So nutzt du Social Media, um über Psychotherapie aufzuklären

Eine sitzende Person hält mit der linken Hand einen Laptop auf ihren Knien, auf dessen Display die Worte Mental Health stehen. Mit der rechten Hand macht sie sich handschriftliche Notizen.

Kein Medium erreicht mehr Menschen als die sozialen Medien. Auch im Mental Health-Bereich nutzen immer mehr Professionelle, Kliniken und Verbände die Plattformen – um von ihrer Arbeit zu sprechen, aufzuklären und zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Psychotherapie beizutragen. Das birgt Stolpersteine, aber auch eine große Chance.

Social Media ist nicht mehr aus unserer Welt wegzudenken. Auch immer mehr Menschen aus dem Mental Health-Bereich nutzen die verschiedenen Plattformen. Neben therapeutisch oder beratend Tätigen finden sich mittlerweile auch Institutionen, Kliniken, Bündnisse, Verbände, aber natürlich auch Betroffene in den sozialen Medien. Sie nutzen diese bewusst für ihre Inhalte. Sie klären auf, vernetzen sich, informieren, machen Politik, lernen andere Betroffene kennen, schaffen Safe Spaces, führen eine Art digitales Tagebuch oder stellen die eigene Arbeit vor.

Die sozialen Medien scheinen somit prädestiniert dafür zu sein, zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Psychotherapie beizutragen. Kein Medium erreicht in bestimmten Altersgruppen mehr Menschen, ist so niedrigschwellig, immer und für beinahe jede:n zugänglich und kostengünstig. Wobei es natürlich Engagement, Zeit und Einfühlungsvermögen von Seiten der Nutzer:innen bedarf.

Aber wie genau kann der Raum Social Media zu einer Entstigmatisierung beitragen? Wie können Krankheitsbilder und die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten dargestellt werden ohne ethische Grenzen zu überschreiten? Welche Problemfelder gibt es zu beachten und wie kannst du als therapeutisch tätige Person aktiv werden?

 

Was bedeutet eigentlich Entstigmatisierung?

Der Begriff „Stigma“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet ursprünglich so viel wie Zeichen oder Brandmal. Früher wurden Menschen tatsächlich wegen negativer Eigenschaften oder Verbrechen, die sie begangen hatten, gebrandmarkt. So waren sie leicht zu erkennen.

Eine Frau hält eine Hand vor sich, auf der ein Klebezettel mit einem großen X klebt, ihren Kopf wendet sie zur Seite weg.

Leider haftet dem Begriff auch heute noch Negatives an. Ein Stigma zu haben, bedeutet, dass bestimmte Merkmale mit eindeutig negativen Eigenschaften oder Vorurteilen verknüpft werden. Ein angeblich hervorstechendes Persönlichkeitsmerkmal wird in eine Art Stereotyp gewandelt. Mit diesen Vorstellungen im Kopf wird dann wiederum ein vermeintliches Wissen darüber verbunden, welche Eigenschaften der betroffenen Person zugeordnet werden können. Im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen steht meist die Diagnose im Vordergrund, z. B. die Depression, die Borderline-Persönlichkeitsstörung, das Trauma etc. So entstehen falsche Schlussfolgerungen und Vorurteile, die wiederum Diskriminierung und Ablehnung nach sich ziehen. Stigmatisierung ist immer mit Bewertung verbunden.

Entstigmatisierung will folglich mit diesen Vorurteilen aufräumen und aufklären.

 

Aufklärung ist das Zauberwort

Wenn wir über Entstigmatisierung von Psychotherapie und psychischen Erkrankungen sprechen, sprechen wir über Aufklärung. Es geht im Prinzip darum darzustellen, dass psychische Erkrankungen jede:n treffen können. Social Media kann zeigen, dass es Mittel und Wege gibt, sich Unterstützung und Hilfe zu holen. Auch Angehörige können gut adressiert werden.

Es geht um Information, um Transparenz, um die Darstellung der eigenen Methode, um deren Wirkung – wobei das nicht mit einem Heilversprechen verwechselt werden darf. Es geht darum, Gesicht zu zeigen und hinter der weißen Wand hervorzutreten. Denn natürlich bringen therapeutisch Tätige sich mit ihrer Persönlichkeit ein und zeigen, was sonst vielleicht nicht sichtbar werden würde.

Hier liegt eine große Chance. Damit Betroffene aus Angst vor Stigmatisierung nicht zunächst alles mögliche ausprobieren, auf falsche Versprechungen, Scharlatanerie und alle möglichen Feel-good-Angebote hereinfallen, braucht es eine angstnehmende, aufklärende, transparente und niedrigschwellige Aufklärung. Hier kannst auch du ansetzen: Die Wirkweisen und Methoden, aber auch Krankheitsbilder können auf Social Media gut und allgemein verständlich in kurzen Beiträgen dargestellt werden, so dass ein Bild davon entsteht, was in einer Therapie eigentlich passiert.

Eine Frau sitzt an einem Laptop am Tisch

Praxisbeispiele: Wenn du eine Idee davon bekommen möchtest, wie das aussehen kann, dann schau doch mal bei diesen Kolleg:innen vorbei.

Auf Instagram stellen beispielsweise @psycho_dynamik und @la_psychologista die tiefenpsychologische Psychotherapie vor. @soulmatesberlin befasst sich mit der Schematherapie, hat nebenbei einen eigenen Podcast und nutzt auch rege LinkedIn für ihre Aufklärungsarbeit. @stigmafrei trägt ihren Auftrag bereits im Namen. Die Hypnosepsychotherapeutin @praxis.julia.neumann teilt Tipps und Infos für Interessierte und Kolleg:innen. Aber auch Kreativtherapien finden Vertreter:innen: So zeigt @artvedar in kurzen Videos auf Facebook und Instagram, was Kunsttherapie ist.

 

Diese Problemfelder gilt es zu beachten

Das birgt aber auch Gefahren, die du als professionell Tätige:r ebenfalls im Blick behalten solltest:

  • Heilversprechen und Co: Bestimmte Handlungen, wie z. B. das Geben eines Heilversprechens, sind absolutes No-Go. Hier orientierst du dich am besten an den ethischen Richtlinien deines jeweiligen Berufsverbandes. Was in der Realität nicht geht, weil es z. B. schädigen kann, sollte auch in den sozialen Medien ein Tabu sein.

  • Verwässerung der Begrifflichkeiten: Natürlich ist es schön, wenn im Rahmen von Entstigmatisierung klar wird, was z. B. eine Depression ist. Gleichzeitig sollte aber immer ganz klar sein, dass es sich dabei um eine ernsthafte und mitunter sogar tödlich verlaufende Erkrankung handelt - und nicht um ein Gefühl, weil man mal eine schlechte Phase hat. Leider lässt sich nämlich ein Trend zur Pathologisierung beobachten, der letztendlich eben genau das Gegenteil von Entstigmatisierung schafft: Mitmenschen werden schnell als Narzisst:innen abgestempelt; Beziehungen, in denen man sich nicht wohlfühlt, sind sofort toxisch. Wie das eben mit so kurzen Zusammenfassungen ist, die eine Vereinfachung komplexer Inhalte darstellen, bleiben nur Facetten hängen und es besteht die Gefahr eines Schwarz-Weiß-Denkens.

Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir uns bewegen. Deine Aufgabe als Therapeut:in ist, klare Abgrenzungen zu treffen und dabei über die Notwendigkeit und den Nutzen von Psychotherapie bei psychischen Erkankungen als ernstzunehmende Behandlung aufzuklären. Was natürlich auch den Zwiespalt mit sich bringt, dass Psychotherapie zwar vielleicht vielen Menschen gut tun kann, die Krankenkassen aber aus Gründen nur im Krankheitsfall die Kosten übernehmen.

 

Einen Rahmen für die Community bieten

Als Professionellen kommt uns eine besondere Rolle zu. Wir haben eine Art Brückenfunktion, können Erleben auf eine Metaebene bringen. Wir können den theoretischen Bogen spannen, ohne dass wir uns aufdrängen oder Betroffenen die Perspektive absprechen sollten.

Entstigmatisierung heißt nämlich auch, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich deine Community wohl fühlt. Dort kannst du das Gefühl vermitteln, verstanden zu werden, indem du eben nicht ausgrenzt, sondern die Perspektive wechselst und ihre Sichtweise gegebenenfalls mitdenkst. Dabei besteht eine der zentralen Aufgaben darin, die Sicht der Betroffenen zu berücksichtigen. Auch die Bedeutung einer Community, eines Netzwerkes, mit dem du interagierst und deren Beiträge du teilst, kann bedeutsam sein.

Ein offenes Notizbuch, in das eine Frau schreibt

Bedeutung von Sprache und Bildern

Das Wording und das, was wir zeigen, kann ebenfalls entscheidend sein. Unsere Sprache und Bilder teilen viel mehr mit, als es im ersten Moment vielleicht den Anschein macht. Sprache kann schnell stigmatisieren, ausgrenzen oder marginalisieren. So kann es sich für Erkrankte zum Beispiel ausgrenzend anfühlen, wenn wir nur ein schönes Wochenende wünschen. Drastischer sind Begriffe wie Selbstmord oder Ritzen, die von vorneherein eine moralische Bewertung mit sich bringen.

Bilder können z. B. durch zu konkrete Inhalte eindimensional erscheinen und unbewusst wirken. Hier bietet sich an, lieber eine weniger konkrete Symbolik zu verwenden und im Konjunktiv zu bleiben. Besser sind einfache Symbole, wie beispielsweise das Semikolon, das von Menschen, die beinahe durch Suizid gestorben wären oder jemanden verloren hätten, als universelles Zeichen benutzt wird.

Entstigmatisierung beginnt dort, wo wir selbst unsere Arbeit als Prävention begreifen. Als Information für den Fall der Fälle.

Hier nochmal die wichtigsten Tipps:

  • Beteilige dich an Tagen oder Wochen, die weltweit begangen werden (z. B. die kommende Woche der seelischen Gesundheit vom 10. bis 20. Oktober 2022, der Welttag der Suizidprävention, jährlich am 10. September, oder der europäische Tag der Depression, jährlich am 01. Oktober).
  • Biete einen klaren, transparenten Rahmen.
  • Kläre auf, nutze dazu eine einfach verständliche Sprache und reflektiere auch deine Bildsprache.
  • Sei transparent, nahbar, authentisch, ohne zu persönlich zu werden.

 

Zum Weiterlesen [Werbung]: 

Neumann, J., Steckling, T., Heimes, J., Elsche, H. (2022). Social-Media-Profile in Psychotherapie, Beratung und Coaching. Soziale Medien professionell und ethisch nutzen. Weinheim: Beltz.