Mütter im Burnout: Zu erschöpft, um wütend zu sein

Eine junge Mutter sitzt neben ihrem kleinen Kind auf einem Sofa und schaut ernst ins Leere

Frauen haben ein höheres Burnout-Risiko als Männer. Die Vielfalt der Belastungen spielt dabei eine große Rolle. Helen Heinemann leitet seit vielen Jahren Burnout-Präventions-Kurse für erschöpfte Mütter und Frauen und weiß: Durch die Dauerbelastung ist die Verbindung zu persönlichen Kraftquellen gestört. In der Therapie können passende Übungen diese Verbindung wieder herstellen – und so wichtige Ressourcen erschließen.

„Ich bin wütend. Ich bin wütend, weil für Mütter (und überhaupt für alle Frauen) in den letzten 50 Jahren nichts besser geworden ist – auch wenn es so erzählt wird. Ich bin wütend, weil die Lebensbedingungen von Frauen und Müttern in allen Lebensbereichen nicht nur nicht besser, sondern tatsächlich schlechter geworden sind.“ Mit diesem provokanten Statement startet die Pädagogin und Expertin für Burnout-Prävention Helen Heinemann in ihr Buch „Zu erschöpft, um wütend zu sein.“  

„Ich funktioniere nur noch“ 

Über die Jahre hatte sie mehr als 1.200 berufstätige Mütter und Frauen in ihren Gruppen, die sich ihr und den anderen Frauen ihre Lebens- und Alltagsgeschichten oftmals unter Tränen anvertrauten. Frauen erzählen, wie sie täglich alles geben, um den Alltag zu meistern, obwohl sie schon längst nicht mehr wirklich Kraft dazu haben: „Ich funktioniere nur noch“, ist ein Satz den Helen Heinemann oft hört. Aber: Funktionieren ist nicht Leben.  

Und genau das macht sie unendlich wütend. Denn bereits vor über 30 Jahren, als Helen Heinemann selbst in der Kinderphase steckte, standen die Frauen ständig unter Druck. Doch es gab Hoffnung auf mehr Gleichberechtigung. Wer ehrlich hinschaut, erkennt: Kaum etwas von dem, was Helen Heinemann in ihrer eigenen Jugend als hoffnungsvolle Entwicklung für Frauen und Mütter sah, ist eingetreten. Im Gegenteil: Viele Müttern sind belasteter als damals.  

Und es nicht so, dass die Frauen sich nicht bemühen würden, etwas zu verändern. Viele arbeiten maximal viele Stunden, damit sie eigenes Geld verdienen. Sie machen Achtsamkeits- und Elternkurse, um auch im Stress noch freundlich mit den Kindern oder den Partnern zu sprechen. Doch all das sind höchstens Tropfen auf den heißen Stein. Man muss es so deutlich sagen: Um die strukturelle Ungleichheit in den Griff zu bekommen, reichen Stresspräventionskurse und Berufstätigkeit nicht aus. 

Care-Arbeit wird nicht anerkannt 

Heinemann beobachtet: Bereits vor der Familienwerdung laufen die Dinge schief. Die Familienplanung ist weniger geplant als jeder Wochenendausflug. Kaum ein Paar redet vor dem ersten Kind darüber, wer welchen Beitrag zur Familie leisten möchte. Der Effekt: Alle wollen die liebevoll funktionierende Familie, aber die Verantwortung dafür trägt am Ende die Mutter. Manche Frauen übernehmen diese Aufgabe gern, andere eher widerwillig. Aber am Ende sind es so gut wie immer die Frauen, die sich in die Rolle der Kümmernden einfinden und dafür sorgen, dass von der Windel bis zum Urlaub alles organisiert ist. Dass Schultüten gepackt und Geschenke geplant sind. Dass die Familie glückliche Zeiten miteinander hat und die Kinder mit ihren Freunden gut zurechtkommen. Die Überlastung ist insofern vorprogrammiert. 

Eine Frau legt ihre Hände auf einen Stapel gewaschener Babykleidung

Der schlichte Grund: Care-Arbeit wird sowohl traditionell Frauen zugesprochen als auch gesellschaftlich nicht als Arbeit anerkannt. Damit ist dieser 24x7-Job nicht nur nicht sichtbar, sondern folglich auch kaum besprechbar. Allein wieviel Arbeit notwendig ist, damit das Weihnachtsfest, der Kindergeburtstag oder die Familienfeier gelingt, ist nur denjenigen vermittelbar, die selbst schon mal solche Veranstaltungen zusätzlich zum normalen Alltag gestemmt haben. 

Sogar die Frauen selbst sind häufig überrollt von der nicht enden wollenden To-Do-Liste, die der Job „Mutter“ mit sich bringt. Doch sie fügen sich. Sie übernehmen fast reflexhaft all die Arbeiten, die zwangsläufig mit der Entwicklung der Kinder einer Familie zuwachsen. Im Rausch der Anforderungen kommen sie kaum dazu innezuhalten, um die anstehenden Aufgaben in die Sichtbarkeit zu bringen und fair neu zu verteilen. Und sie geben sich selbst die Schuld, wenn sie sich überlastet oder ausgelaugt fühlen.  

Und die Väter der gemeinsamen Kinder? Sie wundern sich über die Erschöpfung ihrer Frauen. Auch weil sie all die nervenaufreibenden Details nicht wissen und oftmals auch nicht wissen wollen. Und so schwingen sie sich ein in den Chor der Ratgeber: Ist das denn alles unbedingt nötig? Lass doch einfach mal was liegen. Du bist doch frei. Kannst Pausen zu machen, wann immer du willst. Früher bekamen die Frauen das doch auch hin, und die hatten noch keine Waschmaschine.  

Franziska Schutzbach, Soziologin und Autorin des Buches „Die Erschöpfung der Frauen“, bringt es treffend auf den Punkt: „In unserer Gesellschaft wird Weiblichkeit gleichgesetzt mit Fürsorglichkeit. Frauen sind, ob in der Familie, in Beziehungen oder im Beruf, zuständig für emotionale Zuwendung, für Harmonie, Trost und Beziehungsarbeit – für Tätigkeiten also, die unsichtbar sind und kaum Anerkennung oder Bezahlung erfahren. Sie „schulden“ anderen – der Familie, den Männern, der Öffentlichkeit, dem Arbeitsplatz – ihre Aufmerksamkeit, ihre Liebe, ihre Zuwendung, ihre Attraktivität, ihre Zeit. Und kämpfen jeden Tag gegen emotionale und sexuelle Verfügbarkeitserwartungen.“  

Erschöpfte Frauen unterstützen 

Doch was heißt das für Therapeut:innen, bei denen erschöpfte Frauen Hilfe suchen? Auf das ungerechte System zu verweisen, hilft schließlich nicht. Häufig wird Frauen zu mehr Abgrenzungsfähigkeit geraten. Doch wenn niemand da ist, an den Frau delegieren kann, geraten sie häufig noch mehr unter Druck. 

Dennoch können Therapeut:innen wichtige Unterstützer:innen der Frauen sein. Indem sie beispielsweise helfen, neue Ressourcen zu entdecken.  

Vor allem der Blick auf eine bessere Vernetzung mit anderen Frauen und einer Gemeinschaft unter Müttern kann schützen und nähren, stellt Helen Heinemann in ihren Burnout-Präventionskursen fest. Das wiederholte Angebot des selbstwirksamen Miteinanders gibt den erschöpften Müttern die Möglichkeit, Unterstützung sowohl zu erhalten als auch zu geben. Diese Erfahrung des solidarischen Miteinanders senkt grundlegend den Stresspegel. 

Drei Frauen in einem Beratungsraum, zwei Frauen geben sich eine Umarmung.

Außerdem benötigen die Frauen meist dringlich eine neue Justierung ihres inneren Kompasses. Durch das erschöpfende Leben und die Orientierung an den Anforderungen von außen ist die Verbindung zu den ganz persönlichen Quellen für Kraft und Freude gestört. Passende Übungen können diese Verbindung wieder herstellen – und so wichtige Ressourcen erschließen.  

Voraussetzung für Entspannung, Zuversicht und lösungsorientierte Ideen ist die persönliche Haltung der Beratenden. Erklären gern, belehren niemals. Stattdessen Vertrauen in das Potenzial der Ratsuchenden mit ihren individuellen Stärken, Ressourcen und Fähigkeiten einschließlich ihres eigenen Tempos und der Freiheit, sich auch gegen eine Veränderung zu entscheiden. Aktives Zuhören und offene Fragen fördern diesen Prozess. 

Praxisnahe Impulse, die besonders erschöpften Frauen helfen: 

 

1. Entspannungsverfahren

Menschen, die sich in allen Belangen voll und ganz einsetzen, sodass sie sich einer stressbedingten Erschöpfung nähern, sind in der Regel mit ihrer Aufmerksamkeit sehr nach außen und auf die Anforderungen ihrer Umwelt gerichtet. Sie sind ausgesprochen hilfsbereit und wollen alles sehr gut machen. Damit verlieren sie oftmals den Kontakt zu sich selbst und ihrer eigenen Befindlichkeit. Im doppelten Wortsinn: Sie fühlen sich nicht gut. 

Körperwahrnehmungsverfahren können deshalb ein guter Weg sein, um wieder zu sich selbst zu kommen. Elementar ist dabei die gelassene Grundhaltung der Anleitenden: Für die nächsten paar Minuten muss überhaupt nichts geleistet werden, noch muss irgendetwas jemandem anderem zuliebe getan werden; man darf es sich einfach nur gut gehen lassen. Viele erschöpfte Mütter schlafen dabei ein. Auch das ist durchaus in Ordnung. 

2. Tageslaufanalyse 

Bei Stress und Erschöpfung fühlt sich alles schwer an. Mit einer Tageslaufanalyse lässt sich eine differenziertere Wahrnehmung einstellen: Was genau ist belastend und was ist sogar sehr belastend, und was genau ist erholsam oder sogar sehr erholsam. Einmal benannt, lässt sich hier ein Hebel ansetzen, der manchmal eine große Wirkung haben kann. 

3. Wendepunkte und Entscheidungen im Lebenslauf 

Die erfolgreiche Bewältigung von herausfordernden Lebensereignissen ist eine enorme individuelle Ressource für den Umgang mit aktuellem Stress und somit eine wichtige Voraussetzung für die weitere persönliche Entwicklung in Richtung Gelassenheit. Dafür lassen sich in freier Form wenige ausgewählte Wendepunkte darstellen, die für den persönlichen Lebenslauf Bedeutung erlangt haben. Aufgabe der Beratenden ist es, den Fokus immer wieder auf die in herausfordernden Lebenssituationen erlernten Stressbewältigungsstrategien zu richten, um diese als Ressource für positive, gesunderhaltende Veränderungen nutzen zu können. 

4. Grundannahmen  

Insbesondere für erschöpfte Mütter ist es spannend, dysfunktionale und stressfördernde Überzeugungen zum Thema Arbeit und Mutterschaft zu entdecken und zu verändern. Voraussetzung dafür ist das kognitive Verständnis, dass unsere Wahrnehmung der Welt auf subjektiven Grundannahmen beruht, die wir einmal so gelernt und verstärkt haben. Diese Grundannahmen können ausgesprochen hilfreich bei der Bewältigung des Alltags sein, können aber bei veränderten Lebensumständen, z. B. denen in einer neugegründeten Familie, plötzlich zur Falle werden. Es gilt also zunächst einmal auf der kognitiven Ebene stressfördernde Gedanken und Verhaltensweisen zu entlarven und spielerisch in individuell förderliche und entlastende Gedanken umzuwandeln. Alles, was wir lernen, können wir auch wieder verlernen. Auf diese Weise wird die eigene Handlungsfähigkeit erweitert und die Stresskompetenz gestärkt.  

5. Ressourcenprofil 

Lieblingstätigkeiten und besondere Fähigkeiten gehören zu den Ressourcen, die Mütter auf leichte Weise zur Verbesserung ihrer Lebenssituation einsetzen können. Ziel des Ressourcenprofils ist es, wieder einen Zugang zu den eigenen innewohnenden Möglichkeiten zu bekommen, persönliche Stärken und Erholungsstrategien zu erkennen und sie wertzuschätzen. Auch hier geht es noch einmal um den Zugriff auf eine bewährte instrumentelle Stresskompetenz. 

Man sieht eine Frau von hinten, die einen Kompass in die Höhe hält; im Hintergrund eine Berglandschaft

6. Zauberwunsch 

Der Zauberwunsch bietet die Möglichkeit sich auf spielerische Weise eine Zeit vorzustellen, in der das Problem bereits gelöst ist. Damit werden die erschöpften Mütter eingeladen, ihren Blick über den Alltag hinaus schweifen zu lassen und sich zu entspannen. 

7. Kraft- und Leitsatz als Ariadnefaden 

Auf neuen Wegen brauchen wir Halt und Orientierung. Ein persönlicher Kraft- und Leitsatz ist wie ein Ariadnefaden, der aus den Irrungen und Wirrungen des Alltags wieder heraus und zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen führt. Mit so einem Satz können sich die Mütter wieder mit sich selbst verbinden und gut fühlen. Therapeut:innen können Klient:innen dabei behilflich sein, solch einen Leitsatz zu formulieren, der auch im turbulenten Alltag nicht untergeht.  

8. Erste Schritte 

Zum Abschluss gilt es auf jeden Fall erste Schritte zu aktvieren, die über die gemeinsamen Erfahrungen hinausgehen. Diese Schritte sollten klein und konkret sein, in der eigenen Macht liegen, und vor allem sollten sie Freude bereiten. 

Frauen darin zu unterstützten, sich zuerst einmal wieder selbst zu spüren, sich wieder stärker selbst in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen, kann völlig neue Perspektiven öffnen. Die Betroffenen erleben sich wieder als selbstwirksam und entwickeln von hier aus oft erstaunlich schnell konkrete Perspektiven, in welche Richtung sie sich entwickeln möchten und was sie konkret verändern möchten, damit sie sich in ihrem Leben wieder wohl fühlen.  

Zum Weiterlesen: 

(Werbung) Helen Heinemann, Carola Kleinschmidt (2023). Zu erschöpft, um wütend zu sein: Was sich ändern muss, damit Mütter zu neuer Freiheit finden - Endlich aufatmen, abgeben & aufleben. München: Kösel Verlag. 

(Werbung) Franziska Schutzbach (2021). Die Erschöpfung der Frauen. München: Droemer Knaur.