort begegnen wir echten Lebenskünstlern, die aus schwierigen Umständen das Beste machen.
Was würden Sie Kolleg*innen raten, die eigentlich neue Wege einschlagen wollen, aber damit hadern, weil sie lange studiert und viel Geld in Therapieausbildungen gesteckt haben?
Ich sehe überhaupt keinen Grund sich nicht trotz langer Studien und teuren Ausbildungen für einen anderen Weg zu entscheiden. Ich habe auch eine rechtspsychologische Ausbildung abgeschlossen und zudem voll eine Therapieausbildung bezahlt. Ich hatte schon alle Fallstunden, die Tätigkeit in der Psychiatrie und die Zwischenprüfung absolviert. Es fehlte mir aber eine große Anzahl an Seminaren, weil ich aufgrund meiner vielen anderen Tätigkeiten einfach keine Zeit hatte, die Wochenenden dafür aufzubringen. Daher habe ich letztlich die Ausbildung abgebrochen und dieses Thema hinter mir gelassen. Genauso war es mit meiner Habilitation, für die ich einen Großteil der Forschungsarbeiten schon geleistet hatte, für die ich dann aber aufgrund der zunehmenden Anforderungen von Gleichklang in einer wichtigen Umbruchphase keine Zeit mehr hatte. Meiner Überzeugung nach sollten wir in solchen Momenten nach vorn schauen, anstatt das zu bedauern, was wir möglicherweise umsonst gemacht haben. Ich bin sehr glücklich, dass ich durch den Aufbau von Gleichklang die Möglichkeit gefunden habe, komplett ortsunabhängig zu sein und mein Leben so gestalten zu können, wie ich es als sinnvoll erlebe. In einer Therapiepraxis oder an der Hochschule wäre dies für mich in diesem Ausmaß jedenfalls nicht möglich gewesen. Ich würde Kolleg*innen daher raten, Chancen zu ergreifen, die sich bieten und auch bereit zu sein, loszulassen, was sie bisher getan und investiert haben.
Schauen wir auch mal nach vorne: Welche Themen oder Projekte liegen Ihnen noch auf dem Herzen?
Demnächst werden wir mit unserem Blog die-grenzen-auf! online gehen. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen, da ich in schließbaren Grenzen die Ursache für einen Großteil von Elend und Not in unserer Welt sehe. Eine Menschheit, die auf den Mars fliegen kann, kann auch Armut und Elend beseitigen und allen Menschen eine gute Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen. Die wohlhabenden Staaten können sich durch Grenzschließung vom Elend der anderen abschotten und ihre Entwicklungspolitik daher auf Almosen beschränken. Wären die Grenzen auf, ginge dies nicht mehr. Eine Lösung müsste und würde gefunden werden. Zudem bin ich grade dabei, einen Ratgeber zur Online-Partner*innensuche abzuschließen. Wahrscheinlich geben wir diesen im Selbstverlag heraus. Das ist aber noch nicht entschieden. Außerdem überlege ich, mich ein oder zwei Tage in der Woche als Online-Coach zu betätigen. Zuguterletzt haben wir hier in Phnom Penh 16 Hunde auf unserer Straße adoptiert. Wir lassen sie medizinisch behandeln und füttern sie regelmäßig. Sieben von ihnen sind in unser Haus gezogen. Ihr Zustand hat sich in den Jahren, wo wir hier sind, unglaublich verbessert. Wir werden in den nächsten sechs Monaten aufs Land ziehen und die Hunde mitnehmen. Dort wollen wir ein Sanktuarium für andere Tiere, wie Kühe, Ziegen, Schweine und Hühner aufbauen, die sonst geschlachtet worden wären. Es gibt auch noch viele andere Ideen und Pläne, aber die wichtigsten habe ich gerade genannt.