Lohnt es sich, als Psychotherapeut*in zu promovieren?

Mann mit Buch in der Hand am Schreibtisch, Stapel Bücher

Hast du schon mal darüber nachgedacht neben deiner therapeutischen Tätigkeit zu promovieren? Vielleicht hast du eine spannende Forschungsstelle gesehen oder denkst, dass sich der Titel gut auf dem Praxisschild macht? Wir zeigen dir, welche Argumente für oder gegen eine Promotion sprechen – und worauf du achten solltest, wenn du dich dafür entscheidest.

Für uns Psychotherapeut*innen ist es selbstverständlich, uns an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren. Sicherlich haben einige von euch auch schon einmal überlegt, selbst wissenschaftlich zu arbeiten. Vielleicht gibt es eine psychische Störung, die dich besonders fasziniert und über die du mehr herausfinden möchtest. Vielleicht kennst du aus deiner Klinik ein Forschungsprojekt, an dem du mitarbeiten möchtest. Vielleicht hast du eine spannende Stellenausschreibung an einer Universität gesehen. Wenn es um wissenschaftliches Arbeiten geht, geht es oft auch automatisch um das Thema Promotion. Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen, neben einer therapeutischen Tätigkeit zu promovieren? Und wenn ich mich für eine Promotion entscheide, worauf sollte ich achten?

Lachende Frau vor Whiteboard

Begeistert dich das Thema?

Eine Promotion setzt sich zusammen aus einer schriftlichen Arbeit (Dissertation) und einer mündlichen Prüfung (Disputation oder auch Verteidigung). Du setzt dich dafür mehrere Jahre lang vertieft mit einem Thema auseinander. Am Ende der Promotion bist du absolute*r Experte*in dazu, hast hunderte Artikel gelesen und eigene Befunde zu Papier gebracht. Nicht selten haben Doktorand*innen am Ende ihrer Promotion mehr Spezialwissen zu ihrem Thema angesammelt als ihre Doktormütter oder -väter. Das bedeutet auch: Eine anfängliche Begeisterung für das Thema sollte nicht schon nach kurzer Zeit verfliegen. Sie sollte auch Kritik oder Desinteresse von anderen standhalten. Die Frage, ob du dich auch langfristig für das Thema begeistern kannst, solltest du dir deshalb unbedingt kritisch stellen.

Vielleicht hilft es dir dabei, konkret festzuhalten: Wie genau ist mein Thema definiert? Zu welchen Forschungszweigen und -disziplinen bietet es Schnittmengen? Von welchen ist es klar abzugrenzen? Wie neu und innovativ, bzw. wie etabliert ist mein Ansatz? Welche gesellschaftliche Relevanz hat mein Thema? Was kann meine Forschung praktisch bewirken, was nicht? Was könnten andere, Expert*innen, aber auch fachfremde Personen, daran spannend finden? Was könnten sie kritisch sehen?

Wenn du dein Thema spannend und wichtig findest und wenn dich mögliche Kritik daran eher anspornt als verunsichert, ist das schon einmal eine gute Grundlage. Dennoch ist es völlig normal, dass im Laufe der Promotion auch Zweifel oder Motivationsprobleme auftreten. Dann heißt es, damit umzugehen und daraus zu lernen. Gleichzeitig kann ein Thema umso interessanter werden, je mehr du dich damit auseinandersetzt, je mehr du dazu lernst, diskutierst und je tiefgreifender du es verstehst. Genau dieses „Eintauchen“ war für mich die schönste Erfahrung an meiner Promotion.

Offenes Buch in Händen einer Frau

Wie hoch sind die Kosten?

Eine Promotion ist mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden, der nicht immer fair bezahlt wird. Gerade während der ebenfalls zeit- und kostenaufwendigen Psychotherapieausbildung ist es wichtig, das zu berücksichtigen. Für eine Promotion im Fach Psychologie sind im Vollzeitmodell drei, im Teilzeitmodell fünf oder mehr Jahre vorgesehen.

Zwei Aspekte führen besonders häufig zu Problemen und sollten deshalb vorab transparent mit dem Doktorvater oder der Doktormutter besprochen werden:

  1. Promotionen werden oft durch eine (Teilzeit-)Stelle in einem Forschungsprojekt finanziert. In diesem Fall ist zu klären, ob diese Stelle ausschließlich die Arbeit an dem Projekt oder zusätzlich die eigene wissenschaftliche Qualifizierung finanziert. Es ist verständlicherweise demotivierend, wenn die Arbeit an der Promotion unbezahlt in der Freizeit statt im Rahmen einer Anstellung stattfindet.

  2. Es gilt auch, die Dauer der Promotion mit der Dauer der Finanzierung abzugleichen und gegebenenfalls einen Plan für die Anschlussfinanzierung zu entwickeln. Besonders der Abschluss von Promotionen dauert oft länger als erwartet und hängt von den spezifischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Universität ab. Etwa davon, ob die Artikel einer kumulativen Dissertation (s. u.) vor der Disputation allesamt veröffentlicht sein müssen oder wie lange der Begutachtungsprozess dauert. Auch hier gilt es, gemeinsam mit der Doktormutter oder dem Doktorvater zu einer realistischen Einschätzung der Promotionsdauer zu kommen. Zur Anschlussfinanzierung kommen Stipendien oder Folgeanstellungen infrage.

Leider sind unbezahlte Überstunden oder das Arbeiten an der Promotion über die Finanzierungsdauer hinaus nicht selten. Diese Kosten solltest du deshalb für deine Entscheidung realistisch reflektieren, um nicht während deiner Promotion desillusioniert zu werden.

Gut zu wissen: Neben der klassischen Monographie gibt es die Möglichkeit einer kumulativen Dissertation. Diese besteht in der Regel aus drei Artikeln, die in wissenschaftlichen Fachzeitschriften eingereicht, angenommen oder veröffentlicht sein müssen. Die genauen Bedingungen unterscheiden sich je nach Promotionsordnung. Zusätzlich zu den drei Artikeln besteht eine kumulative Dissertation aus einer allgemeinen Einleitung und einer allgemeinen Diskussion.

Kumulative Dissertationen werden zunehmend beliebter, weil das Format zum Schreiben und Veröffentlichen von wissenschaftlichen Artikeln anregt und die Anzahl und Qualität wissenschaftlicher Artikel eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine weitere erfolgreiche wissenschaftliche Karriere sind.

Hand hält Blumentopf mit Sukkulent

Was ist der Nutzen?

Das klassische Klischee ist die Promotion „fürs Klingelschild“ der Psychotherapiepraxis. Ein Doktor*innentitel bringt in großen Teilen der Gesellschaft Ansehen. Gut möglich, dass eine Praxis mit „Dr*in“ auf dem Klingelschild dadurch auch mehr Klient*innen anzieht – genaue Daten gibt es dazu nicht. Und ohnehin ist das nicht der wichtigste Nutzen einer Promotion.

Viel wichtiger ist der Zugewinn an Wissen und Fähigkeiten – Wissen zu deinem spezifischen Promotionsthema sowie Fähigkeiten in den Bereichen wissenschaftliches Schreiben, Datenanalyse, kritisches Denken, Kommunikation, Management und Teamarbeit… um nur einige zu nennen. Auch Disziplin, Frustrationstoleranz und Kompromissbereitschaft gehören zu den Fähigkeiten, die für eine Promotion wichtig sind und die du im Laufe dieser Jahre weiterentwickeln kannst. Hierin liegt auch der eigentliche Karrierevorteil einer Promotion für praktisch arbeitende Psychotherapeut*innen: Sie ist eine anspruchsvolle und umfangreiche Qualifizierung, die auch außerhalb der Forschung neue Jobchancen ermöglicht.

Einige dieser positiven Aspekte waren mir zu Beginn meiner Promotion bewusst, andere habe ich erst im Laufe der Jahre bemerkt. So habe ich etwa die Flexibilität meiner Arbeit sehr geschätzt. Ich bin dankbar, so viele nette und kluge Kolleg*innen kennengelernt, mit ihnen gearbeitet und von ihnen gelernt zu haben. Ich konnte im Ausland arbeiten und durch Kongressreisen neue Orte kennenlernen. All das hat dazu geführt, dass ich mich fachlich und persönlich weiterentwickelt habe. Dadurch war die Promotion für mich, ähnlich wie die Ausbildung, eine prägende Lebensphase, für die ich sehr dankbar bin. Wie genau sie mich geprägt hat, das konnte ich nicht von Anfang an genau einschätzen. Insofern ist es auch meine persönliche Empfehlung an diejenigen von euch, die nun Lust auf eine Promotion bekommen haben und durch die genannten Kosten nicht absolut verschreckt sind: Wenn sich eine passende Gelegenheit ergibt, probiere es doch einfach aus und beobachte, wie dir das Promovieren gefällt. Ob du die Begeisterung für dein Thema aufrechterhalten kannst, wie du mit den Herausforderungen umgehst und was du persönlich an dieser Arbeit wertzuschätzen lernst.

Frau am Schreibtisch mit Laptop und Büchern von oben

Falls du dich für eine Promotion entscheidest, folgen hier noch vier praktische Tipps:

1) Kläre die Formalien

Die wichtigsten Rahmenbedingungen deiner Promotion stehen in der Promotionsordnung festgeschrieben. Weitere Bedingungen sind mit deinem Doktorvater oder deiner Doktormutter zu klären. Leitfragen hierfür können sein: Steht das Thema meiner Promotion schon fest? Wie wird meine Promotion finanziert? Was sind meine Arbeitszeiten? Welche sind meine Aufgaben? Von wem werde ich wie engmaschig betreut? Wie lautet der Zeitplan für meine Promotion? Verfasse ich eine kumulative Promotion oder eine Monographie? Wie viele Artikel soll ich verfassen bzw. veröffentlichen? Wie werden Autor*innenschaften vergeben? Welcher Titel wird mir durch meine Promotion verliehen (z. B. PhD, Dr.*in phil., Dr.*in rer. nat.).
 

2) Sorge für eine sichere Finanzierung

Finanziert werden Promotionen meistens über befristete (Teilzeit-)Stellen an Universitäten. Hier sind die sogenannten Haushaltsstellen, die in der Regel auch Lehrtätigkeiten umfassen, von Drittmittelstellen in Forschungsprojekten zu unterscheiden. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten sind Stipendien oder externe Anstellungen.

Frau mit Klemmbrett, Couch im Hintergrund

3) Gutes Timing hilft

Wie bei der Psychotherapieausbildung ist bei der Promotion besonders die Anfangsphase zeitaufwendig und unflexibel, weil hier die Daten erhoben werden. Die Datenauswertung und das Veröffentlichen der Ergebnisse können dann zeitlich flexibler gestaltet werden. Wenn du überlegst, deine Promotion parallel zur Psychotherapieausbildung zu machen, ist es daher sinnvoll, entweder nach Ende der praktischen Tätigkeiten mit der Promotion zu beginnen oder nach Abschluss der Datenerhebungen mit der Psychotherapieausbildung.
 

4) Suche Unterstützung

Egal wie gut deine Rahmenbedingungen, deine Finanzierung und dein Timing geplant sind: Eine Promotion bringt viele Herausforderungen mit sich. Die gute Nachricht ist: Du musst nicht alles allein schaffen. Baue dir ein gutes Unterstützungsnetzwerk auf. Dazu gehören dein Doktorvater oder deine Doktormutter, aber binde auch andere fachliche Mentor*innen ein. Kolleg*innen können dir einen Reflexionsraum, praktische Tipps und Unterstützung bieten. Eine gute Teamatmosphäre macht jede Arbeit angenehmer. Und nimm natürlich auch deine Freund*innen, Partner*innen, Familie und die anderen wichtigen Menschen, die dich auf deinem bisherigen Weg begleitet haben, mit auf diesen neuen Pfad.