Ruhe für den Geist - Wie lässt sich „Mental Load“ reduzieren?

Eine junge Person, deren Kopf mit lauter mit To-Dos beschrifteten Post-its beklebt ist

Planen, Organisieren, Verwalten. Mental Load bezeichnet die kognitive und emotionale Belastung, die durch alltägliche Aufgaben und Verantwortungen entsteht. Care-Arbeit wird besonders häufig mit Mental Load verbunden und führt in Folge zu einem erhöhten Stresserleben und psychischen Belastungen. Wie können Aufgaben gerechter verteilt und Mental Load reduziert werden?

Ein typischer Morgen bei Familie Hartmann: Frida eilt durch das Haus, packt Brotdosen, erinnert ihre Kinder an ihre Hausaufgaben und plant gedanklich schon das Abendessen. Frida Hartmann ist (fast) immer gut gelaunt, gepflegt und stilsicher, erfolgreich im Beruf, eine hingebungsvolle Mutter, eine attraktive Frau, eine faszinierende Gesprächspartnerin, geistreich und mehrsprachig, sportlich, organisiert, handwerklich begabt, kreativ, stets ausgeglichen, fair, hilfsbereit und achtsam im Umgang mit allen Lebewesen. Nur nicht mit sich selbst. Ihr Mann Sebastian trinkt zufrieden seinen zweiten Kaffee und fragt beiläufig: „Müssen wir diese Woche noch irgendwas Wichtiges erledigen?" Frida seufzt innerlich: „Frauen können alles. Nebeneinander und gleichzeitig. Zweiteilen, Dreiteilen, Vierteilen - Multitasking ist doch völlig normal“. Ihr Mental Load lastet schwer auf ihren Schultern, unsichtbar und doch allgegenwärtig. 

75 Jahre zurück. Simone de Beauvoir untersuchte 1949 in ihrem Buch „The Second Sex" die Unterdrückung der Frauen und fragte nach den Gründen, warum Frauen in einer untergeordneten gesellschaftlichen Rolle leben.  

Sie stellte fest, dass Frauen oft als „das Andere" betrachtet werden und dass die männliche Perspektive als die einzige normale oder natürliche Perspektive angesehen wird. De Beauvoir betonte die Bedeutung von Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen, die Frauen dazu veranlassen, sich in bestimmter Weise zu verhalten und ihre Fähigkeiten und Ambitionen zu beschränken. Dieses Buch ist noch heute aktuell und u. a. bekannt geworden für die Einführung des Begriffs Mental Load.  

Was ist Mental Load? 

Mental Load bezeichnet die kognitive und emotionale Belastung, die durch das Planen, Organisieren und Verwalten von alltäglichen Aufgaben und Verantwortungen entsteht. Diese Art der Belastung tritt häufig im häuslichen und beruflichen Umfeld auf und ist besonders relevant, wenn es um die Aufteilung von Haushalts- und Familienaufgaben geht. 

Merkmale des Mental Loads: 

  • Unsichtbare Arbeit: Viele Aufgaben sind nicht sofort sichtbar, z. B. daran zu denken, dass der Kühlschrank aufgefüllt werden muss, Arzttermine für die Kinder zu vereinbaren oder an Geburtstage zu erinnern. 
  • Planung & Organisation: Mental Load umfasst die Notwendigkeit, ständig über kommende Aufgaben, Erledigungen und Verpflichtungen nachzudenken und diese zu koordinieren. 
  • Kontinuierliche Verantwortung: Mental Load endet nicht, wenn eine bestimmte Aufgabe erledigt ist, sondern erfordert ständige Aufmerksamkeit und vorausschauendes Denken. 
  • Emotionale Belastung: Neben der kognitiven Anstrengung kann Mental Load auch emotionale Belastungen mit sich bringen, wie das Gefühl der Überforderung oder die Entwicklung eines Burnouts. 

Die Soziologin Arlie Russell Hochschild führte 1990 in ihrem Buch „Das gekaufte Herz“ das Konzept der Emotionsarbeit (emotional work) ein.  

Sie beschreibt diese als gezielte Kontrolle und Veränderung emotionaler Zustände, um sozialen Erwartungen gerecht zu werden. Diese Arbeit kann sowohl bewusst als auch unbewusst, in verschiedenen Kontexten, wie privatem oder beruflichem Umfeld stattfinden. 

Ein Karton, auf dem BRAIN steht, drumherum zerknüllte Notizzettel.

Emotionsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil unserer sozialen Interaktionen und wir lernen, bestimmte Emotionen zu zeigen oder zu verbergen. Da Frausein in traditionellen Vorstellungen eng damit verbunden ist, die Bedürfnisse anderer zu priorisieren, liebenswürdig und gebend zu sein, wird eine Frau, wenn sie für sich selbst „denkt, träumt, schläft, wünscht und strebt“, weniger weiblich, wie Simone de Beauvoir es beschrieb. 

Historische Sichtweisen?

Weit gefehlt. Auch 2024 gibt es bedauernswerterweise in Deutschland immer noch vielfältige soziale Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern: 

  • Lohnungleichheit (Gender Pay Gap): Frauen verdienen im Durchschnitt etwa 18% weniger als Männer. Selbst bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit besteht eine Lohnlücke von etwa 6%. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit- oder Minijobs, was zu geringeren Gesamteinkommen und geringeren Rentenansprüchen (Altersarmut) führt. 
  • Karriere und Führungskräfte: Frauen sind in Führungspositionen in Unternehmen und in der Politik unterrepräsentiert. In den Vorständen der DAX-40-Unternehmen liegt der Frauenanteil bei etwa 14%. Frauen stoßen oft auf eine „gläserne Decke", die ihnen den Aufstieg in höhere Positionen erschwert. 
  • Arbeitszeit & unbezahlte Arbeit: Frauen übernehmen einen größeren Anteil der unbezahlten Hausarbeit und Pflege von Angehörigen. Dies führt zu einer Doppelbelastung und verringert ihre Zeit für bezahlte Arbeit und Freizeit. Frauen tragen oft die Hauptverantwortung für die Organisation des Familienlebens. 

Care-Arbeit = Mental Load? 

Care-Arbeit und Mental Load bedingen sich oft gegenseitig, da Care-Arbeit zumeist mit einer erhöhten psychosozialen Belastung verbunden ist. Care-Arbeit bezieht sich auf die Arbeit, die notwendig ist, um für die Bedürfnisse anderer zu sorgen, wie zum Beispiel Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder Hausarbeit.  

Diese Art der Arbeit kann hochanspruchsvoll sein und viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Sie kann dazu führen, dass man immer „on" ist. Care-Arbeit wird zudem oft nicht als „echte" Arbeit angesehen. All das sind Gründe, warum Care-Arbeit häufig mit einem erhöhten Mental Load und Stresserleben verbunden ist und zu einer erhöhten psychischen Belastung beitragen kann.  

Eine junge Mutter hat ihr Baby im Arm und arbeitet parallel am Laptop

In den letzten Jahren hat der Begriff Mental Load eine Renaissance erfahren, da er zunehmend als Metapher für die gesamte mentale Belastung verwendet wird, die Frauen (und Männer) im Zusammenhang mit Care-Arbeit und Hausarbeit empfinden. Diese Bedeutungserweiterung ist Teil eines größeren gesellschaftlichen Diskurses über Geschlechtergerechtigkeit und die Verteilung von Care-Arbeit und Hausarbeit zwischen Frauen und Männern. 

Psychische Folgen eines erhöhten Mental Loads 

Der erhöhte Mental Load hat umfassende psychische Auswirkungen, die sowohl auf kurzfristige als auch langfristige Aspekte der psychischen Gesundheit einwirken können. Hier sind die wesentlichen psychischen Auswirkungen zusammengefasst: 

  • Erhöhter Stress und Angst: Es entsteht häufig chronischer Stress, da ständig an verschiedene Aufgaben und Verantwortlichkeiten gedacht werden muss, was auf Dauer zu körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen führen. Hohe Stressbelastung und die Angst, Aufgaben nicht rechtzeitig oder vollständig zu erledigen, erhöhen die Vulnerabilität für Angststörungen und Panikattacken. 
  • Depression: Menschen mit hohem Mental Load zeigen häufig Symptome einer Depression, wie anhaltende Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, und Interessenverlust. Die Überforderung durch die ständige Organisation und Verantwortung kann zu einem Gefühl der Erschöpfung und emotionalen Entfremdung führen. Die Entscheidungsfähigkeit leidet, da kognitive Ressourcen durch ständige organisatorische Anforderungen beansprucht werden. 
  • Emotionale Belastung: Ständiger mentaler Druck kann zu Reizbarkeit und Frustration führen. Betroffene Personen haben Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren. Diese Überlastung kann zu einem Gefühl der Überforderung führen, wodurch das emotionale Wohlbefinden stark beeinträchtigt wird. 

Mental Load reduzieren 

Traditionelle Rollenbilder und -erwartungen, die Väter in der Erfüllung ihrer aktiven Vaterschaftsrolle ausbremsen und Müttern die Hauptsorgeverantwortung zuschreiben, sollten in der Gegenwart durch progressive Rollenbilder ersetzt werden, bei denen Väter selbstverständlich vollumfänglich Sorgearbeit leisten und Mütter nicht zwangsläufig die Hauptsorgetragenden sind.  

Neben der professionellen Unterstützung durch die Vermittlung von Stress- und Zeitmanagement-Techniken, Entspannungsübungen, neben der Unterstützung bei der Veränderung dysfunktionaler Denkmuster braucht es auch inspirierende Rollenmodelle auch auf Seiten der Psychotherapeut:innen, um Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit ihrer Klient:innen zu stärken. 

Die größten Ereignisse, das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden. 

(Friedrich Nietzsche)

Um den Mental Load effektiv zu bewältigen und zu reduzieren, können verschiedene Strategien angewendet werden. Bei der Umsetzung brauchen Menschen häufig auch professionelle Unterstützung. 

1. Aufgabenverteilung 

  • Gemeinsame Bestandsaufnahme: Ein gemeinsames Gespräch darüber, welche Aufgaben anfallen und wie sie derzeit verteilt sind, ist der erste Schritt. Dies schafft Bewusstsein für die Arbeitslast und kann dazu beitragen, Ungleichgewichte zu erkennen. 
  • Aufgabenliste erstellen: Eine detaillierte Liste aller Aufgaben im Haushalt und Beruf hilft, den Überblick zu behalten und eine gerechte Verteilung zu planen. 
  • Regelmäßige Überprüfung: Die Aufgabenverteilung sollte regelmäßig überprüft und angepasst werden, um sicherzustellen, dass sie weiterhin fair und effektiv ist. 
Ein Mann und eine Frau sitzen nebeneinander auf einem weißen Sofa und unterhalten sich.

2. Kommunikation 

  • Offene Gespräche: Regelmäßige, offene und ehrliche Gespräche über die Aufgaben und Verantwortungen sind entscheidend. Dabei sollten Erwartungen und Bedürfnisse klar formuliert werden. 
  • Verantwortlichkeiten klären: Jeder sollte genau wissen, für welche Aufgaben er oder sie verantwortlich ist. Unklare Zuständigkeiten führen oft zu zusätzlichen Belastungen. 
  • Feedback-Schleifen: Rückmeldungen und Anpassungen sind wichtig, um kontinuierlich die Fairness der Aufgabenverteilung zu verbessern. 

3. Planungshilfen 

  • Kalender und Zeitpläne: Gemeinsame Kalender (digital oder analog) können helfen, alle wichtigen Termine und Aufgaben im Blick zu behalten.  
  • To-Do-Listen und Apps: Die Nutzung von To-Do-Listen und Organisations-Apps wie Trello oder Wunderlist kann helfen, Aufgaben zu strukturieren und zu priorisieren. 
  • Routine schaffen: Regelmäßige Routinen, Rituale und feste Zeiten für bestimmte Aufgaben schaffen Struktur und können den Mental Load verringern. 

4. Delegation und Outsourcing 

  • Aufgaben delegieren: Verantwortlichkeiten an andere Familienmitglieder oder Kollegen delegieren. Kinder können altersgerechte Aufgaben übernehmen, und im beruflichen Umfeld können Aufgaben an Teammitglieder verteilt werden. 
  • Externe Hilfe: Professionelle Dienstleistungen wie Putz- oder Einkaufsdienste können in Anspruch genommen werden, um die Belastung zu reduzieren. 

5. Selbstfürsorge und Stressmanagement 

  • Pausen und Erholung: Regelmäßige Pausen und Zeiten für Erholung einplanen, um Überlastung zu vermeiden. Dies kann auch kurze tägliche Auszeiten oder längere Urlaube umfassen. 
  • Selbstreflexion: Regelmäßige Selbstreflexion und Achtsamkeitspraktiken wie Meditation, Yoga oder Atemübungen können helfen, die eigenen Bedürfnisse und Belastungen besser zu erkennen und darauf zu reagieren. 

Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne. 

(Chinesisches Sprichwort) 

Ein wesentlicher Schritt zur Verringerung des Mental Loads besteht darin, ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und Unterstützungssysteme zu stärken. Es steht in unser aller Verantwortung, Mental Load gerechter zu verteilen und entsprechende Unterstützungsangebote bereitzustellen.  

Ebenso wichtig ist es jedoch, gesunde Strategien zur Selbstfürsorge und Stressbewältigung zu entwickeln, um den Herausforderungen des täglichen Lebens besser begegnen zu können, für jeden Menschen, an jedem Tag. 

Zum Weiterlesen:  

(Werbung). De Beauvoir, Simone (2010. Das andere Geschlecht. Hamburg: Rowohlt. 

(Werbung). Hochschild, Arlie Russel (2006). Das gekaufte Herz. Frankfurt am Main: Campus.