So gelingt Coaching im virtuellen Raum (1) – Das richtige Setting und tragfähige Beziehungen

Wie baust du als Coach trotz Ferne eine tragfähige Beziehung zu deinem Coachee auf? (Foto: Pexels.com)

Stell dir einmal eine Coachingsitzung vor... vielleicht hast du dabei zwei Menschen vor Augen, die sich im selben Raum befinden und an einer Aufstellung oder einem Flipchart arbeiten. Geht das überhaupt virtuell? Unser Autor Christoph Schalk zeigt dir den Nutzen von virtuellem Coaching und erklärt, wie man das richtige Setting wählt und trotz der Ferne eine tragfähige Beziehung aufbauen kann.

Neulich bei einer Coachingausbildung: „Das kann man virtuell doch nicht machen!“, meinte eine Teilnehmerin. Ich hatte als Trainer gebeten, Situationen aus Coachinggesprächen zu schildern, die nach Meinung der Teilnehmer nur im persönlichen Treffen, nicht aber im Telefoncoaching oder sonst irgendwie virtuell zu gestalten wären. Der neueste Punkt in unserer Liste am Flipchart, auf den sich auch der Kommentar bezog: „Selbstklärung mit dem Inneren Team“. Dass ich genau das im virtuellen Coaching regelmäßig mache, verriet ich der Gruppe an dieser Stelle noch nicht.

Der Coach soll sich die Freiheit nehmen, den Kern seines bisherigen Vorgehens im klassischen Setting kreativ neu zu gestalten. (Foto: Pexels.com)

Viele stellen sich ein klassisches Setting vor

Viele Coachs verbinden – unabhängig von ihrer Berufserfahrung – mit Coaching die Vorstellung eines klassischen Settings, bei dem man sich persönlich in einem Raum trifft und miteinander redet. Auch bei mir laufen viele Coachingprozesse so ab. Gleichzeitig coache ich bereits seit gut 20 Jahren auf virtuellem Weg: Mein Gesprächspartner befindet sich während des Coachings an einem anderen Ort, oft hunderte von Kilometern entfernt, manchmal auf einem anderen Kontinent.

Wenn ich davon im Kollegenkreis erzähle, höre ich oft Einwände: „Ob das genauso effektiv ist wie ‚echtes‘ Coaching?“ Die verschiedenen Sinneskanäle seien ja doch recht eingeschränkt, ich würde die Körpersprache meiner Coachees nicht richtig wahrnehmen. Der Beziehungsaufbau am Anfang eines Coachingprozesses könne am Telefon nicht wirklich gelingen. Und zudem sei der Coach methodisch sehr begrenzt, etwa bei Visualisierungen, bei der Aufstellungsarbeit oder bei körperorientierten Vorgehensweisen.

Dahinter steht oft das Bestreben, den Coachingprozess oder die verwendeten Methoden genauso „perfekt“ und umfassend wie im klassischen Coaching einzusetzen und eins zu eins in die virtuelle Welt zu übertragen. Aber wer virtuell coachen will, darf sich nicht durch Methoden und fest definierte Vorgehensweisen versklaven lassen. Auf der Basis eines soliden Wissens über Wirkfaktoren im Coaching muss er sich die Freiheit nehmen, den Kern seines bisherigen Vorgehens kreativ neu zu gestalten. Dabei wird er die Erfahrung machen, dass gar nicht so viel verändert werden muss.

Der Nutzen von virtuellem Coaching

Warum aber solltest du überhaupt virtuell coachen? Was sind die Vorteile für dich und deine Coachees? Ich sehe hier an erster Stelle die Kombination aus Flexibilität und Ökonomie: Ohne dass der Coachee Zeit für die eigene An- und Abreise einplanen (oder die des Coachs bezahlen) muss, wird Coaching auch in kleineren Zeiteinheiten, quasi „zwischendurch“, möglich und lässt sich sinnvoll realisieren. Zwar ist es bei manchen Coachinganliegen durchaus wünschenswert, wenn der Coachee räumlichen Abstand zum Arbeitsalltag gewinnt. Bei vielen Anliegen ist das aber nicht notwendig und der zusätzliche Zeitaufwand eher lästig. Die moderne Arbeitswelt ist geprägt von virtuellen Teams, Mobilität, Auslandsaufenthalten etc. Warum soll ich den Coachingprozess mit einer Führungskraft unterbrechen, nur weil diese in den nächsten sechs Monaten in der Niederlassung Peking arbeiten wird? Oder warum soll ich als Coach meinen Kundenkreis auf die Region einschränken, um den Reiseaufwand zu begrenzen? Auch der Klimawandel ist ein Argument: Während der Orkan Friederike über Deutschland hinwegzog und manche Kollegen ihre Termine absagen mussten, hatte ich drei virtuelle Coachings. Ganz ohne CO2-Emmissionen.

Warum den Coachingprozess mit einer Führungskraft unterbrechen, nur weil diese für die nächsten Monate in Peking arbeitet? (Foto: Pexels.com)

Fern-Beziehungen

Wie aber sieht es mit dem Beziehungsaufbau in der virtuellen Welt aus? Vor 10 Jahren habe ich diese Frage sehr ernst genommen und mit Kollegen oder Kunden ausführlich diskutiert. Inzwischen habe ich es weitgehend mit Coachees zu tun, die diese Frage (im Gegensatz zu vielen Coachs) längst für sich beantwortet haben: weil sie in ihrer beruflichen Rolle sowieso ständig virtuell kommunizieren; weil sie Teams führen, die sich über mehrere Kontinente verteilen; weil sie schon seit Jahren erfolgreich Telefonakquise machen; weil sie bereits in der Welt der Digitalisierung angekommen sind. Natürlich sieht die Beziehungsgestaltung virtuell anders aus als im direkten Kontakt, wo ich meinem Coachee die Hand geben und eine Tasse Kaffee anbieten kann. Aber auch im virtuellen Coaching kann ich mich zu Beginn des Gesprächs nach dem Befinden meines Coachees erkundigen und besonders aufmerksam auf die Zwischentöne in der Antwort, die Vibration in der Stimme, das leise Zögern im Satz achten und emphatisch nachfragen. Wir können uns virtuell genauso darüber unterhalten, wo wir gerade sind, wie der Tag für uns bisher lief, vor welchen Herausforderungen wir stehen.

Auch sogenanntes „Blended Coaching“ ist möglich: Ein Teil des Coachingprozesses wird in Form von Präsenzterminen durchgeführt, ein anderer Teil virtuell. Beispielsweise kann am Anfang ein persönliches Kennenlernen und die Zielklärung bei einem gemeinsamen Treffen stattfinden, die weiteren Termine laufen überwiegend virtuell mit vierteljährlichen persönlichen Begegnungen.

Die Feinheiten in der Stimme des Coachees hören… Eine Art des virtuellen Coachings ist auch das Telefonat. (Foto: Pexels.com)

Meine Lieblingskombination: Audio plus Whiteboard

Was das Setting angeht, kann man grob folgende Arten virtuellen Coachings unterscheiden:

  • Findet die Interaktion zwischen Coach und Coachee zeitgleich statt (etwa als Skypegespräch), dann spricht man von synchronem Coaching. Asynchron hingegen ist ein Coachingprozess, der zeitversetzt, beispielsweise per E-Mail, geführt wird.
     
  • Manche Kommunikationswege nutzen nur den auditiven Kanal (Telefon oder auch Skype ohne Video), andere beziehen auch den visuellen Kanal ein (Skype oder Zoom mit Kameranutzung). Wieder andere nutzen eine rein textbasierte Kommunikation (E-Mail, Chat, WhatsApp, SMS oder die gemeinsame Arbeit an Onlinedokumenten).
     
  • Des Weiteren gibt es umfassende Onlinecoaching-Plattformen, fürs Coaching geeignete eLearning-Systeme, Coaching-Apps oder einzelne Webtools, die fürs Coaching entwickelt wurden oder zumindest dafür genutzt werden können. Je nach Tool stehen hier unterschiedliche Kanäle im Vordergrund.

Ich persönlich habe die besten Erfahrungen mit der Kombination von einem rein auditiven Kanal (über Telefon, Skype oder Zoom ohne Video) und einem internetbasierten Whiteboard für Visualisierungen gemacht. Das ermöglicht ein konzentriertes Arbeiten am Thema, den Einsatz von Text, Skizzen, Bildern etc. – und gleichzeitig wird die Ablenkung durch das Videobild vermieden. Es ist nämlich etwas ganz anderes, ob ich eine Person in einem direkten Treffen sehe und wahrnehme oder ob die beiden Gesprächspartner auf eine Kamera fixiert sind. Die meisten Menschen erstarren dabei regelrecht, sprechen nicht mehr ungezwungen und denken mehr an ihr nicht so fotogenes Doppelkinn als an das Thema. Wenn ich den anderen hingegen nur höre, entsteht meist eine sehr große Offenheit und Tiefe: Der Coachee spricht wie zu sich selbst. Bei sehr persönlichen oder emotionalen Themen ist es sogar hilfreich für den Coachee, niemandem in die Augen schauen zu müssen. Wichtig für den Coach ist es, auf die Feinheiten in der Stimme des Coachees zu hören. Feinste Nuancen transportieren hier einen Informationsgehalt, der im „normalen“ Gespräch oft nicht wahrgenommen wird, im virtuellen Coaching aber Anlass für Nachfragen und Feedback durch den Coach sein kann.

In Teil 2 meines Artikels werde ich dir zeigen, wie du internetbasierte Werkzeuge nutzen kannst, um klassische Coachinginterventionen wie die Arbeit mit Skalierungen, dem Inneren Team, dem Zürcher Ressourcen Modell oder auch körperorientierte Methoden durchzuführen.