Selbstwirksam trotz Krisen: Was junge Menschen stärkt

Rückansicht einer Frau in gelber Jacke, die von einer Anhöhe in eine bergige Landschaft schaut

Immer mehr junge Menschen fühlen sich in der heutigen komplexen, krisengeprägten Welt überfordert und sehnen sich nach Sicherheit und Kontrolle. Das Gefühl der Hilflosigkeit kann ernsthafte gesundheitliche Folgen haben – umso wichtiger ist es, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – die sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung - zu stärken. Wie das gelingt, berichtet Eva Asselmann im psylife-Interview.

Eva, was versteht man unter Selbstwirksamkeitserwartung?

Die Selbstwirksamkeitserwartung geht zurück auf den Psychologen Albert Bandura. Darunter verstehen wir die Überzeugung, Aufgaben, die zur Erreichung eines bestimmten Ziels notwendig sind, erfolgreich ausführen zu können. Nehmen wir als Beispiel eine Matheklausur: Eine Person mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung wird davon ausgehen, dass sie in der Lage ist, sich adäquat darauf vorzubereiten, den Lernstoff zu organisieren, usw. Durch diese positive Erwartungshaltung geht sie optimistischer und motivierter an die Aufgabe heran. Dadurch lernt sie wahrscheinlich effizienter und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich eine gute Note zu schreiben. Diese positive Erfahrung erhöht dann wiederum die Selbstwirksamkeitserwartung für die nächste Mathearbeit. Ob wir glauben, selbstwirksam in der Welt zu sein, und ob wir es tatsächlich sind, bedingt sich also wechselseitig.

Inwieweit unterscheidet sich die Selbstwirksamkeit vom Konstrukt der Kontrollüberzeugung?

Das sind sehr ähnliche Konstrukte. Bei der Selbstwirksamkeitserwartung geht es um konkrete Ziele in unserem Alltag und ob wir erwarten, diese erreichen zu können. Die Kontrollüberzeugung ist breiter gefasst und bezieht sich eher darauf, ob wir glauben, dass wir insgesamt Kontrolle darauf haben, wie unser Leben verläuft. Also, gehen wir davon aus, dass wir unser Leben und unseren Weg beeinflussen können, oder dass unser Leben von anderen Menschen, von Gott, von Zufällen, Schicksalsschlägen und so weiter abhängt?

Die Selbstwirksamkeitserwartung lässt sich auch in einzelne Bereiche auffächern. Es gibt die globale Selbstwirksamkeitserwartung, die ist wirklich sehr eng verbändet mit der Kontrollüberzeugung, und die Selbstwirksamkeitserwartung in unterschiedlichen Lebensbereichen, z. B. in Bezug auf Gesundheit, wie Sport und Essen, zwischenmenschliche Beziehungen oder akademische Leistung, Ausbildung und Beruf. Es kann durchaus sein, dass jemand davon ausgeht, in der Lage zu sein, sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben, aber eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung hat, wenn es darum geht, eine Klassenarbeit in einem bestimmten Schulfach zu schreiben.

Wovon hängt das ab, ob wir eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung haben oder nicht?

Albert Bandura sagte, dass es vier unterschiedliche Quellen gibt, die das beeinflussen: Als erstes unsere vergangenen Erfahrungen. Wenn wir zum Beispiel die Erfahrung gemacht haben, dass wir gut in Mathe sind, gehen wir auch eher davon aus, dass wir bei der anstehenden Matheklausur wieder erfolgreich sein werden.  

Ein Kind steht an der Tafel und rechnet vor, Mitschülerinnen sehen zu.

Dann gibt es die sogenannte stellvertretende Erfahrung. Die bezieht sich auf Personen in unserem näheren Umfeld, mit denen wir auf Augenhöhe sind, etwa Mitschüler:innen, die schon eine Klasse weiter sind und die gleiche Klausur letztes Jahr geschrieben haben. Es macht einen Unterschied, ob sie erzählen: „Ach, das ist total leicht, du brauchst dir keine Sorgen zu machen“ oder „Oh mein Gott, das ist die furchtbarste Klausur ever, da werdet ihr alle durchfallen“. Unser Wissen um die Erfahrungen anderer Personen, und das, was sie davon berichten, prägen uns.

Die dritte Quelle ist die Ermutigung durch andere Personen. Wenn wir ein sehr positives Umfeld haben, das uns signalisiert: „Wir glauben an dich, du packst das!“, dann ist das unterstützend und stärkt das Selbstvertrauen. Wenn uns vermittelt wird: „Du kriegst es sowieso nicht hin“, trägt das dazu bei, dass unsere Selbstwirksamkeitserwartung geringer ist. Das spielt eine wichtige Rolle in unserer Kindheit und Sozialisation.

Der vierte Punkt sind körperliche Zustände. Wenn wir zum Beispiel in der Klausur sitzen und merken: „Mir bricht der Schweiß aus, ich fange an zu zittern, mein Herz rast, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen“, dann tendieren wir dazu, von diesen körperlichen Zuständen auf unsere mentale Fähigkeit zu schließen: „Aha, mein Körper, der signalisiert mir gerade, dass ich es nicht packe“. Umgekehrt, wenn wir merken: „Ich bleibe total ruhig“, dann gehen wir eher davon aus: „Ich bin souverän, ich werde das schaffen.“

Je nach Erfahrung wird uns das bei der nächsten Klausur positiv oder negativ beeinflussen. Wenn wir durchfallen, ist möglicherwiese auch unser Umfeld beim nächsten Mal skeptischer, was unsere Fähigkeiten betrifft. Diese Prozesse sind eng miteinander verwoben. Dadurch kann es passieren, dass wir bei Misserfolgen in eine Abwärtsspirale hineingeraten, und die Selbstwirksamkeitserwartung sinkt, was dann wiederum zu noch mehr Misserfolgen führt.

Welche Auswirkungen hat so eine Abwärtsspirale auf die mentale und körperliche Gesundheit?

Im Prinzip kann sich das auf verschiedene Lebensbereiche negativ auswirken. Wir wissen speziell bei der mentalen Gesundheit, dass eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung ein transdiagnostischer Risikofaktor für die Entstehung unterschiedlicher psychischer Störungen ist. Wenn wir wenig Vertrauen in unsere Fähigkeiten haben und denken, wir bekommen sowieso nichts hin, fühlen wir uns vielleicht hoffnungslos, stecken den Kopf in den Sand, dann würde das eher das Risiko für Depressionen erhöhen. Wir fühlen uns vielleicht überfordert, bedroht und überrollt von den Dingen, dann sind wir vielleicht vermehrt ängstlich und könnten eine Angststörung entwickeln. Vielleicht versuchen wir auch, den ganzen Stress mit Medikamenten, Alkohol oder Drogen in den Griff zu bekommen, was dann zu einer Substanzstörung führen kann. Das sind jetzt Beispiele.

Eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung ist auch ein Risikofaktor in anderen Bereichen, z. B. in Bezug auf die körperliche Gesundheit. Wenn wir davon ausgehen, dass wir es nicht schaffen, unser Essverhalten umzustellen, dann werden wir uns auch nicht bemühen, gesünder zu essen. Gleiches gilt für die Ausbildung oder Arbeit und in zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn wir zum Beispiel Streit in der Partnerschaft haben und glauben, dass wir nicht dazu in der Lage sind, unsere Konflikte zu lösen, sind wir wahrscheinlich destruktiver und versuchen weniger, offen an den Problemen zu arbeiten. 

Eine Frau sitzt müde auf dem Sofa und schaut an die Decke.

Wie lässt sich die Selbstwirksamkeit stärken?

Indem wir an den vier Quellen ansetzen. Wir können z. B. daran arbeiten, Erfolgserlebnisse zu machen, indem wir uns kleine Ziele stecken, die wir dann erreichen. Wir können aber auch ressourcenorientiert zurückblicken auf unsere Biografie: „Was habe ich in meinem Leben schon gemeistert? Was ist mir gut gelungen, worauf bin ich stolz?“

Bei den Vergleichspersonen können wir uns positive Rollenvorbilder suchen. Entweder übergeordnet, etwa ein Idol, das uns Orientierung bei unseren Werten gibt, oder auch ganz konkret in unserem Umfeld. Gibt es vielleicht Mitschüler:innen, die schon eine Klasse weiter sind und ein paar Tipps geben können, wie man sich am besten auf die Klausur vorbereitet?

Außerdem können wir an unserem sozialen Umfeld arbeiten und uns vorzugsweise mit den Personen umgeben, die uns unterstützen und an uns glauben. Die können wir auch explizit darum bitten: „Du würdest mir total helfen, wenn du mir immer wieder ein bisschen Mut zusprichst und mir Rückhalt gibst“.

Bei den körperlichen Symptomen hilft zum einen Akzeptanz, also dass wir uns darauf vorbereiten: „In der Klausur werde ich angespannt sein“. Aber anstatt das als Katastrophensignal zu deuten, können wir es auch gelassen zur Kenntnis nehmen und uns sagen: „Es ist okay, dass ich jetzt angespannt bin, ich atme ein paar Mal ruhig durch.“ Wir können uns natürlich auch Entspannungs-Skills aneignen, um mit den körperlichen Anzeichen von Anspannung und Nervosität in Leistungssituationen besser umzugehen und sie besser regulieren zu können.

Wissen wir etwas darüber, wie die Selbstwirksamkeitserwartung von jungen Menschen heutzutage aussieht?

Da gibt es zum einen Forschung, die sich die Selbstwirksamkeitserwartung über die Lebensspanne anschaut. Da ist es in der Regel so, dass wir einen umgekehrt U-förmigen Verlauf haben: Die Selbstwirksamkeitserwartung steigt im jungen Erwachsenenalter an, erreicht einen Peak im mittleren Erwachsenenalter und flacht im höheren Alter wieder etwas ab. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass wir gerade im jungen Erwachsenenalter viele Herausforderungen erleben, die wir irgendwie meistern müssen. Wir ziehen zum Beispiel von zu Hause aus, starten eine Ausbildung, steigen ins Berufsleben ein, usw. Vorher ist uns vielleicht noch mulmig zumute, wir wissen nicht so genau, ob wir das hinkriegen. Doch je mehr Herausforderungen wir meistern, desto routinierter und selbstsicherer werden wir. Unsere Selbstwirksamkeitserwartung steigt an.  

Zum Lebensende sind wir hingegen vermehrt mit Verlusten konfrontiert. Wir merken, dass es gesundheitliche Einschränkungen gibt, dass Menschen um uns herum versterben, wir einsamer werden, usw. Das sind Faktoren, über die wir nur bedingt Kontrolle haben und die leicht ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit auslösen können. Unsere Selbstwirksamkeitserwartung nimmt ab. 

Eine Person hält einen Globus in der Hand, der in Flammen steht.

Neben diesen Alterseffekten gibt es aber auch Kohorten- oder Generationeneffekte: Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass junge Erwachsene heutzutage eine geringere Kontrollüberzeugung haben als junge Erwachsene vor einigen Jahren oder Jahrzehnten. Wir gehen davon aus, dass das mit den vielen globalen Krisen zusammenhängt, die gerade in den vergangenen Jahren aufgetreten sind. Etwa die Corona-Pandemie, die Klima-Krise, der Krieg in der Ukraine und der Israel-Gaza-Konflikt. Insgesamt ist unsere Welt komplexer und unübersichtlicher geworden. Das kann Menschen überfordern.

Auch im Internet sind wir permanent mit Informationen konfrontiert. Untersuchungen zeigen, dass gerade junge Menschen, die viel auf Social Media sind, Gefahr laufen, eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung zu haben, weil sie sich da viel mit Menschen vergleichen, die vermeintlich schöner, erfolgreicher und glücklicher sind als sie selbst. Das trifft insbesondere auf junge Menschen mit einem geringen sozioökonomischen Status zu, die sich im Vergleich zu anderen eher abgehängt fühlen. All das sind mögliche Erklärungen dafür, warum sich junge Menschen von heute vermehrt orientierungslos fühlen und oft den Eindruck haben, wenig Kontrolle über das eigene Leben zu haben.

Wie können wir dieses Gefühl von Kontrolle wiedererlangen?

Wir können uns auf das Hier und Jetzt fokussieren, auf unseren Alltag, und genau da ansetzen: „Was möchte ich in meinem eigenen Leben erreichen? Wie kann ich das im Kleinen umsetzen?“

Wir können natürlich als einzelne Personen nicht die globalen Krisen dieser Welt lösen, aber wir können versuchen, in unserem eigenen Alltag die Dinge, die uns wichtig sind, zu beeinflussen, mit Hilfe der Ansatzpunkte, die wir eben diskutiert haben.

Es kann auch helfen, den Social Media-Konsum zu reduzieren, Informationen mehr zu hinterfragen und uns mit anderen über persönliche Ängste auszutauschen. Wir wissen, dass soziale Unterstützung und Austausch extrem wichtig sind, gerade bei so großen globalen Themen wie der Klimakrise und damit verbundener Klimaangst.

In eurer geplanten Untersuchung geht es um die Frage, ob sich das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten mithilfe eines kurzen Online-Trainings effektiv steigern lässt…

Genau, das Ziel der Studie besteht darin, die Selbstwirksamkeitserwartung zu erhöhen durch ein gezieltes, wissenschaftliches fundiertes Online-Training. In der Interventionsgruppe arbeiten die Teilnehmenden an einem persönlichen Problem, das sie verändern wollen. Wir geben den Teilnehmenden sukzessive verschiedene Strategien an die Hand, die sich an den vier Quellen von Bandura orientieren. Wir untersuchen, ob das Training tatsächlich dazu führt, dass die Selbstwirksamkeit ansteigt, und ob das wiederum das Risiko für die Entstehung verschiedener psychischer Störungen reduziert. Können wir es schaffen, das mentale Wohlbefinden durch ein gezieltes Selbstwirksamkeitstraining zu verbessern?

Was müsste sich verändern, damit die Selbstwirksamkeitserwartung junger Menschen von Vorneherein gestärkt würde?

Ich glaube, dass es Sinn macht, Eltern und Lehrkräfte in der Schule für solche psychologischen Themen zu sensibilisieren, damit sie ganz gezielt dazu beitragen können, Jugendliche stark und fit zu machen für das Leben.  

Hilfreich ist ein ressourcenorientierter Blickwinkel! Wir sind häufig geneigt, uns im Arbeitsalltag oder auch in der Schule auf Defizite zu fokussieren. Das mag naheliegend sein, um Probleme schnell und effizient zu lösen, ist aber total demotivierend und kann dazu führen, dass Personen eine verzerrte Wahrnehmung von ihren Leistungen bekommen und denken, alles, was sie tun, sei irgendwie schlecht. Weil ihnen gar nicht signalisiert wird, was sie schon richtig gut machen! Dabei sind positive Rückmeldungen so wichtig, um die Selbstwirksamkeitserwartung, Motivation und Leistungsfähigkeit zu steigern.

Vielen Dank für das Gespräch! 

 

Über Prof. Dr. Eva Asselmann:  

Eva Asselmann ist Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der HMU Health and Medical University in Potsdam. Sie forscht zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheitsförderung und Prävention. Ergänzend bietet sie Coachings und Trainings zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Resilienz, Stressmanagement und Entspannung an.   

Mehr Infos unter: https://evaasselmann.com/ 

Zur Studienteilnahme:  

Die HMU Health and Medical University sucht für ihre SELFTIE-Studie junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Ziel ist es, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, um persönliche Ziele besser erreichen zu können. Teilnehmende erhalten ein kostenloses Selbstwirksamkeitstraining und eine Aufwandsentschädigung von 150 Euro. Weitere Informationen und den Link zur Anmeldung findest du hier: https://selftie-studie.de