Eigensicherung in der ambulanten Psychotherapie
Patientengewalt, die sich gegen Psychologische Psychotherapeuten im ambulanten Setting richtet, ist erfreulicherweise ein eher seltenes Phänomen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch niedergelassene Psychotherapeuten in aggressive, potenziell gewalttätige Interaktionen geraten, ist jedoch nicht auszuschließen. Es ist daher durchaus hilfreich, ein Grundlagenwissen in den Bereichen Sicherheitsmanagement und psychologische Deeskalation zu haben.
Eine kurze Einführung in das Thema Bedrohungsmanagement
Die junge Disziplin des Bedrohungsmanagements findet in unterschiedlichen Bereichen Anwendung. Beispielsweise im Gesundheitswesen, bei verschiedenen Behörden oder in sicherheitsrelevanten Unternehmen - um nur einige zentrale Bereiche zu nennen. Eine der wichtigsten Grundlagen des Bedrohungsmanagements ist die Erkenntnis, dass sich im Vorfeld von Gewalt oftmals wahrnehmbare und beschreibbare Merkmale finden, die eine anstehende Tat "ankündigen". Professionelle Risiko- und Bedrohungsanalysen stellen daher einen ersten Schritt der Eigensicherung dar. Diese erfolgen anlassbezogen, mit dem Ziel, (potenziell) gefährliche Entwicklungsmuster zu identifizieren, deren konkretes Bedrohungspotenzial einzuschätzen und dieses auszuschalten, noch bevor es zu einer Eskalation kommt.
Bedrohungsmanagement für Therapeuten
Für die Optimierung der Sicherheit sowohl für Therapeuten als auch für deren Patienten, kann – je nach Praxis- und Tätigkeitsschwerpunkt – ein professionelles Bedrohungsmanagement implementiert werden. Zu beachten sind dabei unterschiedliche Ebenen:
Die Ebene der Sicherungsmaßnahmen beinhaltet
- Die Konkretisierung des individuellen Sicherheitsbedarfs: Welche Art von Maßnahmen sind notwendig?
- Die Ermittlung des jeweils individuellen Bedarfsprofils: Wie intensiv sollen die Maßnahmen ausfallen?.
Die Gefährdungsebene beinhaltet einen Vielzahl zu berücksichtigender spezifischer Dimensionen. Beispielsweise:
- die Patientendimension: Behandele ich vorwiegend Patienten mit Diagnosen, von denen bekannt ist, dass sie eher mit gewalttätigem Verhalten einhergehen als andere?
- die Settingdimension: Beinhaltet die Zusammenarbeit mit den Patienten häufige frustrane Sequenzen, die die Wahrscheinlichkeit für Aggression steigern - wie Beispielsweise in einer Gutachterpraxis der Fall?
- und nicht zuletzt situative Aspekte: In welchem Zustand befindet sich der Patient während der aktuell laufenden Sitzung?
Mit Blick auf die Vielzahl sicherheitsrelevanter Faktoren muss die Implementierung eines Bedrohungsmanagements stets vor Ort erfolgen und die jeweils individuellen Spezifika berücksichtigen. Der konkrete, im Einzelfall notwendige finanzielle, zeitliche und organisatorische Aufwand orientiert sich dabei an dem jeweiligen individuellen Schutzbedarf. Je nach vorhandener Risikokonstellation und definiertem Sicherheitsziel können beispielsweise (regelmäßig aufzufrischende!) Grundlagentrainings in psychologischer Deeskalation ausreichen. Denkbar sind aber auch Szenarien, die die Hinzuziehung unterschiedlicher Sicherheitsexperten und/oder die langfristige Begleitung durch professionelle Bedrohungsmanager notwendig machen.
Zusammenfassend sollte eine umfängliche Risikoanalyse folgende Fragen beantwortet haben:
- Wer ist von wem, wann und unter welchen Umständen, wo, auf welche Art und Weise, wie wahrscheinlich gefährdet und wie kann diese Gefahr eliminiert bzw. auf ein (zu definierendes) Restrisiko reduziert werden?
- Welche Kontingenzen sollen in einer Gefahrenlage greifen?
- Welche Nachsorgemaßnahmen sollen nach einem Übergriff sinnvollerweise erfolgen?
Bauliche Präventionsmaßnahmen
Je nach individueller Gefährdungslage kann mittels geeigneter baulicher Maßnahmen das Risiko für gewalttätige Übergriffe auf Praxisinhaber, Patienten und Praxispersonal gesenkt werden. Zu unterscheiden sind dabei Maßnahmen im Innenbereich von solchen im Außenbereich der Praxis. Das Herstellen einer optimalen Übersichtlichkeit und straßenseitigen Einsehbarkeit von Ein- und Ausgängen bzw. von Fensterfronten, Parkplätzen, Tiefgaragen, Auffahrten etc. kann dabei einen ersten sicherheitsoptimierenden Schritt darstellen. Dazugehörig ist auch die Vermeidung von Nischen und schlecht einsehbaren Ecken - hier kann die angemessene Ausleuchtung mittels Sensorschaltung und das Anbringen von Rundspiegeln eine hilfreiche Maßnahme darstellen.
Für den Innenbereich gilt es Räumlichkeiten, in denen die Kontakte zu potenziell gefährlichen Personen erfolgen, aufgeräumt und übersichtlich zu halten und regelmäßig zu überprüfen, ob beispielsweise Stolperfallen eine Flucht verhindern und ob viele Gegenstände vorhanden sind, die leicht als Waffe benutzt werden können. Je nach Schutzbedarf kann Mobiliar (mit abgerundeten Ecken) fest installiert werden. Arbeitsmittel wie Computerbildschirme und Drucker können so gesichert werden, dass sie nicht ohne weiteres hochgehoben und beispielsweise als Wurfgeschoss verwendet werden können.
Von baulichen Veränderungen durch Laien, beispielsweise anhand von Fachliteratur, ist allerdings abzuraten. Vielmehr sollte die Implementierung baulicher Sicherungsmaßnahmen stets nach angemessener Information und Beratung durch entsprechend spezialisierte Personen oder Unternehmen erfolgen.
Psychologische Deeskalation in aggressiv eskalierenden Krisen
Aggression wird definiert als jedes Verhalten, das darauf abzielt, ein anderes Lebewesen zu verletzen. Die dabei vorhandene emotionale Aktivierung, die Ziele, die Spontanität oder Geplantheit des Handelns und die jeweils dazugehörigen Kognitionen unterscheiden sich bei den verschiedenen Aggressionsformen allerdings deutlich.
Es ist deswegen hilfreich, zunächst zwischen sogenannter heißer und kalter Aggression zu unterscheiden. Körperliche und verbale Gewalt als „heiße Aggression” ist in der Regel spontan, impulsiv, defensiv, kommt oftmals sekundär als Reaktion auf Angst zustande und zielt auf Verteidigung ab. Im Vordergrund steht meistens die emotionale Ebene mit hoher Ausprägung von Wut und es besteht intensiver Handlungsdruck (kämpfen!). Auf kognitiver Ebene finden sich hauptsächlich undifferenzierte Bewertungen der aktuellen Situation (meist als gefährlich, ungerecht o. Ä.). Ganz anders kann bei der kalten Aggression ein höherer Anteil der kognitiven Ebene angenommen werden. Allein dadurch ist zielorientierte, oft planvoll, exakt und stringent ausgeführte körperliche und / oder verbale Gewalt möglich. Auf emotionaler Ebene findet sich hingegen oftmals Genugtuung bzw. eine als ausgesprochen angenehm erlebte Stimulierung.
Ein hilfreicher Umgang mit heißer Aggression seitens Patienten, von denen körperliche Gewalt erwartet werden kann, verzichtet auf Grenzziehungen und inhaltliche Bearbeitungen, Beziehungsklärungen bzw. auf "pädagogische" Interventionen. Ebenso ist das Einfordern von Höflichkeit oder das Bestehen auf Vereinbarungen zum Umgang miteinander kein angemessener Interventionsfokus in aggressiven Krisensituationen.
Es empfiehlt sich vielmehr - jedoch nur so lange die eigene Sicherheit nicht bedroht ist - Interventionen eher auf die emotionale Aktivierung zu beziehen und dabei eine gleichermaßen sachliche, respektvolle, akzeptierende und validierende Haltung einzunehmen. Die dabei einzunehmende Haltung ist aufmerksam, zugewandt und ansatzweise an die Dynamik des Patienten angepasst – das Gegenüber wird ernst genommen. Es kann daraufhin versucht werden, die Auslöser für die Aggression umfassend zu explorieren, mit dem Ziel gemeinsame Lösungsstrategien zu entwickeln.
Dieses Vorgehen kann bei Patienten einen stabilisierenden und entschärfenden Effekt haben (aufgrund des Erlebens von Respekt und Aufrechterhaltung der Fürsorge).
Bei akuter Bedrohung
Angesichts unmittelbar drohender Gefahr geht es einzig und allein um die Aufrechterhaltung der eigenen körperlichen Unversehrtheit. Dies bedeutet, dass alle Interventionen unmittelbar zu unterlassen sind und die Flucht zu ergreifen ist.
Handelt es sich um eine Situation, aus der geflüchtet werden kann, sollte dies - bei entsprechender Bedrohung - auch unmittelbar getan werden. Das Absetzen eines Notrufs sollte erst erfolgen, wenn ausreichend Abstand zu der jeweiligen Bedrohung hergestellt ist. Die Unterstützung Anderer sollte nur dann stattfinden, wenn die eigenen Sicherheit gewährleistet ist und durch die Hilfestellung keine neue Bedrohung entsteht.
Praktisches Einüben ist unumgänglich
Einschränkend muss auch hier verdeutlicht werden, dass professionelle Kompetenzen im Umgang mit gewalttätigem Verhalten nur praktisch erworben werden können. Die einschlägigen Fort- und Weiterbildungsangebote sind dabei mittlerweile kaum noch überschaubar bzw. ist deren Qualität für Laien nur schwer zu beurteilen. Daher empfiehlt es sich, bei der Auswahl der Dozenten und Trainer sowohl das Vorhandensein einer Ausbildung für den betreffenden Bereich zu überprüfen (Fachkompetenz) als auch das Vorhandensein von Feldkompetenzen (Praxisexpertise, Verfügbarkeit von Erfahrungswissen bezüglich des jeweiligen Berufsfeldes). Trainings und deren Outcome sollten darüber hinaus stets gemeinsam mit den Trainern evaluiert werden können. Grundlagenschulungen in psychologischer Deeskalation sollten ferner mindestens folgende Themenbereiche abdecken: Grundlagen von Aggression und Gewalt, Diagnostik und Prognose gewalttätigen Verhaltens, Krisenkommunikation, Eigensicherung und Deeskalation.