Mein Hund als Co-Therapeut – Interview mit Psychotherapeutin Anna Steinhausen-Wachowsky

In ihrer psychotherapeutischen Praxis in Köln arbeitet Anna Steinhausen-Wachowsky meist nicht alleine - ihre Hündin Canyamel ist als Co-Therapeutin mit dabei. Welche Rolle hat ihr Hund als Co-Therapeut? Und was gibt es bei der tiergestützten Therapie zu beachten? Anna Steinhausen-Wachowsky, die auch empirisch zu dem Thema arbeitet, Seminare und Qualitätszirkel leitet, berichtet im psylife-Interview über ihre langjährige Praxiserfahrung mit Hund.

Frau Steinhausen-Wachowsky, Sie arbeiten als Psychotherapeutin in eigener Praxis – und bieten auch tiergestützte Begleitung der Psychotherapie durch Ihren Hund an. War Ihr Hund von Anfang an dabei?

Ich arbeite seit 2012 in eigener Praxis als tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin. Als meine Hündin Canyamel ein gutes Jahr alt war (2013), nahm ich sie das erste Mal mit in die Praxis. Zunächst ein paar Stunden und mittlerweile bis zu 4 Sitzungen am Tag. Canyamel kommt gerne mit zur Arbeit und hat ihre Arbeitsdecke an einem festen Platz im Therapieraum. Sie selbst unterscheidet zwischen Arbeit und Privatleben und hat ihre Arbeitsweise für sich ganz klar.

Wie kamen Sie auf die Idee, in Ihrer Praxis auch tiergestützte Therapie anzubieten?

Ich habe während meiner Ausbildungszeit zur Psychotherapeutin in einer Beratungsstelle für Gewalt und Unfallopfer gearbeitet. Meine Kollegin nahm ihre beiden Hunde mit zur Arbeit und dort ergaben sich faszinierende Situationen, in denen man den tiergestützten Support des eigenmotivierten Tieres entdecken konnte. In Zweitgesprächen fragten die Klienten dann oft nach dem Hund. Sowohl die pure Anwesenheit des Hundes im Raum als auch die Berührung des Fells beruhigten die Klienten.

Der tierische Co-Therapeut wirkt auf den verschiedensten Störungsebenen, ob Traumata, Bindungsstörungen oder im Hinblick auf die Entfremdung vom Urwesen im Menschen.

Mir wurde deutlich, dass das nonverbale Kommunikationsangebot des Hundes, als ein zentrales Element der tiergestützten Arbeit, die Interventionen des Behandlers ergänzte. Durch meine Beobachtungen konnte ich die Effekte der tiergestützten Therapie auf meine spätere Arbeit in der tiergestützten Psychotherapie übertragen. Ich begann, die Wirkweisen und Wirkursachen zu dokumentieren. Für meine psychotherapeutische Arbeit zeigte sich, dass der Hund verschiedene Übertragungsphänomene auslösen kann. Er kann Hilfs-Ich, Spiegel, Übertragungsobjekt, Identifikationsobjekt, Selbstobjekt oder Projektionsfläche sein. Auch eine Vorbildfunktion im Sinne des Modelllernens kann das Tier für den Patienten einnehmen. Der tierische Co-Therapeut wirkt auf den verschiedensten Störungsebenen, ob Traumata, Bindungsstörungen oder im Hinblick auf die Entfremdung vom Urwesen im Menschen.

Was macht denn den Hund, im Vergleich zu anderen Tieren, zu einem so guten Co-Therapeuten?

Der Haus- und Hofhund ist seit etwa 12000 Jahren der Begleiter des Menschen und hat mit ihm eine gemeinsame Verständigungsebene entwickelt. In unserer Epigenetik sind diese Erfahrungen von Beziehung, Schutz und Verbundenheit verankert. Damit aktiviert der Hund während einer Therapie über die analoge Kommunikation im Patienten neben persönlichen Erfahrungen auch Verbundenheit mit der Natur, Körperlich-Sein und Einheitsgefühle mit dem Urwesen im Menschen. All diese Aspekte können je nach Bedarf in den Behandlungsprozess eingebunden werden.

Eignet sich jeder Hund als Therapiehund? Oder wie sollte ein „guter“ Therapiehund sein?  

Ein Therapiehund sollte als Co-Therapeut dem Menschen zugewandt und intakt- sozialisiert sein, sich selbst ausreichend abgrenzen können und Freude an der Arbeit haben. Mit dem Therapeuten sollte er eine stabile und kooperierende Beziehung entwickelt haben, die von Orientierung und Klarheit geprägt ist.

Für die Psychotherapie eignet sich aus meiner Sicht kein dressierter Hund, der nur auf Kommando ein erlerntes Repertoire abspult. Wichtig ist es, dem Hund Raum für instinktives-authentisches Verhalten zu geben. Denn gerade aus der Authentizität im Verhalten des Hundes entsteht der Mehrwert für die Psychotherapie. Der Hund bringt sich bei dem jeweiligen Patienten unterschiedlich ein und auch bei selbigen Patienten kann sich die Dynamik mit dem Hund verändern. Der Wirkungskreis des Hundes in der Psychotherapie sollte somit durch intuitive und selbstständige Angebote an den Menschen verstanden werden. Daraus wiederum kann der Behandler diagnostische Aspekte ableiten, wenn er die dyadischen und triadischen Bewegungen im Therapieraum als Szene beobachtet und die Kommunikationserweiterungen bewusst einsetzt, beispielsweise durch zirkuläres Fragen.

Welche Rolle spielt Ihr Hund in Ihren Therapiestunden?

Das ist wirklich sehr individuell und themen- und störungsspezifisch. Grundsätzlich spendet der Hund Trost, spiegelt die Atmosphäre im Therapieraum und kann bei Bedarf haltgebenden Körperkontakt geben.

Für die meisten Patienten hat er eine wichtige Rolle eingenommen, wobei jeder Patient wirklich seine eigene Beziehung zu dem Hund aufbaut.

In der Psychotherapie können Tiere den Patienten in seinem „archaischen Sein“ ansprechen.

Welche Vorteile hat die therapeutische Arbeit mit Hund?

Wenn Themen noch nicht versprachlicht werden können, kann der Zugang über analoge Kommunikation möglich werden. Genau hier setzt die Arbeit mit dem tierischen Co-Therapeuten an. In der Psychotherapie können Tiere den Patienten in seinem „archaischen Sein“ ansprechen. Urinstinkte, Selbstheilungskräfte und tiefere psychische Strukturen können somit „aufgeweckt“ und für den noch handlungsunfähigen Patienten kognitiv zugänglich werden. Zudem können taktile Kontaktangebote helfen, das Körper-Ich zu aktivieren und im Körperbewusstsein verankerte Erinnerungen hervorzuholen. Für traumatisierte Patienten im speziellen ist der Hund oft auch durch das taktile Angebot wichtig, um vor dissoziativen Zuständen zu schützen.

Für wen ist tiergestützte Therapie geeignet?

Ich denke, für jeden Menschen ist tiergestützte Arbeit geeignet. Wichtig ist für alle Beteiligten die Freiwilligkeit der tiergestützten Arbeit als Grundvoraussetzung.

Gibt es denn auch Patienten, die gar keinen Kontakt zum Hund möchten? Wie gehen Sie damit dann um?

Es gibt Patienten, für die der Hund keine große Rolle spielt oder zunächst nicht wichtig erscheint. Er ist halt da und er stört nicht. Bei anderen Patienten wird der Hund erst mit der Zeit wichtig. Die Anwesenheit des Hundes in der Psychotherapie ist jedoch niemals Bedingung, um einen Therapieplatz bei mir zu erhalten. Dies ist in meinen Augen ein ganz wichtiger Punkt. Tiergestützte Psychotherapie darf keine Patienten aus der Praxis ausschließen. Ich habe die Möglichkeit, ohne den Hund den Praxisalltag zu führen und kläre im telefonischen Erstgespräch und in der ersten Sprechstunde (ohne Hund) immer ab, ob der Patient die Anwesenheit des Hundes wünscht oder eben auch nicht. Es kommt aber sehr selten vor, dass Patienten den Hund ablehnen, die meisten sind neugierig und begeistert.

Der tierische Co-Therapeut steht nicht im ständigen Fokus der Psychotherapie, er ist mehr ein wertvoller Zusatz für den psychotherapeutischen Prozess.

Was würden Sie Kolleginnen und Kollegen raten, die ebenfalls anfangen möchten, tiergestützt zu arbeiten?

Es ist wichtig, den Begriff der tiergestützten Therapie als einen Oberbegriff zu verstehen. Das bedeutet, dass die tiergestützte Arbeit durch die berufliche Qualifikation des Menschen definiert ist und nicht durch das Tier! Tiergestützte Psychotherapie konkretisiert sich folgendermaßen: Tierische Co-Therapeuten werden in den Psychotherapieprozess integriert. In einem individuellen Behandlungsplan wird das Tier als diagnostisches und Interventionselement in den Therapieplan eingebunden. Der tierische Co-Therapeut steht dabei nicht im ständigen Fokus der Psychotherapie, er ist mehr ein wertvoller Zusatz für den psychotherapeutischen Prozess. Wirkursachen und Wirkweisen, sowie Interventionsmöglichkeiten sollten dem Behandler dabei vertraut sein.

Es gibt mittlerweile ein Institut für tiergestützte Arbeit für Psychotherapeuten in Süddeutschland. Auch im Westen von Deutschland gibt es viele Institutionen, die Seminare und Ausbildungen anbieten. Wichtig ist es, auf der Suche nach einer Ausbildung darauf zu achten, dass die dort angebotenen Inhalte auf die eigene Arbeit anwendbar sind. Eine vollständige Ausbildung ergibt sich aus praktischen Teilen mit dem eigenen Hund und einem Hundetrainer sowie theoretischen Grundlagen bezogen auf das Thema. Ich doziere einmal im Jahr in einer Ausbildung in tiergestützter Arbeit in Wuppertal. Dort stelle ich als Wirkursachenmodell meine empirisch hergeleitete 2- Punkte-These der tiergestützten Psychotherapie vor und zeige neben störungsspezifischen Interventionsmöglichkeiten auch grundsätzliche Vorteile der Kommunikationserweiterung für die psychotherapeutische Arbeit auf.

Ich rate auch zur regelmäßiger Supervision. Über die KVNO habe ich beispielsweise 2016 den Qualitätszirkel für tiergestützte Psychotherapie aufgemacht. Wir besprechen dort im kollegialen Kreis Fallvignetten und Rahmenbedingungen bezogen auf die Arbeit mit dem Hund in der Praxis. Dazu gehört dann auch die Psychohygiene für Mensch und Tier und die gute Teamarbeit.