Mit einer Privatpraxis auf dem freien Markt überleben

Viele Psychotherapeut*innen träumen von einem Kassensitz – doch die Sicherheit bringt auch Vorgaben, Einschränkungen und KV-Prüfungen mit sich. Nicht umsonst wird die private Psychotherapiepraxis immer beliebter. Wie sind die Chancen ohne Kassenzulassung? Und welche Strategien brauchst du, um auf dem freien Psychotherapiemarkt zu überleben? Die Antworten dazu hat unser Autor Werner Gross.

Die meisten Psychotherapeut*innen träumen immer noch von einer Kassenzulassung. Dann – so glauben sie – ist alles o.k.: Das Geld kommt von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) quasi automatisch, Akquise ist nicht mehr nötig und sie müssen keine Klinken mehr putzen, weil die Patient*innen einem ohnehin die Bude einrennen. Über den Wolken des Psychotherapiemarktes scheint die Kassenzulassungs-Freiheit grenzenlos – zumindest in der Phantasie vieler. 

Frau in einer Praxis sitzend, von der Seite

Wer mal eine Weile in der Regelversorgung als Kassenpsychotherapeut*in gearbeitet hat (und wenn der anfängliche „KV-Honeymoon“ erst mal vorbei ist), für den wird die Einschätzung meist doch sehr viel nüchterner. Die Vorgaben der KV nehmen zu und engen ein: Vorgaben für Praxisöffnungszeiten, Abrechnungs-Hick-Hack, Corona-Hygiene-Vorschriften, etc. Generell nehmen im KV-System die Pflichten und die Kontrollen zu. Wer schon mal eine KV-Prüfung hatte, weiß, wovon ich rede.

Für die Sicherheit als Quasi-Angestellter der Kassenärztlichen Vereinigungen, zahlt man gar nicht selten mit dem Verlust von Freiheitsgraden: Manchmal ist es zu schön, um wahr zu sein, aber meistens ist es zu wahr, um schön zu sein.

Nicht umsonst träumen deswegen auch immer mehr alt gediente KV-Psychotherapeut*innen von dem freien Leben in einer Privatpraxis. Und auch viele junge Kolleg*innen haben sich den Traum von der Kassenzulassung abgeschminkt und planen von Anfang an eine psychotherapeutische Privatpraxis.

Frau telefoniert

Niederlassungsfreiheit

Es klingt vielleicht banal, aber es ist gerade am Anfang wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass man mit einer Approbation als Psychologische*r Psychotherapeut*in (PP) oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in (KJP) eine „Zulassung zur Ausübung der Heilkunde“ in den Händen hält. Das heißt, dass das, was man tut, legal ist und sich die Tätigkeit im rechtlichen Rahmen bewegt. Denn neben der Zulassung als Ärztin oder Arzt und als Heilpraktiker*in gibt es seit dem Psychotherapeutengesetz von 1999 auch die Approbation als PP oder KJP.

Was viele nicht wissen: In Deutschland existiert etwas, das man „Niederlassungsfreiheit“ nennt. Das bedeutet, dass du mit einer Approbation (die eine berufsrechtliche Zulassung ist) überall in Deutschland eine Praxis eröffnen darfst. Das ist ein wichtiger Unterschied zu einer KV-Zulassung (sozialrechtliche Zulassung), mit der du an einen bestimmten Planungsbereich gebunden bist und nicht so einfach mit deiner Praxis umziehen kannst.

Die Frage allerdings ist: Leben dort, wo du dich niederlassen möchtest, genügend Menschen, die bereit und in der Lage sind, eine Psychotherapie bei dir selbst zu bezahlen – und das eventuell auch über einen längeren Zeitraum?

Finger fährt über Landkarte

Standortwahl

Der Standortwahl kommt also gerade bei der Praxisgründung einer Privatpraxis eine große Bedeutung zu: Welche Personengruppen leben vor allem in der Stadt oder der Region? Sind es die „besseren Kreise“, die dort wohnen – und die sich eine selbst zu finanzierende Psychotherapie leisten wollen und können? Lebt da vor allem die Mittelschicht? Sind es vor allem Studierende? Oder handelt es sich gar um einen „sozialen Brennpunkt“? All die Gruppen eben, die auf eine Kassenpsychotherapie per Chipkarte angewiesen sind oder bestenfalls in der Kostenerstattung die Behandlung bezahlt bekommen (mehr dazu weiter unten)?

Ein weiterer wichtiger Punkt: Wie weit sollen deine Patient*innen/ Klient*innen maximal fahren müssen, um zu deiner Praxis zu kommen? Gibt es eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel (Zug, U-Bahn, Bus)? Nicht zuletzt auch die Frage für alle mit Auto: Gibt es genügend Parkplätze oder ein Parkhaus in der Nähe?

U-Bahn Station, wo gelbe U-Bahn durchfährt

Damit hängt natürlich auch der Stil der eigenen Praxis zusammen: Liegt sie in einem gemischt-normalen Gebiet, in einer 1A-Fußgängerzone, in einer feinen Villa im Park oder in einem Ärztehaus? Wie sehen deine Räumlichkeiten und der Stil deiner Praxis aus? Ist dein Corporate Design elaboriert und passt es zusammen (Praxisschild, Visitenkarten, Flyer, Briefbögen)? Wenn das gut miteinander harmoniert, zieht es natürlich eine bestimmte Klientel an, die sich in deiner Praxis auch langfristig wohlfühlt und gut über dich und deine Arbeit redet. Schließlich ist Mundpropaganda die wichtigste Werbung für deine Arbeit.

Einige Umzugskartons

Konkurrenzbeobachtung und Netzwerke

Gut ist, wenn du dich in der Stadt und Gegend auskennst und die richtigen Fragen stellst: Wie sieht die medizinische und psycho-soziale Infrastruktur generell in der Region aus? Was weißt du über deine Mitbewerber*innen auf dem Gesundheits- und Psychomarkt, z.B.: Wie viele ärztliche und psychologische Psychotherapeut*innen (mit und ohne Kassenzulassung) gibt es, wie viele Heilpraktiker*innen und sonstige Berater*innen (z.B. aus der Esoterik-Szene)? Wer davon ist explizit Konkurrenz – und wer könnte auch ein potenzieller Zuweiser sein, der dir vielleicht Patient*innen schickt, die zu dir passen, die er vielleicht loswerden möchte?

Das hängt natürlich mit deinem Profil zusammen. Ob du dich z.B. auf bestimmte Krankheitsbilder spezialisiert hast – oder Methoden anwendest, die nicht zu den anerkannten Richtlinienverfahren gehören. Hinzu kommt: Viele Kassenpsychotherapeut*innen haben viel mehr Anfragen von Patient*innen, als sie selbst behandeln können und sind mitunter froh, wenn sie Patient*innen an Privatpraxen weiterschicken können. Der Kontakt ist also wichtig. Wenn du ihn noch nicht hast, solltest du dich fragen, wie du ihn bekommst. Vielleicht gibt es an deinem geplanten Standort einen Psycholog*innen-Stammtisch oder ein Treffen niedergelassener Psychotherapeut*innen?

Das wichtigste für den langfristigen Erfolg einer Privatpraxis ist nämlich die Einbindung in psychosoziale Netzwerke und eine möglichst große Anzahl von Zuweisenden, die dir die passenden Patient*innen schicken.

Da wir im Grunde mit wenigen Patient*innen auskommen, muss man dazu kein ausgefeiltes Werbekonzept entwickeln, sondern eine angemessene Akquise und die richtige Kontaktpflege zu wichtigen Personen hilft schon: „Die Werbung des Freiberuflers ist die Beziehungspflege“.

Öffentlicher Platz mit vielen Menschen

Privatversicherte, Kostenerstattung, Selbstzahlung

Bei den potenziellen Patient*innen können wir drei große Gruppen unterscheiden:

  1. Privatversicherte – Das sind Personen, die Mitglieder einer der ca. 50 Privaten Krankenversicherungen sind. Die Kostenübernahme ist für die PT-Behandlung von Versicherung zu Versicherung vor Aufnahme der Psychotherapie zu klären. Denn auch bei den Privatversicherungen gibt es große Unterschiede z.B. ob die Stundenanzahl gedeckelt ist oder nicht. 
     
  2. Kostenerstattung von gesetzlich Versicherten – Falls eine Patientin oder ein Patient trotz angemessener Suche keinen Therapieplatz in einer Kassenpraxis bekommen kann oder die Wartezeit unzumutbar wäre, übernimmt die Kasse ggf. eine Therapie bei einer approbierten Psychotherapeutin oder einem approbierten Psychotherapeuten ohne Kassensitz. Dies ist allerdings von Kasse zu Kasse sehr verschieden. Und selbst bei der einzelnen Krankenkasse unterliegt die Kostenerstattung mitunter starken Schwankungen: Es kann sein, dass in der einen Region die Kosten übernommen werden und bei der gleichen Kasse in einer anderen Region nicht. Oder in einem Quartal die Kosten übernommen werden und im nächsten Quartal nicht mehr.
     
  3. Bei Selbstzahlung ist die Situation auf den ersten Blick einfach. Die Patientin oder der Patient bekommt eine Rechnung und zahlt diese, da es keinen Kostenträger gibt, der die Kosten übernimmt. Das Problem dabei ist nur: Wie lange kann und will sich die Patientin oder der Patient eine Psychotherapie leisten – und zahlt sie oder er (rechtzeitig) die Rechnungen?

 

Nahaufnahme eines Vertragsabschlusses

Sonderverträge

Außer diesen drei Gruppen gibt es noch weitere Möglichkeiten der Abrechnung von Psychotherapie – auch wenn man keine Kassenzulassung hat:

  • Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat einen Vertrag mit dem Bundesinnenministerium geschlossen, der die Kostenübernahme der Psychotherapie von Polizist*innen erlaubt (siehe Homepage der BPtK).
  • Vor allem an Bundeswehrstandorten: Es gibt einen ähnlichen Vertrag des Verteidigungsministeriums mit der BPtK, der die Kostenübernahme der Psychotherapie mit Soldat*innen ermöglicht (siehe BPtK).
  • Wenn man eine Weiterqualifizierung absolviert hat, kann man auch ohne KV-Zulassung mit den Berufsgenossenschaften nach der GOP-UV abrechnen.
  • Außerdem ist es möglich über das Nachsorgeprogramm der Deutschen Rentenversicherung über PSYRENA die Kosten bezahlt zu bekommen.
  • Und es gibt ein paar Sonderverträge (an der KV vorbei), die z.B. von der Bahn-BKK, BKK-VBU mit approbierten Psychotherapeut*innen abschlossen werden.
  • Manche Unternehmen bieten für ihre Mitarbeiter sogenannte EAP-Programme an, die die Kosten für Psychotherapie und Beratung übernehmen.

Damit das nicht falsch verstanden wird: In vielen Regionen ist es nicht einfach, mit einer reinen privaten Psychotherapie-Praxis zu überleben. Aber mit einer guten Vorbereitung, der richtigen Standortwahl, einer guten Marktorientierung und einer zielgruppengerechten Ausweitung des Tätigkeitsfeldes (auch in den nicht-klinischen Bereich, z.B. Coaching, Mediation, Supervision, Beratung, Seminare) und angemessenem Durchhaltevermögen kann man es schaffen.

Eine Checkliste mit den wichtigsten Punkten zur Gründung einer Privatpraxis kannst du hier als PDF herunterladen:

Weiterführende Literatur:

Gross, Werner (2016). Erfolgreich selbständig – Gründung und Führung einer psychologischen Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer.