„Um therapeutische Kinderbücher zu schreiben, musst du dich in ihre Welt hineinversetzen“

Lesendes Kind im Sonnenuntergang

„Ich habe angefangen, Texte zu schreiben, die ich gerne in meiner therapeutischen Arbeit hätte.“ Psychologin Julia Schneider arbeitet in eigener Praxis mit (Eltern-)Paaren und schreibt therapeutische Kinderbücher. Warum Geschichten für Kinder wichtig sind, welche Herausforderungen das Schreiben mit sich bringt und wie sie neben Praxis und Familie Zeit dafür findet, erzählt sie uns im Interview.

Julia, was war dein Lieblingskinderbuch als du klein warst?  

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Kinderbücher nicht ganz so wichtig waren. Mein Vater hat wahnsinnig viel gelesen und uns Kinder viel daran teilhaben lassen. Das Eintauchen in seine Welten war für mich etwas ganz Positives. Im Kindergarten gab es das Buch „Das kleine Ich bin ich“ – wir haben ein kleines „Ich bin ich“ selber aus Stoff gebastelt – und zu Hause hatte ich ein Jahreszeitenbuch mit Geschichten, Reimen und Anregungen, um selbst aktiv zu werden. Ich finde es schön, wenn Kinder in Büchern Anregungen finden.

Warum sind Bilderbücher so wichtig für Kinder?   

Weil es so viele Figuren zu entdecken gibt, von denen man wirklich was lernen kann – zum Beispiel, wenn man irgendwo feststeckt oder Erwachsene nicht wissen, wie sie schwierige Themen ansprechen können. Die Figuren zeigen, wie man da rangehen und wie man auf das Leben oder Herausforderungen blicken könnte. Außerdem können Kinder über die Bücher die Erfahrung machen „ich bin nicht alleine mit diesem Thema“.

Lesendes Kind

Es kommt aber auch darauf an, ob Kinder Erwachsene um sich herum haben, die gerne lesen. Ich erlebe es manchmal in meiner Arbeit mit Familien, dass die Eltern sagen: „Ich höre das immer, ich muss so viel lesen mit meinen Kindern, aber es ist furchtbar für mich. Ich mache das nicht gerne.“ Dann macht es Sinn, sich eine Schnittstelle zu suchen, die sowohl die Kinder als auch die Eltern interessiert. Wenn man etwas findet, an dem alle Freude haben, steckt da so eine ganz bestimmte Entschleunigung drin, sich gemeinsam hinzusetzen, ein Buch zu betrachten und in die Welten einzutauchen - durch den Text, aber auch durch die Illustrationen. Da ist es mal verdreht, ganz fantastisch oder ganz bunt, mal schnell und mal langsam, manchmal sanft, manchmal wild. 

Wie unterscheiden sich therapeutische Kinderbücher von „normalen“ Kinderbüchern?

Die meisten therapeutischen Kinderbücher sind von Fachleuten entwickelt oder mitentwickelt und entstehen aus der praktischen Arbeit heraus. Gleichzeitig ist für mich nicht entscheidend, ob ein*e Therapeut*in oder Psycholog*in ein Buch entwickelt hat, damit es therapeutischen Charakter hat, sondern eher, wie es bei den Leser*innen ankommt. Ich finde, dass es viele Kinderbücher gibt, die nicht von Fachleuten entwickelt worden sind, die aber wertvolle therapeutische Effekte anstoßen können, wie zum Beispiel „Die Gebrauchsanweisung gegen Traurigkeit“ von Eva Eland (erschienen im Hanser Verlag) oder die wunderbaren Bücher von Jutta Bauer. Umgekehrt gibt es vielleicht auch therapeutische Kinderbücher, die ein Kind nicht tangieren oder mit denen eine Familie nichts anfangen kann.

Wie bist du selbst dazu gekommen, therapeutische Kinderbücher zu schreiben? 

Das hat sich aus der Arbeit heraus entwickelt. Mein Schwerpunkt ist die Familienpsychologie und ich arbeite in meiner Praxis mit Paaren, die Kinder haben. Hier geht es um Konflikte, unterschiedliche Familienformen, manchmal auch die Frage nach Trennung. Ich habe schon während meiner Zeit in einer Familienberatungsstelle mit Kinderbüchern gearbeitet. Ich hatte aber immer wieder Momente, in denen ich dachte, „dafür hätte ich jetzt gerne ein Buch oder eine Illustration“. Auch durch meine Ausbildung als Schreibberaterin, die ich während meines Studiums gemacht habe, hatte ich ein grundsätzliches Interesse für kreative Schreib- und Leseprozesse. Ich habe angefangen, Texte zu schreiben, die ich gerne in der Arbeit gehabt hätte, aber nicht hatte. Auch die Idee zu „Ela, Elmo und die Zaubermomente“ (erscheint im Mabuse Verlag) ist aus der Arbeit heraus entstanden und hat sich dann in der Zusammenarbeit mit der Illustratorin und dem Verlag weiterentwickelt.

Eltern lesen mit ihren Kindern

Wenn ich selbst eine Idee hätte, wie sähe der Weg bis zu einer Veröffentlichung aus? 

Der klassische Weg geht über die Verlage. Hier müssen Autor*innen jemanden finden, der an ihrer Idee Interesse hat. Es gibt heutzutage auch die Möglichkeit, ganz unabhängig von einem Verlag zu veröffentlichen, Stichwort „Selfpublishing“. Da braucht es Mut und die Bereitschaft, sich in Bereiche einzuarbeiten, mit denen man sich bislang noch nicht so auskennt. Es gibt viele Möglichkeiten. Da dürfen wir auch kreativ um die Ecke denken! 

Wie war deine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den Illustratorinnen? 

Ich hatte das große Glück, dass ich sowohl bei „Ela, Elmo und die Zaubermomente“ als auch bei „Mia & Mama machen Marmelade“ persönlichen Kontakt mit den Illustratorinnen hatte. Wir haben die Bücher gemeinsam entwickelt. Die Illustratorinnen haben mir zwischendurch ihre Bilder geschickt und mich gefragt, was ich davon halte. Im Austausch zu sein, war für mich wichtig und bereichernd.  Je nach Verlag hat man nicht immer die Möglichkeit, einen persönlichen Austausch zu haben. Das kann also je nach Projekt unterschiedlich ablaufen. 

Was sind die besonderen Herausforderungen beim Schreiben von therapeutischen Kinderbüchern? 

Wir sind oft in unserer Erwachsenenwelt. Für das Schreiben von Kinderbüchern ist es wichtig, dass die Geschichte für die Kinder relevant ist und dass wir uns in sie hineinversetzen können. Es hilft, Zeit mit Kindern zu verbringen. Sich inspirieren lassen, einerseits von ihrer Unvoreingenommenheit und ihrer Begeisterung und andererseits auch von ihrer Verletzlichkeit. Durch die Abhängigkeit von den Bezugspersonen sind wir nie wieder so verletzlich wie im Kindesalter. Da die Kinder ansprechen und abholen zu können, kann eine Herausforderung sein. 

 

zwei lesende Kinder

Man muss auch wissen, was die verschiedenen Altersgruppen brauchen, um beim Lesen dabei bleiben zu können. Wenn es zum Beispiel ein Bilderbuch für die ganz Kleinen ist, ist es wichtig, dass die Sätze sehr kurz sind und dass es überhaupt nur ganz wenig Text gibt, weil viel über die Illustration läuft. Es macht Sinn, sich selbst viele Kinderbücher anzuschauen.

Du hast eben schon erwähnt, dass du ausgebildete Schreibberaterin bist. Was ist das genau? 

Das Angebot der Schreibberatung findet sich häufig an den Unis, um die Studierenden und Doktorand*innen beim Schreiben wissenschaftlicher Texte zu unterstützen. Es gibt aber auch Nebenbereiche. Ein Teilbereich der Ausbildung zur Schreibberatung ist zum Beispiel das kreative Schreiben. In der Ausbildung lernt man, wie man Schreibende dabei unterstützen kann, ins Schreiben zu kommen, Texte zu strukturieren, die Textoberfläche zu verbessern oder mit Schreibblockaden umzugehen. 

Julia Schneider

Helfen dir deine fachlichen Kenntnisse beim Schreiben deiner Bücher? 

Auf jeden Fall! Vor allem der Blick aufs Schreiben als Prozess, der auch Fehler beinhaltet und Phasen, in denen man nicht weiterkommt. Das muss einen überhaupt nicht davon abbringen, am Projekt dranzubleiben! Es geht eher darum, eine günstige Fehlerkultur zu entwickeln. Wenn ich irgendwo festhänge, überlege ich, welche Experimente ich mit dem Text machen könnte, um meinen Fokus wiederzufinden oder einfach erst mal Text zu produzieren, mit dem ich dann weiterarbeiten kann.

Was sind deine Übungen und Tipps gegen Schreibblockaden und Flauten?  

Das ist etwas sehr Individuelles, worauf man sich einlassen kann oder Lust hat. Was ich persönlich schön finde, ist, Klappentexte zu schreiben. Wenn ich mich frage, ob ich überhaupt noch am Thema dran bin oder mich gerade verliere, schreibe ich 3-4 Zeilen, um ein Gefühl zu bekommen, wo ich hinwill oder ob ich noch auf Kurs bin. Eine weitere Methode ist das „Free Writing“. Man schreibt bei der Methode alles auf, was einem in den Kopf kommt, ohne Unterbrechung, also auch sowas wie: „Bla bla bla, mir fällt gar nichts ein, ach jetzt kommt ein Gedanke und den greife ich jetzt mal auf…“ Es geht darum, Text zu produzieren. Grundsätzlich bin ich bei meiner Arbeit – ob mit Familien oder beim Schreiben – allerdings weniger methoden-, sondern eher haltungsorientiert.  

Wie schaffst du es, dir neben deiner Praxis und der Familie Zeit fürs Schreiben zu nehmen?  

Wenn ich eine Idee habe, muss ich mir erst mal gar nicht viel Zeit dafür nehmen. Die Idee kommt mir in den Sinn, dann schreibe ich sie auf – in meinem Notizbuch, meinem Kalender oder in der Notizfunktion vom Handy – und dann wirkt sie nach. Wenn ich merke, dass die Idee so weit ausgereift ist, dass es jetzt darum geht, sie zu strukturieren und in einen Text zu bringen, der sich flüssig lesen lässt, brauche ich dafür schon meine Arbeitszeit und muss schauen, wie ich es unterbringe. Es macht mir viel Spaß, sodass ich doch immer Zeit dafür finde. Es fühlt sich für mich nicht nach Arbeit an!
 

Das klingt schön. Vielen Dank für das Interview! 

 

 

Zum Weiterlesen: 

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Schneider, Julia & Monzel, Marlene (2021). Ela, Elmo und die Zaubermomente. Ein Kinderfachbuch über Bindung. Frankfurt am Main: Mabuse.

Bauer, Jutta (2005). Die Königin der Farben. Weinheim: Beltz.

Bucay, Jorge (2008). Komm, ich erzähl dir eine Geschichte. Frankfurt am Main: Fischer.

Eland, Eva (2019). Gebrauchsanweisung gegen Traurigkeit. München: Hanser Verlag.