Langfristig zufrieden im Beruf: Als Therapeut:in Erfüllung statt Erschöpfung finden
Der Psychotherapeut:innen-Beruf kann zutiefst erfüllend, aber auch zermürbend sein. Zwischen erheblicher Arbeitslast, hohem Anspruch, Systemdruck und gesellschaftlichen Krisen ist Zufriedenheit kein Selbstläufer. Selbstfürsorge, Sinn, kreative Leichtigkeit und klare Grenzen sind entscheidend, um langfristig im Job glücklich und gesund zu bleiben.
Zwischen Idealismus und Erschöpfung
Viele von uns Therapeut:innen sind mit Idealismus in den Beruf gestartet – mit dem Wunsch zu verstehen, zu helfen, etwas zu bewegen. Doch mit der Zeit wird spürbar: Dieser Beruf fordert auch seinen Tribut. Der Spagat zwischen Fürsorge für andere und begrenzten Systemressourcen kann zermürbend sein. Etliche Jahre habe ich in Kliniken gearbeitet – ambulant, teilstationär, stationär. Ich mochte die Arbeit mit Menschen, die Teamdynamik, das Gefühl, Teil eines Systems zu sein, das helfen will. Und gleichzeitig war da immer dieses Ziehen im Hintergrund: zu viele Fälle, zu viel Organisation und Dokumentation, wenig Zeit, zu hohe Ansprüche. Das System funktionierte nur, wenn man selbst an seine Grenzen ging. Überbelastung wurde normalisiert. Irgendwann funktionierte ich nur noch und spürte mich nicht mehr. Ich habe mich in dieser Zeit auch oft gefragt, ob ich überhaupt den richtigen Beruf gewählt habe – die Antwort darauf war immer „ja”.
Heute weiß ich: Es war kein persönliches Scheitern, keine persönliche Schwäche. Es war der Punkt, an dem meine Werte, meine Haltung und das System nicht mehr zusammenpassten. Genau dort beginnt die Frage nach Stimmigkeit und damit nach langfristiger Erfüllung
Als Helferin am Limit
Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich fast ausschließlich im Überlebensmodus funktionierte. Zwischen Sitzungen, Supervision, Dokumentation, Telefonaten, Krisen und ständigen Veränderungen blieb kein Raum mehr für mich. Ich konnte kaum noch spüren, was mir eigentlich guttut. Ich war erschöpft, aber auch wütend – auf mich, auf das System, auf die Vorstellung, dass „gute Therapeut:innen“ alles aushalten müssen.
Ich erinnere mich an Kolleg:innen, die zynisch oder abwertend wurden, weil sie anders nicht mehr konnten. Ich erinnere mich an die Scham, selbst Unterstützung zu brauchen. Und an die stillschweigende Übereinkunft, über die Schattenseiten unseres Berufs lieber nicht zu sprechen.
Systemische Schwächen mindern Therapie - und Lebensqualität
Heute weiß ich: Es lag nicht an mir. Es liegt an den Strukturen. Zu wenig Therapieplätze, zu viele Patient:innen, zu wenig Zeit, zu viel Bürokratie, zu wenig Personal und vieles mehr. Therapiearbeit bedeutet Nähe, Empathie und Verantwortung. Genau das macht sie so besonders – und gleichzeitig verletzlich. Mitgefühlsmüdigkeit (Compassion Fatigue, Figley, 1980) beschreibt den Zustand, wenn Mitgefühl durch Dauerbelastung erschöpft. Betroffene fühlen sich emotional leer, überfordert und / oder innerlich taub. Die moralische Verletzung entsteht, wenn wir erleben, dass zentrale Werte oder professionelle Ideale im System nicht umsetzbar sind, weil z. B. die Behandlungszeit zu knapp ist oder die Qualität unter ökonomischem Druck leidet. Das Second Victim-Phänomen beschreibt schließlich die seelische Belastung von Behandelnden nach kritischen Ereignissen, Fehlern oder Systemversagen, verstärkt durch eine schwache Fehlerkultur. Diese Phänomene sind keine persönlichen Schwächen. Sie sind Ausdruck struktureller Überforderung – und sie zeigen, wie dringend es menschlichere Rahmenbedingungen braucht.
Zwischen Weltgeschehen und Praxisalltag
Die Anforderungen wachsen weiter: gesellschaftliche Spannungen, Klimakrise, Kriege, soziale Ungleichheit. Unsere Patient:innen bringen diese Themen mit in die Sitzungen und wir sind davon ebenso betroffen. Gleichzeitig steigt die Zahl psychischer Erkrankungen, Therapieplätze fehlen, Bürokratie wächst. Dazu kommen gesellschaftliche Dynamiken, die das Problem verschärfen: Die Individualisierung von Stress und Selbstfürsorge („Wenn du nur resilient genug bist, schaffst du’s schon“) blendet strukturelle Ursachen aus, verlagert das Problem auf Einzelpersonen und wird als persönliche Schwäche oder mangelndes Zeitmanagement interpretiert. Eine groß angelegte Studie von Sharif et al. (2021) zeigt, dass unser Wohlbefinden eng mit der Zeit zusammenhängt, die wir täglich für uns haben. Optimal sind zwei bis fünf Stunden pro Tag – sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig wirken sich negativ auf die Zufriedenheit aus. Für viele klingt das utopisch.
Besonders Frauen haben laut OECD-Daten (2018) deutlich weniger Freizeit als Männer, weil sie mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten. Diese Zahlen zeigen: Es liegt nicht am fehlenden Willen zur Selbstfürsorge, sondern an der fehlenden Zeit und der ungleichen Verteilung von Belastung. Und trotzdem wird Selbstfürsorge häufig als individuelle Aufgabe dargestellt, statt als strukturelle und gesellschaftliche Verantwortung anerkannt. All das trifft auch uns Therapeut:innen. Wir leben nicht außerhalb der Gesellschaft – wir fühlen, was sie bewegt.
Vom Ausbrennen zum Gestalten
Mein Wendepunkt kam, als ich merkte, dass ich mich selbst im System verloren hatte. Ich wusste, ich wollte weiter therapeutisch arbeiten, aber anders. Mit mehr Freiheit, Leichtigkeit und Tiefe. Also habe ich Ende 2023 das Kliniksystem verlassen und habe meine eigene Onlinepraxis gegründet. Gerald Hüther beschreibt Kohärenz als das Gefühl, dass das, was wir tun, stimmig und sinnvoll ist. Wir fühlen uns wohl, wenn das, was wir denken, fühlen und tun, im Einklang ist. Wenn wir stimmig und authentisch leben, steigt unser Gefühl von Erfüllung, Zufriedenheit und Glück. Ein Leben in Dissonanz kostet Energie! Und so fing ich an zu gestalten: Ich konnte entscheiden, wie viele Menschen ich begleite, mit welchen Themen und in welchem Tempo. Ich habe mir bewusst Patient:innen und Störungsbilder ausgesucht, die zu mir passen und bei denen ich wirklich etwas bewegen kann. Daneben arbeite ich mit Kolleg:innen in Einzel- sowie Gruppensupervisionen, gebe Workshops und Seminare zu den Themen Selbstwert, Selbstfürsorge und Resilienz.
Ich habe auch immer wieder feste Zeitfenster für mich eingeplant, wie Spaziergänge, Sport, kreative Arbeit, Pausen. Und ja, das klappt auch bei mir nicht immer. Aber ich versuche jeden Tag aufs Neue gut auf mich zu achten. Ich habe gemerkt, dass Zufriedenheit entsteht, wenn man wieder selbstwirksam wird und sich erlaubt, das eigene Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass es sich stimmig anfühlt.
Kohärenz und Sinn - Was uns langfristig trägt
In der Klinik war nicht immer alles sinnvoll und für mich oft nicht stimmig. Meine Werte sind häufig gegen die Wand gefahren. Heute arbeite ich weniger Stunden, habe mehr Energie und erlebe wieder Sinn. Das Lazarus-Stressmodell (1984) beschreibt genau diesen Mechanismus: Belastung entsteht, wenn Anforderungen unsere Ressourcen übersteigen, wenn wir keine Wertschätzung erfahren, die finanzielle Entlohnung nicht angemessen ist oder wir unsere Aufgabe als nicht sinnvoll erleben. Sinn, Selbstwirksamkeit und Wertschätzung sind keine netten Extras, sondern Grundvoraussetzungen für langfristige Zufriedenheit. Langfristig erfüllt im Therapieberuf zu bleiben, heißt also, die eigene Arbeit im Einklang mit den eigenen Werten bewusst zu gestalten. Das bedeutet auch, Strukturen zu hinterfragen, Pausen zu schützen und Räume zu schaffen, die Sinn und Freude erlauben.
Ein paar Aspekte, die uns tragen können:
- Stimmigkeit statt Perfektion: Arbeit darf unvollkommen sein – solange sie authentisch ist.
- Selbstwirksamkeit fördern: kleine Gestaltungsspielräume bewusst nutzen - in Methoden, Sprache, Haltung
- Sinn aktiv pflegen: sich regelmäßig fragen „Warum tue ich das?”
- Werte leben: nicht gegen die eigene Überzeugung arbeiten
- Leichtigkeit zulassen: Humor, Improvisation, kreative Techniken. Sie öffnen oft Räume, in denen Veränderung erst möglich wird.
- Zeit für sich ernst nehmen: Erholung ist kein Luxus, Voraussetzung für Empathie und Klarheit.
- Rollenklarheit: klare Rollendefinition und Bewusstsein. Du bist nicht für das gesamte Leben deiner Patient:innen verantwortlich, sondern für einen klar umrissenen Prozess.
- Grenzen setzen: zeitlich, emotional und inhaltlich
Langfristige Zufriedenheit entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch Stimmigkeit. Durch Räume, in denen wir ehrlich sein dürfen – auch über Erschöpfung. Durch Strukturen, die Menschlichkeit erlauben, statt sie zu bestrafen. Und durch Kolleg:innen, die sich gegenseitig erinnern: Wir müssen nicht alles können, aber wir dürfen gut für uns sorgen. Denn Zufriedenheit ist kein Zustand, den man einmal erreicht - sie ist ein lebendiger Prozess zwischen Sinn, System und Selbst. Eine tägliche Entscheidung: für Pausen, für Grenzen, für die Freiheit, mitzugestalten. Wir können das System nicht allein verändern, aber wir können entscheiden, wie wir darin leben.
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