Embodiment: Lass den Körper sprechen
Im Embodiment gehen wir davon aus, dass der Geist verkörpert ist. Unser Körper ist wiederum in die Umwelt eingebettet. Zwischen Denken, Fühlen und Körperempfindungen gibt es also immer ein Wechselspiel. Mittlerweile zeigen viele Forschungsergebnisse, dass unsere Körperhaltung sich auf unser Denken und Fühlen auswirkt. Und auch andersherum: Was wir denken und uns vorstellen, spiegelt sich im Körper wider. In Therapie und Coaching sprechen und reflektieren wir viel, übersehen aber den Körper. Die folgenden Ideen und Übungen helfen dabei, den Körper mehr in die eigene Arbeit einzubeziehen.
Die Räume sind unser zweiter Körper
Die Architekturpsychologie betrachtet den Körper als den kleinsten Raum, den wir bewohnen, und interessiert sich natürlich auch dafür, wie sich die räumliche Umgebung auf unser Wohlergehen und unsere Gesundheit auswirkt. So fördern Naturmaterialien im Raum das Wohlbefinden, Blumen im Blickfeld entspannen, Gegenstände und Bilder ermöglichen Fantasie und Kreativität. Deshalb startet die körperbezogene Arbeit auch damit, sich bewusst die eigenen Praxisräume anzuschauen. Vielleicht magst du nochmal mit Offenheit und Neugier durch deine Räume gehen, dir alles genau anschauen und auch deinen Körper dabei spüren. Stell dir vor, was deine Klient:innen sehen und wahrnehmen, was sie gut finden oder sich anders wünschen würden.
Impuls 1: Die Praxisräume bewusst wahrnehmen
- Fühlst du dich in deinen Arbeitsräumen wohl? Was brauchst du, um dich behaglicher dort zu fühlen?
- Was sind deine Lieblingsbereiche oder Lieblingsgegenstände?
- Was braucht es räumlich, um mit den Klient:innen an Themen zu arbeiten und auch den Körper dabei mehr einzubeziehen (z. B. Sofa, Materialien, Bewegungsraum…)?
- Welche drei Botschaften sollen deine Praxisräume vermitteln?
- Welche zwei kleinen Veränderungen möchtest du in deinen Arbeitsräumen zeitnah umsetzen?
Selbsterfahrung ist die Basis
Nicht nur für unsere Klient:innen ist eine körperorientierte Vorgehensweise sinnvoll, auch wir profitieren davon, unserem Körper zuzuhören und ihn in die Arbeit einzubeziehen. Den Körper zu spüren und wahrzunehmen, ist die Voraussetzung für eine gelingende Selbstfürsorge und die Basis für den Kontakt zu anderen Menschen.
Impuls 2: Im Körper ankommen
Setze dich bequem hin und schließe die Augen. Spüre den haltgebenden Kontakt mit dem Boden und mit dem Stuhl oder Sessel. Die Augen, der Kiefer dürfen sich entspannen, die Schultern sinken. Nimm Kontakt mit dem Atem im Körper auf und spüre das Ein- und das Ausatmen. Du kannst nun wahrnehmen, in welcher Stimmung du bist und welche Gedanken da sind.
Diese kleine Übung braucht nicht viel Zeit und stellt doch Kontakt zu unserem gegenwärtigen Erleben her. Wir brauchen die Verbindung zu unserem Körper auch während der Arbeit. Der Soziologe Hartmut Rosa hat eindrücklich herausgearbeitet, wie wichtig Resonanz für die Beziehung zur Welt und zu anderen Mitmenschen ist (Rosa, 2016). Er sieht unseren Körper als „Klangkörper“, der mitschwingt und auch selbst Schwingungen ausstrahlt. Diesen Klangkörper gilt es zu stimmen und wahrzunehmen.
Oft sind wir ja auch mit schwierigen Themen konfrontiert. Unsere Klient:innen bringen Erfahrungen von Mobbing und Überlastung mit, sie fühlen sich überwältigt von Schmerz, Angst und Depression oder es fällt ihnen schwer, sich im beruflichen Feld abzugrenzen. Diese Erfahrungen belasten nicht nur die Klient:innen, sondern können auch uns „anstecken“ und zu Verspannungen und Belastung führen.
Wenn wir unseren Körper auch inmitten von Therapie und Coaching wahrnehmen, können wir diese Resonanzen spüren und uns schützen. Gleichzeitig helfen unsere körperlichen Signale auch dabei, uns einzufühlen und das Gegenüber besser zu verstehen.
Impuls 3: Pendeln
Achte während der Sitzungen auf deine eigenen Körperempfindungen und Gefühle und pendle dann mit deiner Aufmerksamkeit zum Gegenüber. Nimm die Körperhaltung, die Mimik, die Stimme, die Atmung, die Bewegungen der anderen Person wahr. Dann gehe wieder mit der Aufmerksamkeit zu dir zurück und nimm deinen Körper wahr. Mach dir diese Pendelbewegung als eine hilfreiche Gewohnheit zu eigen.
Wir sitzen viel und hören viel zu, das hinterlässt auch Spuren im Körper. Die folgende Übung hilft dir dabei, Anspannungen und Belastungen abzuschütteln und loszulassen. Entspannung und Vitalisierung sind die Folge:
Impuls 4: Die Schüttelmedizin
Schütteln ist in vielen Bewegungs- und Tanztraditionen etwas Heilsames. Das kannst du sofort ausprobieren. Du beginnst im Stehen, deine Hände und Arme zu schütteln, die Schultern und der Rücken können auch beginnen, sich zu schütteln. Sei neugierig, wie das Schütteln den gesamten Körper erfasst. Du kannst das Schütteln dosieren, sanfter oder stärker werden lassen, so wie es sich am angenehmsten für dich anfühlt. Du kannst auch etwas abschütteln, losschütteln, weit in den Raum hineinschütteln. Experimentiere mit der Schüttelmedizin. Wenn du magst, kann dir auch Musik beim Schütteln helfen, z. B. das Stück Webs von Glen Velez. Finde deinen eigenen Rhythmus und lass dich von der Schüttelmedizin regenerieren.
Diese Übung ist natürlich auch in Coaching und Therapie-Prozessen super hilfreich. Wenn Menschen sehr angespannt oder müde sind, wenn sie gedanklich feststecken oder sich überwältigt fühlen. Das Schütteln ist ein Allrounder.
Einladen und motivieren
Ich werde immer wieder gefragt, wie ich Klient:innen motiviere, Körperübungen auszuprobieren. Meine kurze Antwort lautet: Die Übungen müssen die Themen und Ziele der Klient:innen aufgreifen und sie müssen verstehen, wozu sie eine Körpermethode ausprobieren sollen. Dann steht dem Ausprobieren nichts mehr im Wege. Dazu zwei Beispiele:
Kontakt zum Körper über den Atem finden
Frau M. ist in onkologischer Behandlung und wünscht sich, wieder einen wohlwollenden Kontakt zu ihrem Körper zu finden. Sie ist noch sehr erschöpft, deshalb beginnt das Üben im Liegen auf einem bequemen Sofa. Ich schlage Frau M. vor, den Atem an verschiedenen Stellen im Körper zu erkunden (Nase, Brust, Bauch, unterer Rücken). Diese Übung stammt aus einem Achtsamkeitsprogramm für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Schmerzen und passt zum Auftrag der Klientin (Burch, 2009). Frau M. empfindet die Methode als entspannend und wohltuend. Besonders gern spürt sie den Atem im unteren Rücken. Während der Sitzung nehme ich die Übung auf, damit Frau M. damit zu Hause üben kann.
Klarer Standpunkt
Herr S. möchte beruflich einen klareren Standpunkt einnehmen und sich besser vertreten. Ich erkläre ihm Ergebnisse aus der Embodimentforschung, die zeigen, dass Körperhaltungen dazu beitragen können, positive Zielzustände zu verkörpern. Das überzeugt ihn und er möchte mit mir gemeinsam verschiedene Körperhaltungen im Stehen ausprobieren. Ich ermutige den Klienten eine stabile Position für sich zu finden und den Kontakt zum Boden und zum eigenen Kraftzentrum zu spüren. Herr S. wirkt in der Körperhaltung bestimmter und präsenter und er nimmt in sich eine größere Stabilität und Ruhe wahr. Auch im Sitzen gelingt es ihm, eine Haltung zu finden, die eine klare Gelassenheit verkörpert. Die Wirkung wird für Herrn S. noch stärker, wenn er zu sich sagt oder innerlich denk: „Ich bin stabil und weiß, was ich will“. Der Klient übt nun das Einnehmen bewusster Körperhaltungen in Gesprächen, Meetings und bei Vorträgen.
Wie die körperbezogene Arbeit gelingt
Hier noch einige Tricks und Kniffe für die Arbeit mit körperorientierten Methoden:
- Nimm dein Gegenüber mehr in seiner/ihrer Körperlichkeit wahr.
- Mache zwischen den Sitzungen auch für dich kurze Körperübungen.
- Erstelle dir eine Toolbox mit Körperübungen für verschiedene Themen und Ziele.
- Höre gut zu und greife Schlüsselwörter auf, um genau dafür Übungen anzubieten.
- Biete immer Wahlmöglichkeiten und Übungsvarianten an, das fördert Selbstbestimmung und Motivation.
- Mache die Übungen mit, wenn die Klient:in das hilfreich findet.
Also, los geht’s! Was brauchst du im Moment? Dehnung, Schütteln oder eine Pause im Liegen?
Zum Weiterlesen:
(Werbung). Ulrike Juchmann (2025). Therapie Tools: Körperorientierte Interventionen. Weinheim: Beltz.
Vidyamala Burch (2009). Gut leben trotz Schmerz und Krankheit. Der achtsame Weg, sich vom Leid zu befreien. München: Goldmann.
Hartmut Rosa (2016). Resonanz Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.