… und plötzlich kein Kontakt mehr: Wie du Ghosting-Betroffene unterstützt

Eine Frau steht im Wald, ihr Kopf ist teilweise transparent als würde sie verblassen oder sich in Luft auflösen.

Von Ghosting hast du inzwischen sicher schon einmal gehört, es vielleicht selbst erlebt oder auch selbst geghostet. Nachdem Ghosting in meinen Singleberatungen, aber auch in meinem Privatleben immer wieder Thema war, habe ich 2021 die Ghosting-Ambulanz gegründet, mit der ich Menschen begleite, die geghostet wurden und seitdem Schwierigkeiten haben, diese Erfahrung zu verarbeiten. Heute möchte ich meine wichtigsten Erkenntnisse und eine sehr hilfreiche Übung für Betroffene mit dir teilen.

Ghosting dürfte mittlerweile ein geläufiger Begriff sein und steht für einen plötzlichen Kontaktabbruch ohne Vorankündigung. Häufig wird Ghosting mit Online-Dating verbunden, es kann aber auch in langjährigen Beziehungen oder Freundschaften auftreten. Es gibt inzwischen eine wachsende Anzahl an Studien, die untersuchen, weswegen Menschen ghosten (z. B. Gebauer, 2021) oder was das Ghosting bei den „Ghosts“ selbst bewirken kann (z. B. Forrai et al., 2023). In meiner Arbeit beschäftige ich mich jedoch mit den Folgen für die „Geghosteten“. Meine Erkenntnisse aus über zwei Jahren Ghosting-Ambulanz möchte ich mit dir teilen und dir eine sehr hilfreiche Übung vorstellen, die Betroffenen dabei hilft, trotz der ausgebliebenen Erklärung, was eigentlich passiert ist, einen Abschluss zu finden.

 

Worunter Betroffene am meisten leiden

Unter dieser ausbleibenden Erklärung, weshalb die ghostende Person aus dem eigenen Leben verschwunden ist, leiden die Betroffenen in der Regel am meisten. Im ungünstigsten Fall richten sich die Erklärungen, die meine Klientinnen sich daraufhin selbst zurechtlegen, dann gegen sie selbst: „Ich bin es nicht mal wert, eine kurze Erklärung zu erhalten“.

Teilweise fühlen sie sich wie Müll entsorgt. Oder auch hilflos, denn die eigenen Kontaktversuche an den Ghost laufen ins Leere oder sind gar nicht mehr möglich, weil man im digitalen Raum z. B. auf allen Portalen/Kanälen blockiert wurde. Auch die Angst, Bindungen zukünftig nicht mehr vertrauen zu können und das gleiche noch einmal zu erleben, wenn sie sich – romantisch oder freundschaftlich – erneut auf einen anderen Menschen einlassen, beschäftigt viele meiner Klientinnen. Dieser Vertrauensverlust kann aber auch das Vertrauen in sich selbst betreffen, denn man hat das plötzliche Verlassenwerden nicht kommen sehen und sich in einem anderen Menschen oder der Tragfähigkeit einer Beziehung/Freundschaft getäuscht.

In manchen Fällen triggert das Ghosting bei den Betroffenen eigene Verlassenheitstraumata und kann beispielsweise der Auslöser für eine Depression sein. Sollte das der Fall sein, kommt meine psychologische Beratung an ihre Grenze und ich empfehle den betreffenden Menschen, die zu mir kommen, zunächst eine Psychotherapie und gebe einige Hinweise zur Therapieplatzsuche.

Ein Mann sitzt nach vorn gebeugt am Fenster und stützt seine Stirn auf seine linke Hand.

Oft können die Folgen auch „normalem“ Liebeskummer nach einer Trennung ähneln. Sie sind aber nicht identisch. Zum einen zeichnet sich bei einer „normalen“ Trennung oft ab, dass etwas nicht stimmt und es zu einer Trennung kommen könnte. D. h. es gibt keinen abrupten Kontaktabbruch. Zum anderen ist häufig bekannt, warum die Beziehung oder Freundschaft auseinandergegangen ist. Dadurch wissen die Verlassenen, woran es lag, was vielleicht nicht gepasst hat, worauf sie zukünftig achten oder was sie anders machen können. Dieses Wissen fehlt geghosteten Menschen jedoch und ihr Verstand sucht immer weiter nach einer Erklärung. Es gelingt ihnen dadurch nur schwer oder sogar überhaupt nicht, einen Abschluss zu finden.

 

Einen Abschluss finden: Die Übung mit dem Buch

Die folgende Übung habe ich von der englischsprachigen Kunsttherapeutin Briana MacWilliam übernommen. Ich nutze dabei die imaginative Kraft meiner Klientinnen und bitte sie, sich folgende Situation vorzustellen:

„Stell dir vor, du liest ein Buch. In diesem Buch ist die Geschichte von dir und X (Anm.: Namen der ghostenden Person einfügen) aufgeschrieben worden und die Geschichte entwickelt sich richtig gut. Ihr lernt euch kennen, kommt euch näher und fangt an, Zukunftspläne zu machen (Anm.: Dieser Teil wird natürlich auch auf Grundlage dessen, was mir meine Klientinnen zuvor geschildert haben, angepasst). Du bist gebannt von dieser Geschichte und kannst das Buch kaum aus der Hand legen. Du willst wissen, wie es weitergeht. Doch dann blätterst du um – und plötzlich ist die nächste Seite leer. Genau wie alle weiteren des Buchs. Es kommt nichts mehr. Du kannst dich jetzt entscheiden: Entweder bleibst du geschockt mit diesem Buch in der Hand sitzen und überlegst wochen- oder monatelang, warum die Geschichte auf einmal zu Ende ist und wie sie wohl hätte weitergehen können. Oder du stehst auf, klappst das Buch zu, stellst es zurück ins Regal und widmest dich wieder anderen Büchern bzw. Dingen in deinem Leben. Wenn es dich sehr in den Fingern juckt, kannst du auch immer noch zu dem Buch mit dem offenen Ende zurückkehren und darin blättern, um es dann wieder zurückzustellen. Vielleicht wirst du auch in einigen Jahren verstehen, was die leeren Seiten bedeuten. Weil du zum Beispiel weitere Erfahrungen in deinem Leben gemacht und dazugelernt hast. Vielleicht wird dir das Buch in ein paar Monaten oder Jahren aber auch egal geworden sein. Wofür entscheidest du dich?“

Eine Person hält ein aufgeschlagenes Buch in den Händen, dessen sichtbare Seiten leer sind.

Diese Übung ist häufig hilfreich, weil sie einen Abschluss anbietet, auch wenn eine Erklärung fehlt und die Seiten im übertragenen Sinne leer bleiben. Wenn die Gedanken wieder um die Frage nach dem „Warum“ kreisen, kann das innere Bild - das Buch zuzuklappen und wieder zurückzustellen - von meinen Klientinnen auch immer wieder verwendet werden. Wie in der Übung angedeutet, ist ein wichtiger Schritt allerdings auch, sich wieder dem eigenen Leben zuzuwenden und es nicht völlig von der Ghosting-Erfahrung überschatten zu lassen.

 

Sich dem eigenen Leben zuwenden

Dazu schaue ich mir mit meinen Klientinnen an, wie zufrieden sie mit verschiedenen Bereichen in ihrem Leben sind (z. B. Job, Wohnsituation, soziales Netz). Es hat sich schon einige Male gezeigt, dass in diesen Bereichen Verbesserungsbedarf besteht und wir schauen dann, wie Veränderungen (z. B. in der beruflichen Situation) möglich wären.

Ob und wie ein anderer Mensch aus dem eigenen Leben verschwindet, hat man nicht in der Hand. Auf das eigene Handeln haben meine Klientinnen jedoch Einfluss (z. B. darauf, sich nach einem anderen Job umzusehen) und es ist wichtig, sie wieder in ihrem Gefühl von Selbstwirksamkeit zu bestärken.

 

Vertrauen zurückgewinnen

Auch beim Thema Vertrauen ist es wichtig, den Blick dorthin zu richten, wo das Vertrauen durch andere Menschen nicht verletzt wurde. Es kann z. B. hilfreich sein, eine Liste vertrauenswürdiger Menschen anzulegen oder auch konkrete Situationen zu erinnern und aufzuschreiben, in denen das Vertrauen in andere Menschen nicht enttäuscht wurde.

Nach diesem Prinzip ermutige ich diejenigen meiner Klientinnen, deren Vertrauen in sich selbst erschüttert wurde, sich Situationen vor Augen zu rufen, in denen ihre Wahrnehmung oder Einschätzung anderer Menschen richtig war. Doch auch bei der besten Menschenkenntnis ist es so, dass wir nicht 100 % in andere Menschen hineinsehen können und wir alle uns schon einmal getäuscht haben. Das verdeutliche ich auch meinen Klientinnen.

Es bedeutet jedoch auch, dass es durchaus möglich ist, sich erneut zu täuschen oder vielleicht sogar erneut geghostet zu werden. Aus diesem Grund besteht ein weiterer Teil meiner Arbeit in der Ghosting-Ambulanz darin, meinen Klientinnen Tools an die Hand zu geben, mit denen sie sich im Bedarfsfall wieder stabilisieren können. Dazu sammeln wir beispielsweise Methoden aus dem Bereich der Selbst- und der Co-Regulation, die sie in ihrem Leben schon als hilfreich erlebt haben.

Insgesamt kann ich die Arbeit mit Ressourcen auch in der Arbeit mit Ghosting-Betroffenen empfehlen und hoffe, dass du aus meinem Artikel einige nützliche Ansätze für deine eigene Arbeit mitnehmen kannst.

 

Literatur

Forrai, M., Koban, K., & Matthes, J. (2023). Short-sighted ghosts. Psychological antecedents and consequences of ghosting others within emerging adults' romantic relationships and friendships. Telematics and Informatics, 80, 101969. Zuletzt abgerufen am 21.08.2023: https://doi.org/10.1016/j.tele.2023.101969

Gebauer, G. (2021). Ghosting: Warum verschwinden Menschen spurlos? Zuletzt abgerufen am 21.08.2023: https://www.psychologie-partnersuche.de/allgemein/ghosting-warum-verschwinden-menschen-spurlos/

 

Zum Weiterlesen

[Werbung] Soliman, Tina (2019). Ghosting. Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter. Stuttgart: Klett-Cotta.