OPD-3: Ein Hauch mehr Unbewusstes weht durch die Konflikt-Achse
Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) hat nicht nur in der Praxis der psychodynamischen Psychotherapie einen festen Platz bekommen – auch in benachbarten Psychotherapieverfahren sowie im Coaching findet die OPD immer mehr Beachtung. Die neue Fassung, die OPD-3, wurde mit Spannung erwartet und enthält einige Veränderungen. Der folgende Beitrag wirft einen Blick auf die bekannte Konflikt-Achse.
Im Zentrum der OPD steht der Versuch, zentrale psychodynamische Konzepte wie Konflikt, Beziehung und Struktur beobachtungsnah und überprüfbar zu beschreiben. Hier wird ein wichtiger Beitrag gegen die Babylonische Sprachverwirrung und Schwammigkeit in den psychoanalytischen Begriffen geleistet. Kurzum: die OPD ist eine Bereicherung. Aber was gibt es Neues in der mit Spannung erwarteten 3. Fassung der OPD?
Hierfür möchte der folgende Beitrag einen Blick auf eine der wichtigsten Achsen der OPD werfen - und zwar auf die bekannte Konflikt-Achse:
Was gibt’s Neues in der Konflikt-Achse der OPD-3?
Die grundlegende Unterteilung in 7 beobachtungsnahe operationalisierte Konflikte bleibt bestehen, ebenso die Beschreibung eines aktiven und passiven Modus.
1. Alles krankhaft, oder was? Neues Kontinuum bei den Konflikten:
Es ist zu begrüßen, dass in der neuen OPD-3 neben der krankhaften Entwicklung (z. B. ein pathologisches Sich Unterwerfen oder Klein Machen) auch eine gelungene lebensgeschichtliche Entwicklung innerhalb der Konfliktthemen beschrieben wird. Diese neue Sicht ist positiv, da die Psychoanalyse traditionell oft mit einem eher defizitorientierten Menschenbild in Verbindung gebracht wird.
2. „Sowohl-als-auch“ statt „Entweder-oder“: Konflikt-Schwere jetzt entlang des Strukturniveaus bestimmbar:
In der alten OPD war man noch der Auffassung, dass der Konfliktbegriff für ich-schwache Patient:innen mit geringerem Strukturniveau nicht so gut anwendbar sei. Hierdurch trennte man doch recht stark zwischen zwei Welten: und zwar zwischen überwiegend Konflikt-Patient:innen („klassischer Neurotiker“) auf der einen und überwiegend Struktur-Patient:innen („klassisch Borderline“) auf der anderen Seite. Das war eine zu schroffe Trennung, die jetzt aufgehoben wurde:
Eine wesentliche Neuerung der 3. Fassung der OPD stellt dar, dass die Konflikte bereits in der Konflikt-Achse (Achse III) mit dem Strukturniveau in Verbindung gebracht werden.
Neu ist also, dass Konfliktthemen jetzt in einer anderen Art in drei Stufen unterteilt werden, um sie besser fassbar zu machen:
- Konfliktspannung – leichte Spannung, gut integriert.
- Neurotischer Konflikt – klassischer innerer Konflikt, mäßig integriert.
- Konfliktschema – tief verwurzeltes Problem, gering integriert.
Diese Änderungen, dass der Konflikt-Schweregrad entlang des Strukturniveaus spezifiziert wird, ist als deutliche Verbesserung anzusehen, da hierdurch „Konflikt“ und „Struktur“ im klinisch-psychodynamischen Denken näher zusammengerückt werden. Ein Denken in „Sowohl-als-auch“ wird in der Praxis mehr betont, statt eines „Entweder-oder“. Diese Unterteilung hilft, Konflikte in der Therapie genauer zu verstehen und zu behandeln (mehr zum Thema „Zusammenhang zwischen Konflikt und Struktur“ findest du in diesem Blogbeitrag).
3. „Bewusst oder unbewusst? Das ist hier die Frage!“ - Neueinführung des unbewussten Kernaffekts:
In der OPD-3 wurde der Kernaffekt als neues Konzept eingeführt. Im Gegensatz zum bewussten Leitaffekt der OPD ist der Kernaffekt ein unbewusster, tief verdrängter Gefühlszustand, der mit einem grundlegenden, frühen Konflikt aus der „Kinderstube“ verbunden ist. Dieser wird oft stark abgewehrt und ist daher in der Therapie schwer zu erkennen. Die OPD-3 beschreibt detailliert, wie diese Kernaffekte bei verschiedenen Konflikten und deren Bewältigungsstrategien eine Rolle spielen, was der Praxis der Diagnostik eine größere Tiefe verleiht.
4. „Hier und Heute“ oder „Dort und Damals?“ - Neue Unterscheidung zwischen lebenslangem und aktuellem OPD-Konflikt
Ebenso neu ist die Unterscheidung zwischen einem „lebenslangen/biografischen“ und einem „aktuellen“ OPD-Konflikt. Unter diesem lebenslangen OPD-Konflikt werden zentrale motivationale Konflikte verstanden, die bereits ein Leben lang bestehen (z. B. ein lebenslang überdauernder Individuations-Abhängigkeits-Konflikt). Unter dem aktuellen OPD-Konflikt werden hingegen die derzeit im Leben vorherrschenden Konfliktmuster verstanden. Im Ratingbogen der OPD (entweder im OPD-Buch oder im Netz hier) kann dann auf der Konfliktseite zudem noch die jeweilige Bedeutsamkeit des aktuellen Hauptkonflikts angegeben werden.
Ebenfalls wurde neu eingeführt, dass der Modus der Verarbeitung (aktiv/passiv) für die lebenslangen und für die aktuellen Konflikte einzeln beurteilt werden soll. Dadurch werden in der Praxis Veränderungen im Lebensverlauf besser darstellbar, da nicht selten der Modus (passiv oder aktiv) bei einem Konflikt über die Jahre wechselt.
5. „Tschüssikowski!“ - Aktualkonflikt gestrichen:
Unter dem Aktualkonflikt verstand man in der OPD-2 noch eine Art Realkonflikt, also bewusst beschreibbare Konfliktthemen der letzten Monate (z. B. ein schwerer Konflikt mit dem Chef). Der ist bewusst erlebbar und kann berichtet werden. Der Aktualkonflikt war aber nicht gleichzusetzen, mit dem aktuell wirksamen unbewussten Konflikt (ein Erklärvideo zum „AWUK“ findest du hier), der, wie der Name schon sagt, unbewusst ist, also das ist, was man im Gutachterverfahren „die unbewusste aktuelle Konfliktdynamik“ nennt.) Der Aktualkonflikt ist also jetzt aufgrund dieser möglichen Missverständnisse gestrichen worden.
3. „Vorhang auf für Stavros Mentzos“: Dilemma-Konzept nach Mentzos inspiriert das OPD-Konfliktverständnis:
Das traditionelle psychoanalytische Konfliktmodell ging davon aus, dass „echte“ Konflikte nur bei einer gewissen psychischen Reife entstehen, wie etwa bei einem inneren Kampf zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Mentzos wirft dieses zu einseitige Denken zurecht über den Haufen und bringt das Dilemma-Konzept ins Spiel: Bei Menschen mit sehr niedrigem Strukturniveau, etwa auf psychotischem Niveau, gibt es nämlich oft keine klaren Konflikte, sondern eher unlösbare Dilemmas: zwei gegensätzliche, bedrohliche Optionen, zwischen denen sie gefangen sind. Ein Beispiel: Jemand schwankt zwischen extremer Nähe und absoluter Distanz zu einer anderen Person. Beide Möglichkeiten erscheinen ihm als unerträglich. Um diesem „Dilemma“ zu entkommen, kann die Person in den Wahn psychotisch abgleiten. Das Konzept hilft also, tiefere, komplexe menschliche Erfahrungen zu verstehen, und gibt Therapeut:innen Werkzeuge, um Patient:innen zu unterstützen, diese Dilemmas zu erkennen und besser damit umzugehen – und zwar jenseits des üblichen „Konfliktlösens“. Die OPD öffnet sich nun für dieses Denken, sodass das Denken auch für die Praxis offener und flexibler werden kann. Das Kap. 4.4 der OPD-3 nimmt auf das Konzept nach Mentzos ausführlich Bezug.
Kurz-Fazit zur neuen OPD-3 Konflikt-Achse
Es wird in gewisser Hinsicht eine etwas neue Richtung eingeschlagen: Für die Konfliktachse (Achse III) wird in der OPD-3 ein neuer Fokus auf die größere Beachtung biografischer Entwicklungen und unbewusster Prozesse gerichtet. Es weht also ein Hauch mehr Unbewusstes durch die Konflikt-Achse.
Insgesamt sind diese und alle anderen Änderungen in der OPD-3 ambitioniert. Aufgrund der hierdurch höher gewordenen Komplexität muss sich in der Praxis noch bewähren, ob die neuen Ideen und Akzente auch so angenommen werden.
Wenn du das beobachtungsgelenkte Konfliktdenken der OPD mit einem eher psychoanalytischen Konfliktkonzept (s. Grundkonflikt) verbinden möchtest, steht dir das Komplementäre Modell Psychodynamischer Konfliktdiagnostik (KMK-Modell) zur Verfügung (s. Link-Sammlung).
Eine ausführliche Link- und Literatursammlung mit Praxisempfehlungen von Prof. Dr. Ingo Jungclaussen zur OPD kannst du dir hier herunterladen.