So gelingt Coaching im virtuellen Raum (2) – Der virtuelle Methodenkoffer

Frau an Computer

Viele Coaches nutzen in ihren Sitzungen haptische und visuelle Methoden – von Aufstellungen über Mindmaps, Skizzen und Skalierungen. Kann man diese Methoden auch ins Onlinecoaching übersetzen? In unserem zweiten Teil zum Coaching im virtuellen Raum, stellt dir unser Autor Christoph Schalk seinen Methodenkoffer vor.

In Teil 1 meines Artikels ging es um den Nutzen von virtuellem Coaching, wie virtuell eine tragfähige Beziehung aufgebaut werden kann und in welchem Setting Coaching auf Distanz am besten funktioniert: mit Audio und Whiteboard, aber ohne Video!

In diesem Teil möchte ich dir zeigen, welche Werkzeuge du nutzen kannst, um klassische Coachinginterventionen virtuell einzusetzen.
 

Kostenlose Tools reichen oft

Mittlerweile gibt es sehr umfangreiche und weit entwickelte Tools für virtuelles Coaching. Manche sind auf bestimmte Coachingmethoden abgestimmt, andere bieten eine breite Palette oder viel methodische Freiheit. Oft besteht ein Mehrwert darin, dass der Coachee seinen eigenen geschützten Bereich hat, in dem er auch auf die vergangenen Sessions zugreifen und so den Prozess gut im Blick behalten kann. Der Coach kann in solchen Tools seine Kunden verwalten und hat alle Daten zentral an einem Ort in der Cloud. Neben der Einschränkung auf bestimmte Coachingmethoden ist ein wesentlicher Nachteil dieser Plattformen oft der Preis. Ich möchte mich hier deshalb bewusst auf kostenlose Werkzeuge beschränken. Damit hat man oft sogar größere Flexibilität und kann ganz leicht Erfahrungen im virtuellen Coaching sammeln, ohne sich auf eine Plattform festlegen oder viel Geld investieren zu müssen. Der Nachteil hier: Nicht alle Tools befinden sich „unter einem Dach“. Auch die Ansprüche an die Datensicherheit (Stichworte: Server in den USA; europäische Datenschutzgrundverordnung) müssen im Einzelfall überprüft werden.

Person schreibt an Computer mit Kaffee

Skalierung und Skizzen

Im lösungsorientierten ebenso wie im systemischen Coaching spielen Skalenfragen eine große Rolle, um eine Standortbestimmung vorzunehmen, Ressourcen zu identifizieren und nächste Schritte zu reflektieren. Auch wenn man eine Skalierung natürlich ausschließlich mündlich durchführen kann, ist eine Visualisierung oft hilfreich. Face-to-face würde man dafür vielleicht ein Flipchart nutzen. Virtuell ist das WebWhiteboard (awwapp.com) eine schöne Lösung, um ein Coachinggespräch per Telefon oder Skype auch visuell anzureichern: Schnell und unkompliziert lässt sich ein Board einrichten, auch spontan während eines Gesprächs; der Zugang wird per Link geteilt. Die Skala kann mit der Maus oder – noch schöner – mit dem Stift auf dem Surface oder iPad gezeichnet und beschriftet werden. In Echtzeit sehen die Gesprächspartner, wie sich die Skala entwickelt. Natürlich sind nicht nur Skalen, sondern auch einfache Skizzen zur Illustration oder im Rahmen eines gemeinsamen Brainstormings möglich.

Inneres Team und Aufstellungen

Viele Coachs arbeiten mit Aufstellungen – und wer es gewohnt ist, live mit Menschen in einem Raum zu arbeiten, wird dem virtuellen Coaching gegenüber vielleicht skeptisch sein. Leichter werden sich diejenigen tun, die bisher schon mit Figuren auf einem Systembrett gearbeitet haben oder Aufstellungen in der (virtuellen!) Vorstellung ihrer Coachees durchführen. Auch die Arbeit mit dem „Inneren Team“ ist im Coaching weit verbreitet und gewissermaßen ein Spezialfall der Aufstellungsarbeit. Wer diese Methoden virtuell einsetzen möchte, könnte ebenfalls das WebWhiteboard nutzen. Noch besser ist aber Padlet (de.padlet.com) geeignet: Hier kann ich mit meinem Coachee in Echtzeit die Mitglieder seines Inneren Teams entdecken, ihnen einen Namen geben, eine typische Aussage zur Situation notieren und anschließend die Teammitglieder auch verschieben und neu gruppieren. Durch die Verwendung von unterschiedlichen Farben kann ich zusammengehörige Teammitglieder kennzeichnen oder das Augenmerk auf bestimmte Konstellationen richten. Aus meiner Sicht ist es dabei gut zu verschmerzen, dass die Teammitglieder hier nicht als Personen dargestellt werden, denn: Aufstellungen laufen im Kopf! Meine Erfahrung ist, dass es die neutrale Darstellung sogar leichter macht, die einzelnen Teammitglieder zu beschreiben oder – wenn man hypnosystemisch arbeitet – im Körper zu verorten und ihnen nachzuspüren. Denn auch das geht virtuell.

Screenshot von Padlet

Körperorientierte Methoden

Zunehmend finden Methoden Eingang ins Coaching, die den Körper mit einbeziehen. Unter der Sammelbezeichnung „bifokal-multisensorische Interventionsstrategien“ nutzen Coachs zum Beispiel diverse Klopftechniken oder aus der Traumatherapie stammende Verfahren wie EMDR, um ihren Klienten in Stresssituationen oder bei emotionalen Blockaden zu helfen. Auch diese Methoden lassen sich virtuell einsetzen. Voraussetzung ist meines Erachtens viel Erfahrung und das Wissen um Alternativen, wenn es virtuell nicht so klappt wie in der direkten Begegnung. Auch sollte der Coach nur an Themen arbeiten, die tatsächlich ins Coaching (und nicht etwa in eine Therapie) gehören, um Situationen zu vermeiden, die seiner Kontrolle entgleiten (wie beispielsweise eine Retraumatisierung beim Einsatz von EMDR).

Am sinnvollsten ist es, den Einsatz dieser Methoden als eine geführte Anleitung zum Selbstcoaching zu verstehen. In der Regel ist bei der Arbeit mit körperorientierten Methoden eine Videoübertragung notwendig, weil der Coach dem Coachee zum Beispiel bestimmte Klopfsequenzen vormacht. Außerdem erlaubt das Video dem Coach, unmittelbar zu reagieren oder ein Feedback zu geben, wenn er Fehler bei der Durchführung oder für die Intervention relevante Reaktionen in der Mimik oder Gestik des Coachees wahrnimmt. Besser als Skype eignet sich hier Zoom (zoom.us), weil die Videoqualität höher und die Verbindung stabiler ist. Außerdem sind ein Whiteboard sowie die Möglichkeit, Sessions aufzuzeichnen, bereits integriert (teilweise allerdings kostenpflichtig).

Frau führt Klopfsequenz aus

Zürcher Ressourcen Modell ZRM

Das Zürcher Ressourcen Modell unterstützt Coachees bei der Entwicklung einer zieldienlichen inneren Haltung und Motivation. Der Prozess besteht aus mehreren Schritten: Aus einem Pool von Bildern wählt der Coachee eines aus, das bei ihm einen starken positiven Affekt auslöst. Dazu sammelt er ressourcenvolle Assoziationen und formuliert unter Beachtung bestimmter Kriterien ein so genanntes Mottoziel.

Virtuell kann man diese Schritte auf unterschiedliche Art gestalten, hier eine Möglichkeit: Den Bilderpool habe ich sowohl online auf OneDrive (onedrive.live.com; alternativ gehen auch Google Drive und viele andere Onlinespeicher) als auch in Form einer PDF-Datei angelegt und kann ihn so jedem Coachee per Link oder Mail zugänglich machen. Die Assoziationen sammelt der Coachee zwischen zwei Terminen, manchmal per E-Mail oder WhatsApp. Oder wir brainstormen gemeinsam während des Coachings. Die bei ZRM zentrale Affektbilanz wird am virtuellen Whiteboard durchgeführt. Die Entwürfe und die finale Version des Mottoziels notieren wir ebenso wie Erinnerungshilfen am Whiteboard. Das Gespräch selbst findet per Zoom (wegen des integrierten Whiteboards) oder auch am Telefon statt. Für die Verankerung des Mottos im Rahmen einer leichten Tranceinduktion ist allerdings der Videokanal hilfreich.

Person schaut Bilder auf Computer an

Grenzen von virtuellem Coaching

Nach den Vorteilen und Einsatzmöglichkeiten von virtuellem Coaching noch ein Wort zu den Grenzen:

  • Virtuelles Coaching ist oft konzentrierter und kommt schneller zu Ergebnissen, es ist deshalb aber auch anstrengender für den Coachee und die Aufmerksamkeitsspanne nimmt ab. Virtuelle Termine sollten deshalb tendenziell kürzer sein als persönliche Treffen. Ich habe gute Erfahrungen mit einer Dauer von ein bis zwei Stunden gemacht.
  • Die Sinneskanäle sind eingeschränkt. Ein virtueller Coach muss sich deshalb bewusst Gedanken machen, wie er diese Herausforderung als Chance gestaltet und auf anderen Kanälen kompensiert.
  • Virtuelles Coaching ist nicht ganzheitlich. In einer Zeit, in der Naturcoaching, Wandercoaching, Coaching mit Pferden, Coaching im Kloster u. ä. boomt, wird deutlich, dass es sich hier nur um eine Antwort auf die Bedürfnisse der Klienten handelt, nicht um die einzige.
  • Last but not least: Virtuelles Coaching ist auch Persönlichkeits- und Stilsache. Finden sich Coach und Coachee im virtuellen Raum – wunderbar! Wenn nicht, dann geht man eben einen anderen Weg.