Singleberatung: Wenn die Liebe schwerfällt

Ein Mann um die 30 sitzt mit einem Kaffee am Fenster und blickt fragend hinaus.

Wie kann eine gelungene Beratung aussehen, damit Menschen, die sich eine (glückliche) Beziehung wünschen, diese auch finden? Was es bei Kurzzeitsingles, Langzeitsingles und Absoluten Beginner:innen zu beachten gibt.

Während meiner bisherigen Selbstständigkeit als Paar-, Single- und Sexualberaterin ist die Nachfrage dieser drei Bereiche relativ ausgeglichen gewesen. Seit dem Jahr 2021 hat die Singleberatung allerdings deutlich die Nase vorn. Ich vermute als Hauptgrund, dass viele Singles während der beiden Lockdowns in 2020 sehr auf sich zurückgeworfen wurden, weil der sonstige soziale Ausgleich durch Treffen mit Freund:innen oder andere Unternehmungen wegfiel.

Die Männer und Frauen, die in der Beratung vor mir sitzen, sind in der Regel zwischen Ende 20 und Ende 30. Gerade der Schritt von den 20ern in die 30er Jahre löst bei vielen Singles einen großen inneren, zum Teil auch äußeren Druck aus. Im eigenen Freundeskreis finden sich immer mehr Paare zusammen, Familien werden gegründet und man selbst hat „Angst allein zurückzubleiben“ (O-Ton aus meinen Beratungen) oder als Alleinstehende:r immer mehr zum fünften Rad am Wagen zu werden.

 

Langzeitsingles und Absolute Beginner:innen

Besonders groß ist diese Angst für Menschen, die noch nie eine Beziehung hatten und an der Schwelle zur 30 nun zusätzlich noch die Befürchtung haben, in ihrem Umfeld langsam als Sonderling zu gelten (bzw. als „Freak“ wie es ein Klient einmal ausdrückte). Für sie hat sich seit einer Weile der Begriff der Absoluten Beginner:innen etabliert (Thiel, 2013). Doch auch Langzeitsingles, die zwar Beziehungserfahrung haben, deren letzte Beziehung aber schon mehr als drei Jahre zurückliegt (Gebauer, 2021), kennen diese Sorge.

Für diese beiden Gruppen ist häufig auch das Gefühl der Scham sehr groß. Diese Scham greife ich auf und schenke meinen Klient:innen zunächst Verständnis für dieses Gefühl. Das klappt besonders gut, wenn die Klient:innen sich selbst besser verstehen, in dem sie ihr eigenes „Nein“ kennenlernen.

Auf einem Schreibtisch liegt ein Stapel mit hellbraunem Papier, auf das oberste Blatt ist "No" geschrieben.

Übung: Das eigene „Nein“ kennenlernen

Mit dieser Übung erforschen wir, was innere Gründe sein können, die der erfolgreichen Beziehungssuche im Weg stehen. Manchmal stoßen wir z. B. darauf, dass der/die Klient:in durch eine heftige Scheidung der Eltern das Vertrauen in Beziehungen verloren hat. Dann sage ich beispielsweise, dass es so verständlich ist, nach dieser prägenden Erfahrung Beziehungen ambivalent gegenüberzustehen und die Suche eventuell sogar zu sabotieren (manche Menschen suchen sich z. B. zielgerichtet vergebene Personen aus und vermeiden so eine Beziehung, obwohl sie sich andererseits nach ihr sehnen). Dieses Verstehen der eigenen Hintergründe ist noch ein ganzes Stück hilfreicher, um das oben erwähnte Schamgefühl zu lindern und einen verständnisvolleren Blick auf sich selbst zu entwickeln, als wenn nur ich als Beraterin sage „Ich verstehe dich/deine Situation/dein Verhalten“.

Um das „Nein“ sichtbar werden zu lassen, verwende ich gern das Bild mit dem Eisberg: Über der Wasseroberfläche ist das „Ja“, der Wunsch nach einer Beziehung, den meine Klient:innen bewusst wahrnehmen können. Unter der Wasseroberfläche ist jedoch das „Nein“ verborgen, das die Klient:innen von einer Beziehung wegsteuert – und dieses „Nein“ möchten wir kennenlernen. Dafür bitte ich meine Klient:innen z. B. den Satz „Wenn ich eine Beziehung eingehe, dann…“ oder „Das Schlimmste, das in einer Beziehung passieren könnte, wäre…“ zu vollenden. Oder aber ich frage nach Beziehungsvorbildern, die die Klient:innen als Kinder erlebt haben. Manchmal stellt sich z. B. heraus, dass die Eltern eine wenig freudvolle oder sogar zermürbende Ehe gelebt haben und man selbst so eine Beziehung auf keinen Fall erleben möchte.

Wenn das „Nein“ erkannt ist, erhöht es zum einen das Verständnis für sich selbst. Zum anderen haben wir jetzt etwas, mit dem wir arbeiten können. Um im Beispiel von eben zu bleiben: Wenn eine Klientin Angst hat, die Ehe ihrer Eltern zu wiederholen, dann können wir diese Angst einem Realitätscheck unterziehen. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich ihre eigene Beziehung genauso gestalten würde? Heutzutage gibt es beispielsweise andere Möglichkeiten wie Paarberatung, die ihren Eltern nicht zur Verfügung standen, oder aber sie kann bei der Wahl ihres Partners oder ihrer Partnerin genau hinsehen und auf Warnzeichen („Red Flags“) achten, die wir in der Beratung herausarbeiten.

 

Kurzzeitsingles

Bei Kurzzeitsingles, deren letzte Beziehung weniger als drei Jahre zurückliegt (Gebauer, 2021), geht es häufig um Trennungsverarbeitung oder praktische Überlegungen, v. a. wenn sie aus einer langjährigen Beziehung kommen und sich fragen, „wie Dating heute eigentlich geht".

Singleberater Christian Thiel empfiehlt dazu beispielsweise das Schaffen von Gelegenheiten (Thiel, 2013), das natürlich – genau wie die anderen von ihm genannten Grundbausteine der Singleberatung – auch in der Beratung von Langzeitsingles oder Absoluten Beginner:innen eine wichtige Rolle spielt. „Gelegenheit macht Liebe“, wie es ein Klient einmal treffend auf den Punkt brachte.

Ein Mann sitzt auf einem Ledersessel und blickt auf sein Handy, auf dessen Bildschirm eine Dating-App zu sehen ist.

Grundbausteine der Singleberatung

Diese Gelegenheiten finden sich jedoch in den 30ern nicht mehr so häufig oder die Orte, die in den 20ern noch passten, funktionieren jetzt nicht mehr. Ein Klient, der mit Ende 30 nach einer langjährigen Beziehung in meine Beratung kam, meinte z. B., dass es für ihn keinen Sinn mehr macht, heute noch zum Kennenlernen in einen Club zu gehen, weil dort „nur junge Leute seien“. In einer Großstadt wie Berlin gibt es zwar noch weitere Möglichkeiten, um neue Menschen im eigenen Alter kennenzulernen. Doch in kleineren Städten oder auch, wenn Klient:innen beruflich stark eingebunden sind, werden die Gelegenheiten weniger und hier wäre z. B. Onlinedating einen Versuch wert.

Christian Thiel empfiehlt neben dem Schaffen von Gelegenheiten außerdem folgende Grundbausteine:

  • Realismus: Den Klient:innen helfen, eine realistischere Sicht aufs Kennenlernen, Verlieben und auf Beziehungen zu bekommen. Dass jede Beziehung mit dem großen Knall und der Liebe auf den ersten Blick beginnt, ist beispielsweise unrealistisch. Es kann so kommen, muss es jedoch nicht und wer sich auf diese Vorstellung versteift, kann unter Umständen lange warten.
  • Gelassenheit: Wer mit dem eigenen Leben grundsätzlich zufrieden ist, geht gelassener auf die Partnersuche und verkraftet z. B. auch Körbe besser, die ebenfalls zur Suche gehören können. Wenn es bei Klient:innen also an allen Ecken brennt (z. B. unglücklich mit dem Job, der Wohnsituation und dem Freundeskreis), arbeiten wir zunächst an der Verbesserung dieser Eckpfeiler.
  • Mut: Um sich neu einlassen zu können, brauchen Klient:innen nach einer Trennung z. B. die Gewissheit, dass es in der nächsten Beziehung besser laufen kann. Dafür kann es hilfreich sein, sich die eigenen Werte und Bedürfnisse in einer Beziehung bewusst zu machen. Nicht wenige Menschen nehmen die Beziehung, die sich ihnen gerade anbietet, um dann festzustellen, dass es nicht passt, so dass die Beziehung früher oder später scheitert.
Ein Mann und eine Frau stehen auf einem verglasten Balkon und lachen, dabei hat er von hinten lässig einen Arm um sie geschlungen, den sie mit ihrer Hand festhält.

Ein Hinweis zu traumatisierten Klient:innen

Sollte sich im Kennenlerngespräch oder während der Beratung zeigen, dass meine Klient:innen aufgrund von schweren traumatischen Erfahrungen (wie Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch) Schwierigkeiten haben, sich auf eine Beziehung einzulassen, rate ich entweder vor oder parallel zur Beratung zu einer Traumatherapie – und habe dann auch entsprechende Adressen parat. In der Beratung mit betroffenen Klient:innen achte ich besonders auf Ressourcenarbeit und Psychoedukation (v. a. Aufklärung über die verschiedenen Zustände des Nervensystems, um eigene Reaktionen wie z. B. ein Erstarren beim Dating besser einordnen zu können).

 

Fazit

Das Wissen über Singles und Ansätze für deren Beratung ist nicht nur für Singleberater:innen selbst wichtig, sondern kann auch im Kontext von psychotherapeutischen Gesprächen und Coachings nützlich sein. Ich empfehle hier sehr das Buch von Christian Thiel (s. u.), das einen guten Überblick und viele Anregungen bietet, und wünsche dir viel Freude beim Ausprobieren und Umsetzen.

 

Literatur

Gebauer, Guido F. (2021). Was unterscheidet Langzeitsingles von Kurzzeitsingles?. Zuletzt abgerufen 06.02.2023:
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210408_OTS0041/was-unterscheidet-langzeitsingles-von-kurzzeitsingles-foto

[Werbung] Thiel, Christian (2013). Singles in Beratung, Coaching und Therapie. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.