„Hoffentlich werde ich jetzt nicht rot!“ – 5 Strategien gegen Erythrophobie

Eine Frau hält sich die Hände vor und neben ihr Gesicht.

Ob durch Sport, hohe Temperaturen oder Stress: Wenn die Haut im Gesicht stärker durchblutet wird, erröten wir. Für manche Menschen ist das ein echtes Problem, denn sie leiden an Erythrophobie, der Angst vor dem Erröten. Gedanken wie „Hoffentlich werde ich jetzt nicht rot!“ und eine verstärkte Selbstwahrnehmung führen zu Stress und fördern das Erröten. Ein Teufelskreis, den man aber durchbrechen kann.

Die Angst vor dem Erröten ist für manche Menschen ein großes Problem. Die sogenannte „Erythrophobie“ kann Bestandteil einer komplexeren sozialen Phobie sein, aber auch isoliert auftreten.

Betroffenen sind unangenehme Erinnerungen an peinliches Erröten sehr präsent. Diese Erinnerungen poppen schlagartig auf. Die Aufmerksamkeit/Selbstwahrnehmung ist auf erste Anzeichen von drohendem Erröten fokussiert und das Erregungsniveau ist hoch. Innerlich dominiert der ängstliche Gedanke: „Hoffentlich werde ich jetzt nicht rot!“. In Verbindung mit dem hohen Erregungsniveau fördert diese ängstlich gestellte Frage jedoch das Erröten. Und wenn es dann „passiert“, wird es als schlimmes Desaster erlebt. Dies wiederum verstärkt die Angst, erneut rot zu werden. Es entsteht ein fataler Teufelskreis. Dieser führt oft dazu, dass Betroffene von der Angst und den damit verbundenen Gedanken sehr ausgefüllt sind, sie den Kontakt mit Menschen meiden, ein Grundgefühl von großer Verunsicherung entwickeln und ein geringes Selbstwertgefühl haben.

Im Folgenden will ich schildern, welcher Start sich zur Schwächung und Veränderung dieses Teufelskreises bewährt hat. Die Klientin nenne ich Frau M.

 

1. Zeige Verständnis und bringe es auch rüber

Wie die meisten Betroffenen fürchtet Frau M., dass Teile ihrer Schilderung oder sie als Person als lächerlich empfunden oder gar lächerlich gemacht werden. Deshalb ist es zu Beginn der Therapie wichtig, gut zu verstehen, was in Bezug auf das Erröten für die Klientin so schlimm ist. Das Verstehen allein reicht dabei nicht aus, sondern bei Frau M. muss auch ankommen, dass ich verstanden habe, wie quälend und dominierend ihre Angst-Gedanken sind, welche beklemmende Last diese Angst in ihrem Leben ist, und wie verständlich ich ihren Umgang damit finde.

 

2. Zwischen „Hyänen“ und „mitfühlenden Unterstützern“ unterscheiden

Wenn es mir gelungen ist, mein Verständnis rüberzubringen und gleichzeitig Zuversicht zu wecken, dass sie einen besseren Umgang mit diesem Problem finden kann, fahre ich mit einer irritierenden Vermutung fort. Ich sage, dass Frau M. zu wenig Angst vor dem Erröten habe. Frau M. ist daraufhin verwundert, denn sie hat mir doch gerade erläutert, wie groß ihre Angst ist und ich schien das auch verstanden zu haben. Mit dieser Irritation und dem damit verbundenen gefühlten Drama ist die volle Aufmerksamkeit geweckt für die folgende Auflösung:

Ich erkläre, dass es unter den Mitmenschen wahre Hyänen gibt, die nur darauf warten, dass sie bei anderen Menschen Anzeichen von Erröten sehen, um sich dann darüber lustig zu machen und sie öffentlich zu „zerreißen“. Das trifft sehr drastisch die Befürchtungen von Frau M. und sie berichtet bestätigend von ihren schlimmen Erfahrungen.

Foto einer Hyäne

Ich plädiere dafür, dass Frau M. vor diesen Hyänen künftig noch mehr Angst hat, als sie das bisher gehabt habe. Sie sagt daraufhin: „Noch mehr Angst vor diesen Hyänen zu haben ist eigentlich kaum möglich...“. Ich verstehe das und erkläre: „Es reicht nicht, vor allen Menschen immer gleich viel Angst zu haben. Vor allem ist das nicht effektiv. Ihre Angst sollte sich gezielter auf die Hyänen unter den Mitmenschen richten. Es gibt ja auch diejenigen, die beistehen und helfen wollen.“ Daraufhin führe ich die Unterscheidung zwischen „Hyänen“, „unterstützenden Mitfühlern“ und „Gleichgültigen“ ein.

Mit dieser Unterscheidung wird die Aufmerksamkeit von der inneren Fixierung auf physiologische Anzeichen beginnenden Errötens und von dem ängstlichen Gedanken „Hoffentlich werde ich jetzt nicht rot!“ nach außen gerichtet auf folgende Frage: „Ist der/die andere eine mögliche Hyäne, ein unterstützender Mitfühler oder ist ihm/ihr egal, wenn ich erröte, weil ihn/sie andere Dinge interessieren?“ Das führt zur Senkung des allgemeines Erregungsniveaus. Frau M. kann sich unter Menschen wieder sicherer und wohler fühlen, weil es unter ihnen ja auch „unterstützende Mitfühler:innen“ gibt.

 

3. Denke Worst-Case-Szenarien zu Ende

Es ist sehr hilfreich, sachlich über das zu sprechen, was Klient:innen nicht zu denken wagen und dadurch auch nicht zu Ende denken. Dies kann man durch die Frage beginnen: „Was wäre das Allerschlimmste, was eine solche Hyäne tun könnte, wenn Sie erröten? Und in welcher Situation wäre das am schlimmsten? Was wäre das Blödeste, Schlimmste und Peinlichste, wie Sie dann darauf reagieren könnten? Übertreiben Sie bitte ruhig ein bisschen, damit ich das besser verstehen kann...“

Das kann man eine Zeitlang ruhig und verständnisvoll besprechen. Das gefühlte Ergebnis wird sein: „So schlimm, wie ursprünglich gedacht, ist es bei genauerer, nüchterner Betrachtung und Überprüfung dann doch nicht. Es wäre schlimm, aber ich würde es überleben. Aber dieser Worst Case ist wirklich sehr unwahrscheinlich“.

Ein junger Mann hält entspannt einen Vortrag.

4. Best-Case-Szenarien erarbeiten

Danach kann man sich einige Zeit lassen, um mit der Klientin in Ruhe darüber nachzudenken, welches die für sie optimale und passende Reaktion auf dieses schlimmstmögliche Hyänen-Verhalten wäre. Bei diesem Nachdenken lohnt sich der Fokus auf positiv beschriebene Reaktionen: „Sie wollen also nicht ..., sondern...?“. Und man sollte das Nachdenken über positive Beschreibungen wünschenswerter Reaktionen mit „systemischem Schweigen“ unterstützen.

Zwar ist der Fokus darauf wichtig, wie die Klientin sich wünscht, optimal reagieren zu können, was also in ihrer Kontrolle liegt. Darüber hinaus kann es jedoch auch sinnvoll sein, auf bestmögliche Reaktionen der Mitmenschen zu fokussieren (keine „Hyänen“ sondern „mitfühlende Unterstützer“, „kuschelige Teddybären“, „Häschen“ etc.), weil es diese in der Vorstellung der Klient:innen bisher nicht gab.

 

5. Gedanken transformieren: „Hoffentlich nicht rot werden, sondern…?“

Wie eingangs erwähnt gibt es bei den meisten Menschen mit Angst vor dem Erröten den von resignierter Angst geprägten Gedanken: „Hoffentlich werde ich jetzt nicht rot!“, der das Erröten nur noch weiter fördert. Diesen Gedanken kann man transformieren in einen Gedanken, der Zuversicht und Stärke fördert.

Auch hier kann die MiniMax-Intervention „Sondern...?“ ein großer Suchhelfer sein: „Sie hoffen also, dass Sie nicht rot werden, sondern...?“ Manchmal muss man bis zu 10-mal nachfragen, was die Klient:innen positiv hoffen, bis sie etwas formulieren können, was sie für sich und die Situation passend finden, z. B.: „Ich hoffe, dass ich nicht rot werde, sondern mich ganz auf das Thema meines Vortrages und mein Vortragen konzentrieren kann“.

 

Zur weiteren Beschäftigung:

[Werbung] Manfred Prior (2009). MiniMax-Interventionen: 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. Heidelberg: Carl Auer Verlag.

Manfred Prior. MiniMax-Interventionen und die Feinheiten therapeutischer Kommunikation – minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. Stream/DVD erhältlich unter: www.therapie-film.de