Bewältigung fördern, Ressourcen stärken – Schreibtherapeutisches Arbeiten mit krebserkrankten Frauen
Sich kreativ auszudrücken hilft bei der Verarbeitung einer Krebserkrankung. Tanzen, malen – und auch Schreiben, wie unsere Autorin und Schreibtherapeutin Susanne Diehm weiß. Seit vielen Jahren arbeitet sie schreibtherapeutisch mit krebserkrankten Frauen. Wie auch du das Schreiben als Methode in der Therapie bei Patientinnen mit Krebserkrankung nutzen kannst, erklärt sie dir hier.
Bei Krebs sind Psychoonkologen und Leiterinnen von Selbsthilfegruppen einer Meinung: Frauen verarbeiten die Krankheit besser, wenn sie "in den Ausdruck kommen". Wenn sie schreiben, malen, oder tanzen. Schreiben ist eine einfache, kostengünstige Methode, sich nicht nur zu entlasten, sondern auch zu stärken. Gemeinsam mit Professor Jalid Sehouli und meiner Teamkollegin Jutta Michaud haben wir in den letzten sieben Jahren das Schreiben an die Frauenklinik der Charité und andere Kliniken gebracht – und dabei viel bewegt. Wenn du selbst eine Patientin anleiten willst, brauchst du nur einen Stift und ein paar Bögen Papier - und das Wissen, wie du Schreiben zur Gesundheitsförderung anleitest und einsetzt.
Vom Schreiben überzeugen...
Manche Menschen haben schlechte Erfahrung mit dem Schreiben in der Schule gemacht. Ihre Texte wurden an literarischen oder sonstigen Ansprüchen gemessen. Sie fühlen sich schlecht bewertet. Um ihnen die Hemmung zu nehmen, hilft es, den Klienten zu vermitteln:
- dass es hier um Spaß und das Erleben der eigenen Schaffenskraft geht, nicht um Bewertung und Zensur.
- dass der Prozess im Vordergrund steht und nicht das Produkt, das daraus entsteht.
- dass jeder Mensch sich schreibend seelisch entlasten und stärken kann.
Wer den Stift in die Hand nimmt, schreibt das Drehbuch seines Lebens neu.
... oder zum Schreiben verführen
Generell gilt: Kreativer Selbstausdruck erzeugt Entspannung und Glücksgefühle durch Endorphin- und Dopaminausschüttung. Sich selbst kreativ zu erleben führt zu Selbstvertrauen. Und das Flow-Erlebnis, selbstvergessen einer Tätigkeit nachzugehen, lässt ein gutes Gefühl aufkommen. Immer wieder hören wir von unseren Klientinnen, dass sie sich nach den Schreibseminaren energiegeladen fühlen und bereit sind, dem, was kommt, zu begegnen.
- Wer den Stift in die Hand nimmt, bringt die eigene Stimme zum Klingen.
- Wer den Stift in die Hand nimmt, hat entschieden, aktiv sein Leben zu gestalten.
- Wer den Stift in die Hand nimmt, schreibt das Drehbuch seines Lebens neu.
Was ist Gesundheitsförderndes Kreatives Schreiben (GKS)?
Das Gesundheitsfördernde Kreative Schreiben ist ein Mix aus Schreibmethoden und Themen, die für die Patientin bei der Krankheitsbewältigung relevant sind, wie z.B. Umgehen mit Gefühlen, Stärke in sich finden und das Wesentliche leben. Es speist sich aus Elementen der Positiven Psychologie, des biografischen und kreativen Schreibens, der Kunst- und Kreativitätstherapie sowie aus Erkenntnissen der Psycho-Neuroimmunologie.
Wie fange ich an?
Wenn du eine Session zum Kennenlernen konzipierst, kannst du z.B.
mit dem Seriellen Schreiben arbeiten. Das bedeutet, dass du einen Satzanfang 10x aufschreiben lässt, der damit beginnt: "Ich bin eine Frau, die..." Und schon entsteht ein kleines Portrait einer Frau, die nicht nur als „die an Krebs Erkrankte“ gesehen werden mag. Oder du lässt eine Liste schreiben dazu, worüber die Patientin zwanzig Minuten lang eine Rede halten könnte. Das bringt den Fokus auf die Dinge, die noch gehen, und nicht auf das, was nicht mehr möglich ist.
Wie wirkt das Schreiben?
Mit Schreibübungen ermutigst du Patientinnen, neue Haltungen zu entwickeln. Dadurch, dass du mit ihnen einübst, hilfreiche Gedanken zu stärken, entwickeln sich neue Pfade im Gehirn. Wenn sie auf diesen Pfaden öfters entlangfahren, dann entwickeln sie Autobahnen daraus. Patientinnen gewinnen Mut und Gelassenheit. Darum geht es immer wieder, damit die Angst vor der möglicherweise zurückkehrenden Krankheit nicht übermächtig wird.
Die Krankheit thematisieren?
Du musst nicht immer die Krankheit direkt thematisieren. Zwar kannst du auch darüber schreiben lassen, wie die Patientin damit umgeht, wenn die Krankheit als ungebetener Gast vor der Tür steht und sich nicht abweisen lässt. Aber manchen Frauen macht das zu viel Druck. Sie lassen sich lieber subtil anleiten. Im Folgenden gebe ich dir ein paar Übungsbeispiele, die ich so z.B. in einem anderthalbstündigen Schreibseminar an der Charité durchgeführt habe.
Heute ist ein guter Tag...
Übung 1 "Heute ist ein guter Tag...." so begann der Satz, der von unseren Teilnehmerinnen fortgesetzt wurde, auch wenn sie müde ankamen und sich einige von ihnen zunächst damit entlasteten, zu sagen, warum heute kein guter Tag war. Zu Beginn darf ungefiltert auf das Papier, wie es der Klientin grade geht.
Damit die Kreativität angeregt wird und wir mit inspirierenden Überraschungen zum Schreiben animieren, verwenden wir oft Bildimpulse. Die Frauen finden so einen leichten Einstieg, zu beschreiben, wie ein guter Tag – trotz der Krankheit! – für sie aussehen kann.
Waldbilder suggerierten bei dem Seminar... "vielleicht ist heute ein guter Tag für einen Waldspaziergang"?
Schreiberlebnisse beim Waldbaden
Der Wald ist ein Ort der Märchen und Mythen. Im Sommer an der Charité war es heiß und in unserem Schreibraum klebten den Teilnehmerinnen und mir die Blusen am Leib. So entführte ich meine Teilnehmerinnen mit einer kleinen Phantasiereise in den Wald. Gleich war es um uns herum gefühlt ein paar Grad kühler. Die Imagination ermöglicht, dass du durch das Anregen der Vorstellungskraft – und das darüber Schreiben – Einfluss auf körperliche Reaktionen nimmst. Suggestiv das Vorstellungsvermögen anzuregen gehört dazu.
Assoziationen anregen und Ressourcen stärken
Ich versuche immer, zuerst das assoziative Feld zu eröffnen. Das Vorstellungsvermögen vielleicht mit einem Bild anzuregen. Begonnen hatte ich nach der "Heute ist ein guter Tag um..."-Übung und der Fantasiereise an diesem "Waldbadetag" mit der Suche nach Ressourcen, gekleidet in eine Metapher.
Übung 2 Welcher Baum entspricht mir? Welche Stärke habe ich? Was sind meine Wurzeln? Wie bin ich eingebunden ins Universum? In einem Akrostichon sammelten die Frauen und begannen dann dazu eine Textminiatur zu verfassen.
B esonnen bin ich wie eine Birke, die in Solidarität mit ihren Schwestern steht und sich flexibel dem Sturm entgegenstellt.
I ch bin intelligent und wachse dort, wo ich genug Wasser habe.
R ücken frei in der Krankheit hält mir mein Mann, schwarz-weiße Tage halten wir gemeinsam aus.
K eine Angst haben muss ich, meine familiären Wurzeln tragen mich.
E ines Tages wird die Krankheit verschwunden sein - ich wachse weiter!
Autark und gelassen sein: Geschichte weiterschreiben
Nach dem Einstimmen auf unsere Kraft wagten wir uns richtig in den Wald. Wir lasen ein paar Textstellen eines Autors, der jahrelang allein im walisischen Wald gelebt hat. Aus ihnen spricht eine phänomenale Gelassenheit.
Übung 3 Diese Textstellen dienten den Teilnehmerinnen als Vorlage, sie weiterzuschreiben und ihre eigene Geschichte daraus zu machen. Einige nahmen die Stelle, wo der Autor das Baden an einem Wasserfall beschreibt: was er empfindet, was er sieht und hört... Oder sie beschrieben, wie sie allein im Wald überleben würden. Sie tauchten ein in einen Ort und in eine Zeit, die anders war – und sie überlebten alle!
Oft steckt die Lösung für ein Problem schon in uns, sie ist nur verdeckt. Beim Schreiben verbinden sich deine Klientinnen sensationell schnell mit dem Unbewussten.
Mit ungewohnten Situationen souverän umgehen
Die Patientinnen fanden schreibend ihren eigenen Weg, mit ungewohnten Situationen umzugehen. Denn oft steckt die Lösung für ein Problem schon in uns, sie ist nur verdeckt. Beim Schreiben verbinden sich deine Klientinnen sensationell schnell mit dem Unbewussten. Was sonst in langen Sitzungen kognitiv erarbeitet wird, sprudelt oft unbewusst in einer Geschichte auf das Papier. Damit kannst du dann weiterarbeiten.
Anonymität ist immer möglich
Falls die Frauen nicht über sich schreiben wollen, können sie auch eine Geschichte über eine andere Person schreiben, die sie erfinden und der sie Teile von sich mitgeben können. Aber meistens ist es ihnen ein Bedürfnis, von sich selbst zu erzählen und die Texte dann im Gruppensetting auch zu lesen. Das laute Lesen nach dem stillen Schreiben vermittelt das Gefühl, gehört zu werden und das Empfinden von Solidarität mit all den anderen Betroffenen.
Gedicht zum Wohlfühlort
Übung 4 Zum Schluss schrieben wir ein Gedicht, entweder ein Zevenaar oder ein Elfchen, mit allen Sinnen zum Wohlfühlort Wald. In Gedichten können die Klientinnen immer noch einmal sehr schön verdichten und komprimiert mittels ein paar Zeilen erzählen, was in der Schreibsession passiert ist. Und du als Therapeutin hast eine Rückmeldung, wie es für sie war. Nach dem Vortragen des Gedichts verließen die Teilnehmerinnen lachend, in aller Gelassenheit, den Schreibraum, und fuhren nach Hause, ganz im Bewusstsein ihrer Stärke.