Should I stay or should I go? Trennungsprozesse bewusst begleiten

Ein Mann sitzt nachdenklich auf einem Sofa und zieht sich den Ring vom Finger

Will ich mich wirklich trennen? Und wenn ja, wie? Trennungen sind schmerzhaft – und oft ein langwieriger Prozess, der viel Klärung und Kommunikation erfordert. In ihren Coachings unterstützt Annette Oschmann ihre Klient:innen dabei, für sich eine Entscheidung zu treffen und im Fall der Fälle konstruktiv auseinanderzugehen. Wie das gelingt und wie eine Trennung bewusst gestaltet werden kann, darüber hat sie uns im psylife-Interview berichtet.

Ich höre immer wieder, dass es heutzutage mehr Trennungen gibt als früher. Stimmt das?

Die Scheidungszahlen bleiben relativ konstant bzw. zeigen allenfalls eine leicht steigende Tendenz. Sie liegen meist knapp unter 40% bei den Erst-Ehen. Bei den Zweit- und Dritt-Ehen fallen sie höher aus. Grundsätzlich habe ich aber schon den Eindruck, dass alle Partnerschaften, ob mit oder ohne Ehe, und auch Freundschaften heutzutage schneller auf den Prüfstand kommen. Phänomene wie Ghosten, also dass man jemanden blockiert und überhaupt nicht mehr mit der Person spricht, sind relativ neu und beschreiben letztlich ja auch Trennungen.

Was sind typische Gründe für eine Trennung? 

Ich habe in meinen Coachings viele Klient:innen, die zwischen 40 und 60 Jahren alt sind. Sie fragen sich oft: „Soll es das jetzt gewesen sein?“ Eine existenzielle Frage, die jeden von uns ergreift, wenn auf einmal Freund:innen krank und Eltern schwächer werden. Dazu gehören in einer Partnerschaft dann auch die Fragen: Will ich mit diesem Menschen alt werden? Ist da Veränderung in der Partnerschaft möglich oder läuft es auf eine Trennung hinaus?

Auch die Freiheit, sich zu trennen, steigt. Frauen sind heutzutage selbstständiger, häufiger berufstätig und besser abgesichert als früher. Gerade im höheren Alter sind es oft die Frauen, die sich trennen, weil sie merken: „So will ich das jetzt nicht mehr.“ Ich pauschalisiere jetzt mal bewusst: Wenn beide Partner:innen in den Ruhestand gehen, wollen Männer sich oft ausruhen und die Frauen wollen noch mal die Welt erforschen. Das ist so eine klassische Situation, in der die Lebenswege auseinander gehen können.

Ich habe direkt den Songtitel von „The Clash“ im Kopf: „Should I stay or should I go?“ Wie laufen Trennungsprozesse ab?

Bis man sich tatsächlich trennt, ist im Vorfeld schon einiges passiert. Das sind langfristige Prozesse, die sich über Monate, aber auch Jahre ziehen können. Es steht ja auch viel auf dem Spiel: Man hat was zusammen aufgebaut, es gibt vielleicht Kinder, ein Haus oder eine Wohnung, Geldanlagen oder eine gemeinsame Altersvorsorge… Da ist eine Trennung eine große Entscheidung. Diese Entscheidung für sich zu treffen, daran arbeite ich mit meinen Klient:innen.

Eine Frau stützt den Kopf in die Hände, hinter ihr redet ein Mann aufgeregt auf sie ein.

Wie kann man da eine gute Entscheidung für sich treffen?

Nur durch Klärung für sich selbst. Damit fängt auch das Coaching an: Innere Klarheit. Wofür stehe ich? Was sind meine Werte? Was brauche ich?  

Zur Klärung kommen dann noch zwei Aspekte hinzu: Zum einen fühlen sich viele verantwortlich für den anderen, sie sind schließlich einen Bund eingegangen - auch ohne Trauschein. Das heißt, sie müssen die Verantwortung für die Partnerschaft und die Verantwortung für sich selbst voneinander abgrenzen. Und der zweite Aspekt ist: Soll ich das wirklich alles aufs Spiel setzen?

Wenn diese großen Fragen geklärt sind, ist meistens auch die Entscheidung klar. Das ist sowohl ein rationaler als ein emotionaler Prozess - Bauch und Kopf. Heutzutage sind wir alle mehr im Kopf und können alles wunderbar durchdenken, aber mal eine Etage tiefer zu rutschen und zu gucken: „Was sagt denn mein Bauchgefühl?“, das können viele nicht mehr. Im Coaching geht es daher auch darum, den Kontakt zu sich selbst wiederherzustellen.

Wenn die Entscheidung getroffen ist und es zu einer Trennung kommt, wie geht es dann weiter?

Oft kommt dann viel Rechtliches: Altersvorsorge, Unterhalt, usw. Das klingt erstmal schlimm, kann aber auch ordentlich, konstruktiv und kooperativ gelöst werden. Dabei kann ich allerdings im Coaching nicht unterstützen. Dazu braucht es Rechtsanwält:innen im Familienrecht oder Mediator:innen.

Hinzu kommen die ganzen Gefühle, die verarbeitet werden wollen. Jede Trennung fühlt sich erstmal wie Scheitern an. Trennung ist Verlust. Wie gehe ich damit um? Wie kommuniziere ich mit dem anderen? Wir sind schnell dabei, dem anderen Vorwürfe zu machen. Aber ich kann auch versuchen, mit Ich-Botschaften zu arbeiten und - wie in der Gewaltfreien Kommunikation -zu äußern, was ich fühle und was mein Bedürfnis ist, anstatt dem anderen die Schuld zuzuschieben.

Oft hat die Person, die sich trennt, ja im Vorfeld schon viel für sich geklärt, aber die verlassene Person ist erstmal vor den Kopf gestoßen…

Ja, den anderen erwischt es dann kalt. Aber richtig überraschend kommt es oft auch nicht, denn der andere hat vielleicht schon was gespürt, es aber aus Bequemlichkeit einfach nicht sehen wollen. Es kann sein, dass sich nach der Trennung nochmal ein längerer Prozess anschließt, weil der andere es nicht akzeptiert. Ich arbeite viel mit conscious uncoupling. Das zielt darauf ab, sich so weit wie möglich in Frieden zu trennen, also eine Trennung ganz bewusst zu gestalten. Kommunikation kann viel dazu beitragen. Dazu kann es z. B. gehören, dem anderen anzubieten, noch weiter für ihn oder sie da zu sein. Es gibt aber auch Situationen, da ist das nicht möglich, da braucht es erstmal einen klaren Kontaktabbruch, den klaren Cut. 

Wie erleben Sie denn die Auswirkungen einer Trennung auf das familiäre Umfeld, insbesondere wenn Kinder involviert sind?

Kinder sind oft die Seismografen für die Partnerschaft ihrer Eltern. Sie spüren schnell kleine Schwingungen, auch ohne dass laut gestritten wird. Für sie ist die Trennung daher oft keine große Überraschung. Manche sagen, „gut, dass ihr euch trennt, das war kaum noch auszuhalten“. Andere Kinder sind sehr mitgenommen, müssen aufgefangen und begleitet werden.  

Eine Frau reißt ein Bild auseinander, auf dem eine Frau und ein Mann mit einem Herz gezeichnet sind.

Ein vernünftiger Umgang der Eltern mit der Trennung bedeutet, sie geben dem Kind die Sicherheit: „Wir lieben dich. Wir sind jetzt als Paar auseinandergegangen, aber das hat nichts mit dir zu tun, sondern mit unserer Partnerschaft. Wir werden gemeinsam immer für dich da sein und unser Bestmögliches versuchen“.  

Oft läuft es natürlich gerade am Anfang nicht immer so „vernünftig“. Dann ist man erst mal verletzt. Da ist eine offene Wunde, mit der man erstmal klarkommen muss. Daher ist im Grunde der Auftrag an die Partner:innen: Klärt euch selbst, damit ihr für eure Kinder weiter da sein könnt.

Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Fehler oder Fallstricke, die in Trennungssituationen entstehen können?

Zum einen, dass man in Vorwürfe verfällt und die Schuld immer beim anderen sucht - egal, ob ich die Person bin, die sich trennt, oder die, die verlassen wird. Zum anderen, dass man aufgrund der Verletzung ganz schnell in kindlichen Glaubenssätzen drinsteckt. Dann kommuniziere ich aus meinem kindlichen Ich und das ist oft trotzig, zornig und unbeherrscht. Das kann auch ein Prozess sein, aus dem Erwachsenen-Ich heraus zu sagen: „Ich treffe den Entschluss, erwachsen, reif und konstruktiv zu kommunizieren.“

Welche Rahmenbedingungen würden Sie sich für Paare wünschen, die sich trennen?

2018 war ich die erste Coachin für concious uncoupling in Deutschland. Seitdem hat sich viel getan und es gibt immer mehr Trennungscoachings. Aber ich würde mir wünschen, dass es noch mehr niederschwellige Angebote gibt, wie von karitativen oder kommunalen Trägern, wo man schon im Vorfeld mit dem Partner hingehen und Dinge ansprechen kann. Ein Angebot für Paare, die sich orientieren wollen, ohne direkt eine Paartherapie zu machen oder sich zu trennen. Jede Partnerschaft, die gerettet werden kann, ist gut. Ich bin auch als Trennungscoachin nicht „pro Trennung“, sondern arbeite für eine fundierte Entscheidung. Ich möchte nichts zerhacken, was noch Bestand haben kann. Das ist ein Prozess mit Kurven und Abzweigmöglichkeiten! Und das Ergebnis kann auch sein: „OK, ich versuch es doch noch mal.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Annette Oschmann:  
Annette Oschmann ist Coachin und Mediatorin, die Menschen in herausfordernden Lebenssituationen wie Trennungen und persönlichen Konflikten unterstützt. Die promovierte Juristin arbeitet zudem als Moderatorin in Kommissionen zu gesellschaftlich relevanten Themen des Kinder- und Jugendschutzes. Sie schreibt Bücher zu Familien- und Beziehungsthemen. 

Weitere Informationen findest du unter: https://www.annette-oschmann.de/ 

Zum Weiterlesen: 
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