Vom Psychotherapeuten zum Buchhändler – ein Quereinsteiger erzählt
Christoph Ahrweiler hat jahrelang als Psychotherapeut gearbeitet, als er kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag beschließt, mal etwas anderes auszuprobieren. Er übernimmt eine Buchhandlung in Rheinbach und kurze Zeit drauf eine weitere in Wesseling. Wir haben ihn in seiner Buchhandlung getroffen, über seinen Quereinstieg und berufliche Veränderungen geredet und darüber, welchen Einfluss auch therapeutische Themen in seinem neuen Arbeitsfeld haben.
Herr Ahrweiler, wie kommt es, dass ein Psychotherapeut sagt „Ich übernehme jetzt eine Buchhandlung“? Wie hat Ihr Weg vom Psychotherapeuten zum Buchhändler ausgesehen?
Ich habe viele Jahre psychotherapeutisch gearbeitet, sowohl selbstständig in eigener Praxis als auch in Kliniken. Die letzten fünf Jahre war ich in Mannheim, bevor ich die Buchhandlung übernommen habe. Generell kann ich sagen, ich habe das immer mit sehr viel Herzblut gemacht und ich habe gerne mit den Patienten gearbeitet, zuletzt mit Borderline-Patienten. Ich habe da viel lernen, mich weiterbilden und selbst Seminare geben können. Das hat mir viel Spaß gemacht. Nichtsdestotrotz bin ich Rheinländer und meine Kinder leben hier. So nach fünf Jahren war ich die Pendelei leid und wollte gerne zurück ins Rheinland. Ich dachte, da findet man bestimmt auch eine gute Stelle. Gleichzeitig war ich kurz vor Fünfzig. Da kam ich ins Überlegen: willst du das wirklich bis zur Rente weitermachen oder gibt es auch noch was anderes, was du machen könntest? Es war schon immer ein Wunsch von mir, eine Buchhandlung zu haben oder in einer zu arbeiten, etwas mit Büchern zu machen.
An dem Punkt habe ich gedacht, wenn du eh aus Mannheim weggehen möchtest, dann versuch’s doch einfach mal zweigleisig: Guck nach einer Stelle in dem Beruf, den du sowieso gerade machst - und was müsstest du tun, um in die andere Richtung zu gehen? Meine erste Anlaufstelle war der Börsenverein, da habe ich erste Infos bekommen. Und ich habe Leute kennen gelernt, u.a. Buchhändler. So habe ich erfahren, dass es hier eine Buchhandlung zur Übernahme gibt. Ich habe mich mit dem damaligen Inhaber kurzgeschlossen und ein Quereinsteiger-Seminar besucht. Ich hatte den Eindruck, das ist eine gute Chance.
Sie arbeiten mittlerweile nicht mehr als Psychotherapeut, sondern konzentrieren sich voll und ganz auf den Buchhandel. Sich als Quereinsteiger einem ganz neuen Bereich zuzuwenden, kostet sicherlich eine Menge Mut. Was hat Ihnen dabei geholfen?
Als Quereinsteiger ist es schwierig, was ganz Neues zu machen, wenn man da eigentlich wenig Ahnung von hat. Ich hatte zwar selber auch schon mal im Buchhandel gearbeitet und eine kleine Gemeindebuchhandlung geleitet. Aber das war damals mit Karteikarten und man rief irgendwo an, wenn man etwas brauchte. Mittlerweile läuft alles total digital und das kannte ich so nicht. Da musste ich mich reinarbeiten. Hier war der Vorteil, dass es schon ein Team gab, das schon viele Jahre zusammengearbeitet hatte und weiter hier arbeitet. Die kannten sich bestens aus. Von daher waren es für mich als Quereinsteiger super Voraussetzungen. Wenn man es ganz alleine aufzieht und man ist nicht in der Materie drin, würde ich nicht unbedingt dazu raten.
Unterstützt haben mich der Börsenverein und andere Buchhändler, die ich kannte. Jemand vom Arbeitsamt in Mannheim, der sehr buchaffin war und die Idee toll fand, hat mich sehr unterstützt z.B. bei Themen „wie präsentiere ich mich“ oder „wie erstelle ich einen Businessplan“. Und so kamen mehrere Sachen zusammen. Tatsächlich hatte ich sogar eine therapeutische Stelle gefunden, die interessant gewesen wäre. Aber ich habe mich dann entschieden und gesagt, wenn du es jetzt nicht machst, dann ist nach der Fünfzig der Zeitraum, etwas ganz Neues zu machen, vielleicht irgendwann begrenzt. Wenn du es jetzt nicht machst, machst du es vielleicht doch nicht mehr. Deswegen habe ich gedacht, das ist eine gute Chance hier. Das hat natürlich, wie Sie schon sagen, etwas mit Mut zu tun, das anzugehen und vor allem im Einzelhandel etwas zu übernehmen. Das ist heutzutage eine Herausforderung.
Was würden Sie Kollegen raten, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, neben der therapeutischen Arbeit noch etwas anderes zu machen, vielleicht wie Sie in einem ganz anderen Bereich?
Sich Unterstützung zu suchen und es nicht alleine zu versuchen, sonst kann man sich schnell übernehmen. Weil man es vielleicht falsch einschätzt, was alles auf einen zu kommt und was man alles machen muss. Das hätte mir genauso passieren können, wenn ich nicht diese Unterstützung gehabt hätte. Mein Tipp also: sich rasch vernetzen. Wie kann ich Kontakte schaffen vor Ort? Wie kann ich Kontakte schaffen wie z.B. zum Börsenverein oder zu anderen Händlern oder zu Verlagen? Mir ist es wichtig, persönliche Beziehungen aufzubauen und zu schauen, wie kann man sich gegenseitig weiterbringen.
Sich immer etwas zu überlegen, was die Menschen in die Buchhandlung lockt, das ist eine dauerhafte Herausforderung.
Wie hat sich Ihr Berufsleben verändert, seit Sie die Buchhandlung übernommen haben?
Vorher habe ich in der Klinik im Angestelltenverhältnis gearbeitet. Das ist jetzt in Selbstständigkeit schon was anderes. Ich habe die komplette Verantwortung. Mir war schon klar, dass es eine Menge Arbeit ist. Man muss viel machen, um präsent zu sein, so dass Leute überhaupt noch in eine Buchhandlung gehen. Das ganze Angebot kann man schließlich auch im Internet haben. Sich immer etwas zu überlegen, was die Menschen in die Buchhandlung lockt, das ist eine dauerhafte Herausforderung. Da kann man nie sagen „jetzt habe ich es erst mal geschafft für’s nächste halbe Jahr“, sondern da muss man eigentlich immer dran bleiben und vorausschauend den Markt beobachten: Was tut sich gerade? Wo ist mein Platz? So dass ich mich da gut aufstellen kann. Das ist eine Veränderung. Das ganze unternehmerische Denken, das ist ein anderes Denken.
Es gehen auch viele Abende drauf, weil z.B. Veranstaltungen sind. Und ich möchte natürlich gerne was gelesen haben von den Büchern, die wir da haben, um sie Kunden empfehlen zu können. Das braucht ebenfalls Zeit. Zudem ist mir der Vernetzungsgedanke wichtig. Wir arbeiten z.B. mit dem Literaturverein „Rheinbach liest“ und vielen Schulen zusammen. Aber wenn man einen Kontakt hat, muss man den natürlich auch pflegen.
Sie haben es gerade schon erwähnt, Sie bieten in Ihrer Buchhandlung auch Veranstaltungen an. Zum Beispiel habe ich gesehen, dass Sie einen Achtsamkeitsabend veranstaltet haben. Inwieweit finden therapeutische Themen auch jetzt noch Platz in Ihrer Arbeit?
Das ist natürlich etwas, wo ich mehr Expertise habe als z.B. im Fantasybereich. Bücher, die jetzt – etwas runtergebrochen – so Ratgeberthemen behandeln, Lebenshilfe, Beziehungsratgeber u.s.w., die habe ich immer gerne gelesen. Weil es mich persönlich interessiert hat, aber auch weil ich auf dem Laufenden bleiben wollte. In dem Bereich habe ich also einen Überblick, was etwas taugt und was vielleicht nicht so. Daher war es mir wichtig, so einen Bereich aufzubauen.
Es ist natürlich Trial and Error zu schauen, was kommt hier an. Typische therapeutische Sachen sind zum Beispiel nicht so relevant. Da habe ich gemerkt, die Sachen muss man nicht im Sortiment haben. Es gibt hier natürlich auch Therapeuten, aber die bestellen sich dann ihre spezielleren Sachen.
Das Thema Achtsamkeit ist auch ein wichtiges Thema. Ich komme ja selber aus dem Bereich der DBT, da war Achtsamkeit ein wichtiges Modul. Ich habe Achtsamkeit auch an die Patienten vermittelt. Von daher war das für mich naheliegend und ich dachte, das ist gerade ein interessantes Thema, was auch die Rheinbacher interessieren könnte. Und so haben wir angefangen, Abende zum Thema Achtsamkeit zu machen. Das ist sehr gut angenommen worden und hat eine gute Resonanz gefunden. Deswegen haben wir das jetzt drei Jahre bespielt und planen auch noch weitere Abenden zu ähnlichen Themen, z.B. die „Wohnzimmer Sprechstunde“ Inspirationen zum Thema gelingende Lebensführung.
Gibt es Gemeinsamkeiten in der Arbeit als Buchhändler und als Psychotherapeut?
Man könnte jetzt sagen, beides hat was mit Beratung zu tun. Und auch um ein Team zu führen, ist es von Vorteil, wenn man psychologisches Wissen hat. Dann spielt es sicherlich bei der Auswahl der Themen eine Rolle. Ansonsten würde ich sagen, versuche ich mit einer Haltung der Achtsamkeit diese Buchhandlung zu leiten. So habe ich auch versucht, als Psychotherapeut zu arbeiten und mit der gleichen Haltung gehe ich hier dran.
Was ich nicht mache ist, das Kunden mich zu einem bestimmten Thema fragen und wir in eine Art therapeutisches Gespräch kommen. Das habe ich fast noch nie erlebt und da merke ich auch, kann ich mich ganz gut zurückhalten. Die Therapie ist für mich, obwohl ich das wirklich viele Jahre gemacht habe, ein abgeschlossenes Kapitel. Auch wenn es manchmal schwierig ist, habe ich noch keine Minute gedacht, du willst wieder zurück in den alten Beruf, sondern: du machst das jetzt. Und ich mache das mit viel Begeisterung. Du musst einfach eine Lösung finden, für das, was schwierig ist. So wie ich das immer gemacht habe: man muss sich um kreative Lösungen bemühen. Das ist vielleicht auch eine Gemeinsamkeit zum therapeutischen Beruf und etwas, das ich ein Stück weit als Therapeut gelernt habt: das Schwierigkeiten auftauchen, aber dass man sie auch bewältigen kann und dass es sich lohnt, weiterzumachen.
Jetzt haben Sie gerade schon gesagt, der Therapeutenberuf sei für sie ein „abgeschlossenes Kapitel“. Wie abgeschlossen ist es wirklich?
Ich habe meine Arbeit geliebt und sie gerne gemacht. Man weiß ja nicht, wie sich die nächsten Jahre im Buchhandel entwickeln. Das hat man nicht in der Hand, weil sich gesellschaftlich und politisch so viel verändern kann, dass man evtl. in ein paar Jahren wirtschaftlich nicht überleben kann. Dann würde ich nicht ausschließen, dass ich sage: ich habe ja noch im therapeutischen Bereich meine Expertise, dann mache ich mich da vielleicht wieder selbstständig.
Für den Zeitraum, den Sie überblicken können, was sind Ihre weiteren Pläne?
Ich könnte mir durchaus vorstellen, nochmal ein weiteres Standbein aufzubauen, eine dritte, regional passende Buchhandlung zur Übernahme. Eine andere Sache liegt mir seit einer Woche auf dem Herzen. Wir hatten einen Buchabend und ich hatte kurz vorher eine junge Frau kennengelernt, die selber in einem Buch vorkommt. Sie hatte ich als special guest für den Abend eingeladen. Und in dem Buch geht’s darum: ein junges Mädchen lernt einen der letzten Überlebenden von Schindlers Liste kennen. Das Mädchen spielt selber Geige und ihr Lieblingsgeiger hatte die Titelmelodie von Schindlers Liste gespielt. Als 11-Jährige ungewöhnlich, aber damals wollte sie gerne wissen, was es damit auf sich hat. Was ist da passiert? Sie hat den Überlebenden kennengelernt, der auch selber Geiger war. Zwischen den beiden ist Vertrauen entstanden und eine Kölner Journalistin hat ein Buch darüber geschrieben. Das hat mich sehr berührt, beschäftigt mich und lässt mich auch nicht mehr los. Da gibt es Pläne, zusammen mit dieser Frau und dem Buch in die Schulen hier zu gehen und die Geschichte zu thematisieren, damit sie sich nicht wiederholt. Das liegt mir am Herzen und ist ein Projekt fürs nächste Jahr.
Danke für das Interview, Herr Ahrweiler! Zu guter Letzt: Haben Sie noch eine Buchempfehlung für unsere Leser?
Das Buch, das ich gerade angesprochen habe, natürlich. Es heißt „Spiel mir das Lied vom Leben“ von Angela Krumpen. Das ist ein schmales Taschenbuch und liegt mir wie gesagt am Herzen. Ansonsten mein Jahresliebling ist von Mareike Fallwickl, einer Debütantin. Das Buch heißt „Dunkelgrün fast schwarz“ und war auch auf der Shortlist der unabhängigen Buchhändler. Es ist ein ganz tolles Buch über eine Dreiecksgeschichte, die auf zwei Zeitebenen spielt. Es hat viel mit Abhängigkeit zu tun und mit dem Thema Freundschaft. Das geniale ist die Sprache und es ist toll, wie die Autorin es hinbekommt, das komplexe Beziehungskonstrukt, das sie entwickelt hat, auch wirklich zu einem plausiblen, nachvollziehbaren Ende zu bringen. Das ist eine Stärke des Buches. Mein Liebling des Jahres!