Bilderbücher für die Therapie: Über Kopfschmerz, psychische Krisen und Co.
Ob als Gesprächseinstieg, zur Psychoedukation oder zum Entwickeln von Lösungsideen: In der Therapie von Kindern und Jugendlichen sind Bilderbücher beliebt - bei Patient:innen und Therapeut:innen gleichermaßen. Es gibt sie zu zahlreichen Themen und regelmäßig kommen neue hinzu. Wir stellen dir vier neuere Bücher vor, die wir besonders gelungen finden.
„Es [gibt] so viele Figuren zu entdecken […], von denen man wirklich was lernen kann“, sagt Familientherapeutin und Kinderbuchautorin Julia Schneider im psylife-Interview zu der Frage, warum Bilderbücher für Kinder so wichtig sind. „Zum Beispiel, wenn man irgendwo feststeckt oder Erwachsene nicht wissen, wie sie schwierige Themen ansprechen können. Die Figuren zeigen, wie man darangehen und wie man auf das Leben oder Herausforderungen blicken könnte. Außerdem können Kinder über die Bücher die Erfahrung machen, ich bin nicht alleine mit diesem Thema‘.“ Ob ein Kinderbuch von Therapeut:innen entwickelt wurde oder nicht, mache dabei erstmal keinen Unterschied. Was zählt, ist die Wirkung.
Bilder- und Therapiebücher gibt es zu zahlreichen Themen: Geschichten über psychiatrische Erkrankung bei Eltern oder Geschwistern, über Gefühle, den Tod oder das Anderssein. Einige „Klassiker“ hat dir unsere Autorin Melanie Gräßer zusammengestellt. Seitdem sind viele neue Bücher auf den Markt gekommen, die sich für den therapeutischen Einsatz eignen. Vier Bücher, die wir besonders gelungen finden, möchte ich dir hier vorstellen.
1. Der kleine Kopfweh
Vielleicht kennst du schon den „kleinen Bauchweh“ aus dem gleichnamigen Buch von Corinna Leibig? Für mich ein Go-To-Therapiebuch in der Behandlung von Kindern mit Bauchschmerzen!
Nun gibt es auch den kleinen Kopfweh. Er hat schon wieder diese schlimmen Kopfschmerzen. Aber woher kommen sie nur? Hat er zu wenig getrunken? Zu lange ferngesehen? Oder war es im Zirkus zu laut? Die Geschichte des kleinen Kopfwehs hilft Kindern auf der Suche nach Antworten: Woher Kopfschmerzen kommen können und warum sie manchmal immer wiederkehren. Daneben finden auch andere Symptome von Migräne (z. B. Lichtempfindlichkeit, Übelkeit) sowie psychische Belastungen durch die Kopfschmerzen ihren Platz.
„Der kleine Kopfweh“ eignet sich hervorragend als Identifikationsfigur, zur Psychoedukation und um mit Kindern über ihre Kopfschmerzen ins Gespräch zu kommen. Abgerundet wird die Bildergeschichte durch einen Fachteil von PD Dr. med. Charly Gaul, dem Gründer des Kopfschmerzzentrums Frankfurt. Er gibt Tipps und Hinweise zur Diagnostik und Behandlung von Kopfschmerzen.
Zum Weiterlesen:
(Werbung) Corinna Leibig (2023). Der kleine Kopfweh. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag.
2. „Auf und Ab“ – eine Graphic Novel zu psychischen Krisen
Kinder und Jugendliche leiden besonders unter den globalen Krisen und Herausforderungen unserer Zeit – und das neben ganz alltäglichen Problemen wie Schulstress, Liebeskummer und Pubertät. Damit umzugehen ist oft schwierig. Die Graphic Novel „Auf und ab“ von Johanna Selge, illustriert von Max Hillerzeder, greift das Thema altersgerecht auf. In der Geschichte wird der 16-jährige Noah durch eine Verkettung von Ereignissen aus der Bahn geworden. Er gerät zunehmend in eine Abwärtsspirale, zieht sich immer mehr zurück und droht den Halt zu verlieren.
„Als Kunstlehrerin bin ich davon überzeugt, dass Bilder schwer in Worte zu fassende Themen anschaulicher und eindringlicher transportieren können, als das in reiner Textform möglich ist“, berichtet die Autorin Johanna Selge im Interview mit dem Hogrefe Verlag. „Aus diesem Grund erschien mir das Medium Comic als besonders geeignet, um unterbewusste bzw. innere Vorgänge darzustellen, eine bessere Identifikation mit Betroffenen zu ermöglichen und gleichzeitig einen einladenden Zugang zu dieser ‚düsteren‘ Thematik zu schaffen“.
Neben Hintergründen zu psychischen Krisen werden in der Graphic Novel auch Bewältigungsstrategien vermittelt. Dazu gibt es neben dem Comic-Teil eine Art „ABC der psychischen Gesundheit“ - von „A wie Angst“ bis „S wie Selbstvertrauen“. Das hilft Jugendlichen, sich leichter mit Themen wie Angst, Depression und psychischen Krisen auseinandersetzen und Hemmungen abbauen. Johanna Selge sieht die Graphic Novel als präventives Angebot, um die Resilienz von jungen Menschen zu stärken. Das Buch ist aber auch eine super Ergänzung für die Therapie.
Zum Weiterlesen:
(Werbung) Johanna Selge (2024). Auf und Ab – Psychische Krisen ausbremsen. Göttingen: Hogrefe.
3. Die Hungerwolke – Kinderfachbuch über Essanfälle
Die 7jährige Mona ist etwas mollig und wird in der Schule deswegen geärgert. Zu Hause hört sie ständig, dass sie abnehmen soll. Und Monas Papa hat auch kaum Zeit für sie. Das alles macht Mona traurig. Um ihre Traurigkeit zu vergessen, fängt Mona an, heimlich zu essen. Die „Hungerwolke“ verspricht ihr, dass die Gefühle dann weggehen, wenn sie sich mit Süßem vollstopft. Doch die „Hungerwolke“ tröstet nur für eine kurze Zeit. Schnell sind die negativen Gefühle wieder da. Hinzukommen kommen Schuld und Scham, Mona gerät in einen Teufelskreis. Erst in der Therapie lernt Mona, ihre Gefühle nicht mehr „wegzuessen“. Das Buch von Milena Tebiri, Anna-Charlotte Lörzer, Paula Kuitunen und Stefan Hetterich eignet sich für Kinder ab 6 Jahren.
Die Bildergeschichte wird durch einen Fachteil mit Informationen rund um Binge-Eating-Störungen und Emotionales Essen abgerundet.
Eine der Autor:innen, Milena Tebiri, berichtet im Fachteil auch über ihre eigenen Erfahrungen mit Binge-Eating. „Ich machte meinen Selbstwert komplett von meinem Essverhalten abhängig“, schreibt sie in ihrem Erfahrungsbericht (S. 67). „Oft konnte ich im Nachhinein nicht mehr eruieren, warum es zu einem Essanfall gekommen war. Unterdrückte Gefühle, die getriggert wurden, Erschöpfung, der Druck der destruktiven Gedanken, den ich nicht mehr aushielt, … Es gab so viele Auslöser.“ Erst mit Ende 20, als sie sich einer Selbsthilfegruppe anschloss, fand sie einen Weg aus dem emotionalen Essen. „Durch die Gruppe und das 12-Schritte-Programm lernte ich, meinen Selbstwert und das Urvertrauen langsam, aber sicher aufzubauen, die unangenehmen Gefühle aushalten zu lernen und den emotionalen Hunger anders zu stillen als durch Essen“.
„Die Hungerwolke“ hilft Kindern und ihren Bezugspersonen, die Auslöser und Verstärker für emotionales Essen besser zu verstehen, und zeigt erste Ideen auf, wie sie anders mit belastenden Gefühlen umgehen können.
Zum Weiterlesen:
(Werbung) Milena Tebiri, Anna-Charlotte Lörzer, Paula Kuitunen & Stefan Hetterich (2022). Die Hungerwolke – Ein Kinderfachbuch über Essanfälle. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag.
4. Du schaffst das! Ein Handbuch gegen Stress und Sorgen
„Deine Sorgen sollen dich nicht davon abhalten, du selbst zu sein“, so das Motto des Mutmach-Buchs von Jess Sander. Die australische Sozialarbeiterin hat schon mehrere, teils preisgekrönte Kinderbücher geschrieben (u. a. „Liebe deinen Körper“, „Ich bin zart, ich bin stark“) und sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Daher greift sie in ihren Bilderbüchern Themen auf, die Kinder stärken sollen. In „Du schaffst das!“, illustriert von Irina Avgustinovich, greift sie die Themen Stress, Angst und Sorgen auf.
Kinder stehen jeden Tag vor Herausforderungen, die Stress und Sorgen machen können: sei es der erste Tag im Sportverein oder der neue Schulweg. Anschaulich werden in dem Bilderbuch Informationen rund um Angst und Sorgen vermittelt: wie sich Angst im Körper zeigt, warum wir Menschen überhaupt so etwas wie Angst haben und wie man dem Körper signalisieren kann, dass er in Sicherheit ist.
Das Buch eignet sich für Kinder ab dem 3. Lebensjahr, spricht meiner Erfahrung nach aber auch deutlich ältere Kinder an. Tipp: Ideen, wie du Bilderbücher auch mit älteren (und vielleicht schon erwachsenen) Patient:innen einsetzen kannst, findest du am Ende des Artikels von Melanie Gräßer.
Zum Weiterlesen:
(Werbung) Jess Sanders (2023). Du schaffst das! Ein Handbuch gegen Stress und Sorgen. Berlin: Zuckersüß Verlag.
Wir wünschen dir viel Spaß beim Lesen mit deinen kleinen und größeren Patient:innen!