Was du über die neue Psychotherapie-Richtlinie wissen solltest (2)
Die Psychotherapeutin Juliane Sim beantwortet dir hier einige der häufig gestellten Fragen zur neuen Psychotherapie-Richtlinie.
Anträge, Gutachterverfahren und Kontingente
Welche Veränderungen gibt es beim Gutachterverfahren?
Die Kontingente der Verhaltenstherapie (VT) wurden an die der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (TP) angeglichen. Bei allen Verfahren entfällt ein Fortführungsschritt (VT: 60 + 20, TP: 60 + 40, analytische Psychotherapie, AP: 160 + 140). Berichte sollen zukünftig maximal zwei Seiten lang sein. Dies wird unter anderem durch den Wegfall einer umfangreichen Anamnese ermöglicht. Außerdem wird das Bestellungsverfahren für die Gutachter umgestellt: Es wird eigene Gutachter für die TP geben. Außerdem werden alle neuen Gutachter nach einem öffentlich-rechtlichen Ausschreibungsverfahren bestellt. Zukünftig kann sich also jeder, der die Qualifikationskriterien erfüllt, als Gutachter bewerben.
Was bedeuten Anzeige- und Gutachterpflicht?
Anzeigepflicht bedeutet, dass der Kasse gemeldet wird, dass der Patient eine Therapie aufnimmt. Zukünftig gilt die Anzeigepflicht für die Akutbehandlung. Nach Intervention des Bundesministeriums für Gesundheit bleibt es bei beiden Antragsschritten der Kurzzeittherapie beim Antragsverfahren. Zukünftig erhält aber nur noch der Patient die Genehmigung von der Krankenkasse.
Gutachterpflicht heißt, dass bei der Beantragung ein Bericht an den Gutachter beiliegen muss.
Welche Therapieschritte sind gutachterpflichtig?
Die Akutbehandlung sowie beide Teile der Kurzzeittherapie werden in Zukunft nicht gutachterpflichtig sein. Die erste Beantragung einer Langzeittherapie unterliegt jedoch der Gutachterpflicht. Ebenso ist eine neue Kurzzeittherapie innerhalb des Zwei-Jahres-Zeitraums nach Beendigung einer Richtlinientherapie weiterhin gutachterpflichtig. Bei Fortführungsanträgen können die Kassen entscheiden, ob sie einen Gutachter hinzuziehen.
Wann weiß ich, ob bei Fortführungsanträgen ein Bericht an den Gutachter erforderlich ist?
Rechtzeitig vor Ablauf des genehmigten Kontingents wird ein Antrag mittels der Formulare PTV 1 und PTV 2 bei der Krankenkasse gestellt. Diese genehmigt entweder die Fortführung oder teilt mit, dass ein Bericht an den Gutachter erforderlich ist. Der Bericht muss dann im verschlossenen roten bzw. gelben Umschlag zeitnah an den von der Krankenkasse genannten Gutachter bzw. direkt bei der Krankenkasse selbst eingereicht werden.
Darf die Krankenkasse einen Fortführungsantrag ohne Hinzuziehung eines Gutachters ablehnen?
Vor Ablehnung eines Fortführungsantrags ist die Krankenkasse immer verpflichtet, einen Gutachter einzuschalten.
Was bedeutet Genehmigungsfiktion?
Anträge gelten als genehmigt, wenn innerhalb von drei Wochen kein widersprüchlicher Bescheid eingegangen ist. Zieht die Krankenkasse bei einem Fortführungsantrag einen Gutachter hinzu, verlängert sich die Bearbeitungszeit auf fünf Wochen. Die Krankenkasse kann die Bearbeitungszeit zudem schriftlich verlängern, wenn sie dem Patienten einen „angemessenen neuen Entscheidungstermin“ mitteilt.
Wie viele Sitzungen werden bei Fortführung einer bereits vor dem 1. April 2017 begonnenen Therapie beantragt?
Bei der Fortführung wird gleich bis zur Höchstgrenze beantragt: Bei der VT also von 45 auf 80 Sitzungen Gesamtdauer, bei der TP von 50 auf 100 und bei der AP auf 300 Sitzungen. Bei einer Umwandlung einer Kurzzeittherapie sind 35 weitere Sitzungen (also bis 60 Sitzungen) möglich.
Gibt es Änderungen bei der Probatorik?
Zukünftig sind mindestens zwei und nur noch maximal vier probatorische Sitzungen möglich. Probatorische Sitzungen sind in jedem Fall erforderlich, wenn eine Kurzzeittherapie oder Langzeittherapie begonnen werden soll. Dies gilt auch, wenn zuvor eine Akutbehandlung durchgeführt wurde.
Erstmals wird in der Richtlinie die Aufgabe der Probatorik beschrieben: Feststellung der Eignung für das Verfahren, der Passung zwischen Therapeut und Patient, weitere differentialdiagnostische Abgrenzung, Abklärung der Motivation, Kooperation und Beziehungsfähigkeit sowie Prognose.
Entfällt zukünftig der Konsiliarbericht?
Nein, weiterhin ist vor Aufnahme einer Therapie ein Konsiliarbericht erforderlich. Das gilt auch für die Akutbehandlung. Lediglich für die Durchführung der Sprechstunde und der Probatorik ist kein Konsiliarbericht erforderlich.
Veränderungen bei der Gruppentherapie
Wie kann zukünftig eine Gruppentherapie beantragt werden?
Es gelten dieselben Beantragungsschritte wie für eine Einzeltherapie. Analog dazu entfällt auch die Gutachterpflicht für die Beantragung der Kurzzeittherapie.
Hat sich die maximale Zeitdauer pro Tag verändert?
Zukünftig gilt auch für die VT (wie bei den psychodynamischen Verfahren) eine Höchstdauer von 200 Minuten Gruppentherapie pro Tag.
Gibt es Veränderungen bei der Gruppengröße?
Ja, einheitlich für alle Verfahren können zukünftig drei bis neun Teilnehmer in einer Therapiegruppe sein. Die bisherige Aufteilung in Klein- und Großgruppe wurde aufgehoben. Das gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche.
Ist die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie einfacher geworden?
Zukünftig werden auf dem neu gestalteten Formular PTV 2 nur Therapieeinheiten beantragt (Einzeltherapie: 50 Minuten, Gruppentherapie: 100 Minuten). Dabei wird angegeben, ob nur Einzel- oder Gruppentherapie oder eine Kombination beider Formen geplant ist. Wird eine Kombination beantragt, soll vermerkt werden, welches Setting überwiegen wird.
Beispiel: Es werden 60 Einheiten Kombinationstherapie mit überwiegend Gruppentherapie beantragt. Der Therapeut hat nun die Möglichkeit, 31 bis 59 Sitzungen Gruppentherapie zu erbringen, die restlichen Stunden entfallen auf die Einzeltherapie. Bei einer Fortführung (50 Einheiten) mit überwiegender Einzeltherapie können maximal 24 Gruppentherapieeinheiten durchgeführt werden.
Rezidivprohylaxe
Wie viele Sitzungen Rezidivprophylaxe sind möglich?
Bei einer Erwachsenentherapie von 60 Behandlungsstunden (unabhängig vom Verfahren) können aus diesem Kontingent maximal acht Sitzungen Rezidivprophylaxe beantragt werden. Bei Kindern und Jugendlichen sind es zehn. Ist das Gesamtkontingent der Therapie größer als 60 Stunden, dann können bei Erwachsenen bis zu 16, bei Kindern bis zu 20 Stunden als Rezidivprophylaxe vorgemerkt werden.
Muss ich die Rezidivprophylaxe bei Antragstellung angeben?
Auf dem Antragsformular stehen drei Möglichkeiten zur Auswahl: „keine Rezidivprophylaxe“, „Rezidivprophylaxe geplant“ oder „zur Zeit noch nicht abzusehen“. In beiden letzteren Fällen beginnt die Rezidivprophylaxe mit der (zukünftig verpflichtenden) Mitteilung an die Krankenkasse über die Beendigung der Therapie (Formblatt PTV 12).
Verlängert sich die Zwei-Jahres-Frist für die vereinfachte Kurzzeittherapie-Beantragung durch die Rezidivprophylaxe?
Nein, der Zwei-Jahres-Zeitraum beginnt mit dem auf dem Formblatt PTV 12 gemeldeten Therapieende.
Ist die Rezidivprophylaxe eine Mogelpackung?
Jein. Die Rezidivprophylaxe wird zwar auf das Therapiekontingent angerechnet, zukünftig ist sie aber zwei Jahre lang möglich. Bei chronischen Erkrankungen gibt es also eine neue Möglichkeit, den Zwei-Jahres-Zeitraum bis zu einer erneuten Kurzzeittherapie zu überbrücken.
EBM und Vergütungen
Belasten die neuen Leistungen mein individuelles Leistungsbudget?
Nein, die neuen Leistungen werden für mindestens drei Jahre extrabudgetär vergütet. So ist sichergestellt, dass die Vergütung zu 100 Prozent des EBM-Preises ausgezahlt wird.
Wenn ich Sprechstunden anbiete, bekomme ich dann weniger Strukturzuschlag?
Sprechstunden und Akutbehandlungen werden bei den Strukturzuschlägen berücksichtigt. Die Strukturzuschläge sind jedoch nach der Richtlinienreform juristisch noch weniger haltbar als vorher. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert deshalb ihre Abschaffung.
Akutbehandlung
Welchen Zweck verfolgt die Akutbehandlung?
Die Akutbehandlung ist eine psychotherapeutische Intervention zur Besserung akuter psychischer Krisen- und Ausnahmezustände und zur Vermeidung von Fixierungen und Chronifizierung psychischer Symptomatik. Sie ist auf eine kurzfristige Verbesserung der Symptomatik ausgerichtet, strebt also keine umfassende Bearbeitung der zugrundeliegenden Einflussfaktoren der psychischen Erkrankung an. Sie kann auch der Stabilisierung für eine stationäre Behandlung dienen. Es muss also keine Indikation für eine ambulante Psychotherapie vorliegen.
Welche Vorgaben gibt es für die Akutbehandlung?
Die Akutbehandlung muss innerhalb von zwei Wochen nach Feststellung der Notwendigkeit in der Sprechstunde beginnen und wird der Krankenkasse nur angezeigt. Möglich sind maximal 24 Einheiten mit je 25 Minuten bzw. zwölf Einheiten mit je 50 Minuten. Für die Dauer der Behandlung ist keine Einschränkung vorgesehen. Die Akutbehandlung dient der ersten Stabilisierung und ist nicht verfahrensspezifisch. Absolvierte Sitzungen werden auf Kurzzeittherapie- und Langzeittherapie-Kontingente angerechnet. Nach einer Akutbehandlung wird also gleich eine „KZT 2“ oder eine Umwandlung in Langzeittherapie beantragt.
Wie ist die Akutbehandlung zu dokumentieren?
Gemäß § 37 der Richtlinie sind wesentliche Inhalte der psychotherapeutischen Interventionen sowie Ergebnisse zu dokumentieren.
Im ersten Teil dieser Artikel-Serie ging es um die Themen Telefonische Erreichbarkeit, Psychotherapeutische Sprechstunde und Terminservicestellen. Du kannst den ersten Teil der Fragen und Antworten zur neuen Psychotherapie-Richtlinie hier nachlesen.
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