Finanzielle Selbstsabotage in der Psychotherapie aufdecken

Über Geld spricht man nicht? Das haben nicht nur unsere Klient:innen, sondern auch viele Psychotherapeut:innen verinnerlicht. Psychodynamische Ansätze können dabei helfen, finanzielle Probleme zu verstehen und aufzulösen. Finanz-Psychotherapeutin Vicky Reynal beschreibt, wie du deine Klient:innen dabei unterstützt, Veränderungen zu initiieren, mit Gewohnheiten zu brechen und ihr finanzielles Wohlbefinden zu verbessern.
Steve kontaktierte mich für das, was ich finanzielle Psychotherapie nenne: die Anwendung der psychodynamischen Psychotherapie, um die Beziehung von Klient:innen zu Geld zu verstehen. Er erklärte, dass sein Verhältnis zu Geld insgesamt in Ordnung sei, da er ein gutes Gehalt verdiene, nicht über seine Verhältnisse lebe und in der Lage sei zu sparen. Es gebe jedoch einen Bereich in seinem finanziellen Leben, der sich unmöglich zu bewältigen anfühle: seine Schulden aus dem Studium. Allein der Gedanke daran versetze ihn in Angst. Er habe bislang keine Versuche unternommen, sein Studentendarlehen zurückzuzahlen, und es liege auf einem Konto mit sehr hohen Zinssätzen, welche er auch nicht neu zu verhandeln versucht hatte.
Steve habe eine gute Karriere in der Kunstbranche. Mit 39 Jahren leite er ein erfolgreiches Kunstmagazin und verkaufe seine eigenen Kunstwerke bei mehreren Galerien. Doch der Weg dorthin sei nicht einfach gewesen. Mit 20 Jahren habe er die Business School abgebrochen, die er nur auf Druck seiner Eltern besucht hatte. Seine Eltern hätten gerne gewollt, dass er eines Tages das Familienunternehmen übernehme, und seien über seine Entscheidung, die Schule abzubrechen, empört gewesen. Sie drängten ihn, es sich noch einmal zu überlegen und das „Verantwortlichste“ für sich selbst und die Familie zu tun. Als Steve sich weigerte, entschieden seine Eltern, ihm den Geldhahn zuzudrehen, und zogen ihr Angebot zurück, seine Ausbildung zu finanzieren.
Steve nahm ein Angebot einer angesehenen Kunstschule an, lieh sich Geld von seinem Onkel, um seine Lebenshaltungskosten zu decken, und nutzte ein Studentendarlehen, um die Schule zu bezahlen, wodurch er in jungen Jahren eine erhebliche Schuldenlast aufbaute. Einige Jahre später fand er heraus, dass sein jüngerer Bruder seine Leidenschaft für den Journalismus mit der vollen Unterstützung seiner Eltern verfolgen durfte. Trotz seines Erfolgs als Unternehmer schaffte Steve es nicht, sein Studentendarlehen zurückzuzahlen und hatte sich mit seinem Onkel über die Rückzahlung des geliehenen Geldes zerstritten.

Mit der Zeit erkannten wir in der Psychotherapie, dass das Festhalten an der Schuldenlast für Steve bedeutete, dass es immer noch Hoffnung geben könnte, dass seine Eltern ihre Meinung ändern würden, dass sie Wiedergutmachung suchen und sich endlich entschuldigen oder sogar anbieten würden, das Geld zurückzuzahlen. Sich nicht mit dem Darlehen auseinanderzusetzen, war finanziell destruktiv, aber es erfüllte einen psychologischen Zweck: Es schützte ihn davor, sich der schmerzhaften Realität der Entscheidung seiner Eltern zu stellen und zu akzeptieren, dass dies nun mal die Eltern waren, die er hatte. Es schützte ihn vor dem schmerzhaften Trauerprozess um die Eltern, die er sich eigentlich wünschte.
Symbolische Bedeutung von Geld
Nach wenigen Sitzungen wurde klar, dass die Schulden eine hohe symbolische Bedeutung hatten. In Steves Augen stellten sie die Ungerechtigkeit der Entscheidung seiner Eltern dar. Wie konnten sie nur so hart und kontrollierend sein, ihre Großzügigkeit an die Studienwahl zu knüpfen? Wie konnten sie seinem Bruder die Wahlmöglichkeit und finanzielle Freiheit gewähren - und ihm nicht? Das Darlehen, das hohe Zinsen anhäufte, stellte die Wut dar, die Steve noch nicht loslassen konnte. Steves Widerstand, überhaupt die Bank anzurufen und um bessere Konditionen zu bitten, war von hartnäckiger Qualität – wir mussten dieser scheinbaren Selbstsabotage weiter auf den Grund gehen.
Es gab noch einen weiteren psychologischen Grund, warum er an den Schulden festhielt. Solange die Schulden da waren, waren sie ein konkreter Beweis für den „Schaden“, den seine Eltern ihm zugefügt hatten. Ich fragte Steve, was es bedeuten würde, wenn er seine Schulden beglich, und er antwortete: „Dass sie gewonnen haben.“ Wäre Steve endlich schuldenfrei, wären die Eltern in seiner Wahrnehmung „aus dem Schneider“, doch sein Schmerz wäre immer noch da und das Darlehen die sichtbare Narbe. Das Darlehen konnte in seiner Vorstellung eine Scham hervorrufen, von der er hoffte, dass seine Eltern sie wegen ihrer Entscheidung, ihm den Geldhahn zuzudrehen, empfinden würden.
Wir erkannten auch, dass der Streit mit seinem großzügigen Onkel eine Verlagerung jener Wut war, die seinen Eltern galt.
Finanzielles Verhalten als Selbstsabotage
Irrationales und destruktives finanzielles Verhalten kann auf vielerlei Art einem psychologischen Zweck dienen. Wie das Beispiel von Steve zeigt, kann Untätigkeit ebenso zerstörerisch sein wie aktive finanzielle Selbstsabotage. Das Nicht-Aushandeln eines Gehalts oder einfach das Vernachlässigen der Finanzen können ein subtiler Ausdruck dafür sein, dass es uns an Selbstfürsorge und Gesundheitsansprüchen mangelt.

Oft ist dies ein Weg, um mit schmerzhaften oder scheinbar nicht akzeptablen Gefühlen umzugehen, und manchmal ist es ein Weg, um mit Gefühlen umzugehen, die der Vergangenheit angehören, anstatt der gegenwärtigen Situation. Einer meiner Klient:innen erkannte, dass er jeden Monat wieder in Geldnot geriet, damit er seinen distanzierten Elternteil anrufen und ein gewisses Maß an „Fürsorge“ spüren konnte, wenn ihm Geld angeboten wurde. Für einen anderen Klienten war das zu viele Ausgeben von Geld ein Zeichen für Trennungsangst: „Wenn ich finanziell unabhängig werde, werden meine Eltern mich bitten, auszuziehen.“ Sogar eine Spielsucht kann in einem Wunsch verwurzelt sein, einen vernachlässigenden Elternteil zu bestrafen, - nicht unüblich bei Kindern von Eltern, die von der Arbeit besessen sind: Als Reaktion auf die verbliebene Wut sabotieren sie ihre eigenen Karrieren, um sich von ihren Eltern abzugrenzen, oder als psychologische Vergeltung.
Selbstsabotage kann auch ein Weg sein, in romantischen Beziehungen mit Gefühlen umzugehen. Ich habe Paare gesehen, in denen die unkontrollierten Ausgaben eines Partners ein Weg waren, sowohl mit der Einsamkeit als auch mit der Wut umzugehen, die dadurch entstand, dass der andere Partner immer weniger verfügbar war. Für diejenigen, die in Beziehungen ängstlich gebunden sind und Angst vorm Verlassenwerden haben, ist finanzielle Selbstsabotage ein Weg, unbewusst ein Erlebnis von Fürsorge und Rettung zu rekonstruieren, welches die Sicherheit gibt, dass der andere Mensch sich kümmert und sie nicht verlässt.
Geldangelegenheiten sind ein Tabu
Freuds Überzeugung, dass „Geldangelegenheiten [… ] von den zivilisierten Menschen auf die gleiche Weise behandelt [werden] wie die Sexualangelegenheiten, mit derselben Inkonsistenz, Schüchternheit und Heuchelei“ (1913), ist auch heute noch von Bedeutung. Geldangelegenheiten sind in alltäglichen Gesprächen tabu. Klient:innen sind oft zögerlich, über Geld zu sprechen, und leiten ihre Bemerkungen dazu oft ein mit: „Ich möchte nicht oberflächlich klingen“ oder „Es tut mir leid, das Thema Geld anzusprechen, wenn wir eigentlich hier sind, um über Gefühle zu reden“.
Es war auch Freud (1878), der Geld als unrein bezeichnete und hervorhob, dass es sich wie „schnöder Mammon“ anfühle. In meiner Praxis habe ich dies v. a. bei Menschen gesehen, die in Familien mit starken religiösen oder antikapitalistischen Überzeugungen aufgewachsen sind und die als Erwachsene mit einem inneren Konflikt zu kämpfen haben, wenn ein Teil von ihnen das Streben nach Geld als einen Weg zum Glück betrachtet, während der andere Teil große Schuldgefühle wegen Materialismus oder Gier hegt.
Der Vater der Psychoanalyse schlug vor, dass Selbstsabotage mit Erfolgsangst verbunden sein könnte, da Erfolg als symbolisches Übertreffen des Vaters interpretiert werden könne. Gefühle von Schuld oder sogar Angst vor Vergeltung hindern uns dann daran, Erfolg zu erreichen (Freud, 1936).
Freuds Ideen zum „Wiederholungszwang“ (1920) – das unbewusste Nachstellen einer traumatischen Vergangenheit in der Gegenwart – können uns helfen zu verstehen, was Menschen dazu treiben könnte, in Beziehungen wiederholt die Kontrolle über ihre Finanzen abzugeben.

Freuds Theorien geben auch Aufschluss bzgl. Menschen, die Diebstähle begehen. Sie deuten darauf hin, dass man bei ihnen, bevor sie ein Verbrechen begehen, Schuldgefühle findet, was darauf schließen lässt, dass es die Schuld ist, die ihr Verhalten antreibt, und für die sie unbewusst Bestrafung suchen. Freud schrieb: „Es ist, als ob Erleichterung empfunden würde, dies unbewußte [sic] Schuldgefühl an etwas Reales und Aktuelles knüpfen zu können“ (Freud, 1923).
Wie man mit Geldproblemen arbeitet
Als Finanz-Psychotherapeutin biete ich einen Raum für Klient:innen, die ihre Beziehung zu Geld verändern wollen, aber nicht gesagt bekommen möchten, was sie tun sollen (sie brauchen zum Beispiel keine:n Finanzberater:in).
- Beschäftige dich mit deinen eigenen Geldproblemen: Wenn wir in Bezug auf Geld ungelöste komplizierte Gefühle haben, werden diese uns daran hindern, in der Therapie auf Hinweise zu diesem Thema zu achten und es mit derselben Neugierde wie andere Lebensbereiche in den Therapieraum einzuladen.
- Zeige Interesse an der symbolischen Bedeutung der Geldgeschichten deiner Klient:innen: Wofür steht Geld im Leben der Klient:innen, als Individuum und in ihren Beziehungen? Wir können unsere Klient:innen dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten zu reflektieren, inwieweit sie geben, empfangen, teilen, sich verwöhnen und verschwenderisch sein können. All dies wird oft über Geld ausgedrückt. Ihr Umgang mit Geld kann etwas darüber aussagen, ob sie sich als handlungsfähig und ihren Geldbesitz als gerechtfertigt erleben, während sie zugleich versuchen, ihre Sehnsucht nach Liebe und Glück zu erfüllen. Wenn Menschen in Beziehungen über Geld streiten, sprechen sie oft über Kontrolle, Macht, Fairness und Gleichheit.
- Beobachte und interpretiere, wie deine Klient:innen mit den Geldzahlungen an dich umgehen: Ich habe Klient:innen gehabt, deren Trauma durch Vernachlässigung sich in ihrem Wunsch ausdrückte, Sitzungen im Voraus zu bezahlen, „um sicherzustellen, dass man erscheint“. Oder solche, deren Narzissmus - oder in anderen Fällen deren Dankbarkeit - sich in der Bitte äußerte, dass ich meine Gebühren erhöhe (was ich nicht tun würde, aber dennoch interpretiere).
Klient:innen dabei zu helfen, zu verstehen, welche Emotionen ihre Beziehung zu Geld antreiben, ist der Schlüssel, um ihnen zu helfen, Veränderungen vorzunehmen, Gewohnheiten zu durchbrechen und so zu handeln, dass sich ihr finanzielles Wohlbefinden verbessert. Sich glücklich und im Einklang mit der eigenen Beziehung zu Geld zu fühlen, beginnt mit dem Verständnis der Entscheidungen, die wir treffen. Steves Schulden waren voller Bedeutung, und wie bei vielen meiner Klient:innen beginnt der Wandel des Verhaltens mit dem Verständnis seiner Bedeutung.
Die englische Originalversion des Artikels findest du hier: PDF als Download.
Zum Weiterlesen
(Werbung) Vicky Reynal (2025). Deine Psyche, dein Umgang mit Geld und du. München: Kösel Verlag.
Quellen
Freud, Sigmund (1913). Totem und Tabu: Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1991.
Freud, Sigmund (1878), Brief an Wilhelm Knöpfelmacher, 6. August 1878. Briefe 1873-1939. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1970.
Freud, Sigmund (1936). Brief an Romain Rolland - Eine Erinnerungsstörung auf der Akropolis. Gesammelte Werke, Band 16: Werke aus den Jahren 1932-1939. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1950.
Freud, Sigmund (1920). Jenseits des Lustprinzips. Gesammelte Werke, Band 13: Werke aus den Jahren 1920-1924. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1940.
Freud, Sigmund (1923). Das Ich und das Es. Gesammelte Werke, Band 13: Werke aus den Jahren 1920-1924. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag, 1940.