Resilienz stärken in herausfordernden Zeiten

Eine junge Frau schaut selbstbewusst in die Kamera, im Hintergrund sieht man einen Wald.

Das subjektive Gefühl der Überforderung steigt stark an und gleichzeitig wissen viele Menschen nicht, wie sie ihre eigene Widerstandsfähigkeit stärken und einen funktionalen Umgang mit Stressoren und Herausforderungen gestalten können. In diesem Artikel stellen wir dir evidenz-basierte Interventionen zur Resilienzförderung vor, die du in Therapie und Coaching einsetzen kannst.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Rate an psychischen Erkrankungen steigt und das subjektive Gefühl der Überforderung zunimmt. Für dich als Therapeut:in oder Coach:in lautet demensprechend die Frage: Wie kannst du Menschen dabei unterstützen, trotz der Widrigkeiten und Stressoren im Berufs- und Privatleben ein gelingendes Leben zu führen? Wie Studien zeigen, sind 50% unserer seelischen Widerstandsfähigkeit aktiv von uns erlernbar. 

Ganz konkret bedeutet Resilienzförderung, dass du deine Klient:innen oder Coachees:  

  1. ermächtigst, kluge Entscheidungen im Leben zu treffen, die Stress und Krisen möglichst im Vorhinein, also präventiv, reduzieren (primäre Resilienz). 
  2. unterstützt, sich in ihrer Flexibilität zu üben, indem sie resilienzfördernde Verhaltensweisen und Strategien erlernen, die sie funktional auf die jeweiligen Herausforderungen anwenden (sekundäre Resilienz).  
  3. nicht nur als Individuum betrachtest, sondern eingebettet in einen kulturellen und sozialen Kontext. Du regst deine Coachees zur Reflektion darüber an, welche stärkenden und schützenden Umgebungen sie aufbauen und bewusst wählen und welche sie verändern oder auch hinter sich lassen können. 

Für die Psychotherapeut:innen unter euch kann Resilienzförderung auch bei psychisch erkrankten Menschen stattfinden (tertiäre Resilienz), die im Sinne einer Ressourcen- und Resilienzorientierung von ihrer Krankheit genesen und dadurch zurück zu (evtl. sogar stärkerer) Resilienz finden.  

Wie kannst du nun die Resilienz deiner Coachees und Klient:innen konkret fördern? Im Folgenden stellen wir dir Interventionen vor, die sich auf die Resilienzfaktoren, die die stärkste wissenschaftliche Evidenz aufweisen, beziehen. Diese sind: (1) Selbstregulationsfähigkeit, (2) Sinn- und Werte, (3) Optimismus, (4) soziales Netz, (5) Selbstwirksamkeit und (6) Lösungs- und Zukunftsorientierung. 

1. Selbstregulationsfähigkeit 

Das dynamische Modell der Selbstregulationsfähigkeit (nach Reichhart und Pusch, 2023) besagt, dass unser Denken, unsere Gefühle, unser Verhalten sowie unser Körperverhalten sich gegenseitig beeinflussen und sich synchronisieren. Selbstregulation ist wichtig, um uns in stressigen Situationen zu beruhigen und das Steuerrad wieder in die Hand zu nehmen. Ein Training in Achtsamkeit kann die Basis bilden, damit deine Klient:innen überhaupt mitbekommen, wie sie sich gerade fühlen, verhalten oder was sie gerade denken bzw. in ihrem Körper los ist.  

Ein gefaltetes Papierboot auf einem Tisch vor einem Globus

Beim Denken geht es darum, förderliche Bewertungen aufzubauen, z. B. durch kognitive Umstrukturierung, das Bearbeiten von Glaubenssätzen und das bewusste Lenken der Gedanken auf Positives. Um das Körperverhalten bzw. die Physiologie anzusteuern, kannst du mit deinen Coachees eine kraftvolle Körperhaltung entwickeln („Power-Posing“, „Embodiment“) oder Entspannungstechniken trainieren. Durch die automatische Synchronisation werden sich deine Coachees allein dadurch anders fühlen und auch anders denken. Verhalten wird verändert, indem die Coachees aktiv in die Umsetzung gehen. Hier hilft ein Transferplan, in dem konkrete Ziele und Bewältigungsstrategien festgehalten werden. Die Gefühle regulieren sich dann automatisch über den Umweg der Regulation unserer Gedanken, unseres Verhaltens und unseres Körperverhaltens.  

2. Sinn- und Werteorientierung

Sinn- und Werteorientierung förderst du, indem du deine Klient:innen anleitest, mit Warum-Fragen nach dem Sinn („Warum, wozu lebe ich?“) und mit Wie-Fragen nach ihren Werten („Wie soll ich leben?“) zu suchen. Die Klarheit über das innere Navigationssystem erlaubt es gerade auch in krisenhaften, stressigen und vermeintlich orientierungslosen Zeiten, Halt und Perspektive zu finden. Sie müssen sich nicht ständig neu entscheiden, wie sie sich ausrichten wollen. Das spart Energie und macht innerlich stark. 

3. Optimismus und Zuversicht  

Optimismus und Zuversicht kannst du anregen, indem du deinen Coachees hilfst, den Blick auf das „Positive“, auf die andere Seite der Medaille, auf das „Gleichzeitig“ zu legen. Dadurch negierst du nicht die Schwierigkeit oder das Schlimme einer bestimmten Situation, aber du lenkst durch deine Fragetechniken das Spotlight darauf, was auch das Gute im Schlechten sein kann bzw. was bereits alles funktioniert und gut ist. Ganz konkret können folgende Fragen zur Bewältigung einer Herausforderung nützlich sein: 

  • Wofür mag die Erfahrung gut gewesen sein?   
  • Was hat Sie diese Erfahrung gelehrt?  
  • Wohin hat Sie diese Erfahrung gebracht?  
  • Was darf in Ihrem Leben so bleiben, wie es ist?  
  • Wofür sind Sie dankbar? 

Durch Spiegeln, Nachfragen oder Umformulieren kannst du deine Coachees auch auf deren Wortwahl und ihren Attribuierungsstil (Ursachenzuschreibung) aufmerksam machen. Eher pessimistische Menschen suchen z.B. bei Misserfolgen die Schuld bei sich, wohingegen sie bei Erfolgen die Ursache für die Erfolge anderen zuschreiben. Schlage Klient:innen, die in Gedanken oder Worten vor allem das Negative oder Fehler sehen, vor, sich ein imaginäres Stoppschild zu setzen und neue, förderlichere Gedanken zu entwickeln (z.B. eigene Verdienste zu würdigen).  

4. Soziale Kontakte 

Soziale Kontakte sind nicht nur resilienzstärkend, sondern tragen maßgeblich zu einem gesunden und gelingenden Leben bei. Ungefähr fünf enge, vertraute Freund:innen sollten wir haben (basierend auf der der sogenannten Dunbar-Zahl des Anthropologen Robin Dunbar). Deine Klient:innen können das soziale Netz visualisieren und analysieren, indem sie zunächst alle ihre privaten und beruflichen Kontakte um sich herum auf einem Blatt festhalten und dann per Strichdicke und Nähe der Kontakte zu sich festlegen, welche Kontakte viel Energie kosten und welche ihnen Energie geben. So können sie ablesen, welche Beziehungen für sie wichtig sind, welche sie intensivieren oder auch ausdünnen möchten. Für den Aufbau und den Erhalt eines sicheren sozialen Netzes sind soziale Kompetenzen grundlegend, wie z. B. sich abzugrenzen, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, der Umgang mit sozialen Ängsten, aber auch ganz Konkretes wie Smalltalk und Netzwerken. 

Zwei junge Frauen gehen gut gelaunt nebeneinander an einer bunten Hausfassade vorbei.

5. Selbstwirksamkeit 

Eine gute Basisfrage, um dem Coachee Selbstwirksamkeitserfahrungen bewusst zu machen, ist die Frage nach bereits erfolgreich überwundenen Herausforderungen. Jeder Mensch hat bereits Situationen bewältigt, die er oder sie davor noch nicht kannte, z. B. Krankheit überstehen, Autofahren lernen oder Schulabschluss machen. Bei der Frage danach, was dabei geholfen hat, darfst du genau nachfragen:  

  • Welche Herausforderungen haben Sie bereits gemeistert? 
  • Was haben Sie dafür getan, dass es Ihnen wieder besser ging? 
  • Was oder wer hat Ihnen dabei geholfen? 
  • Was war Ihr Geheimrezept? 

Aktuelle Stressoren und Herausforderungen können mit Rückgriff auf diese bereits früher eingesetzten bzw. erworbenen Kompetenzen leichter bewältigt werden.  

6. Lösungs- und Zukunftsorientierung  

Die Lösungs- und Zukunftsorientierung deiner Coachees förderst du, indem du ihnen dabei hilfst, sich vom Problemdenken hin zu Lösungen und Möglichkeiten zu entwickeln. Dadurch wird gleichzeitig eine optimistische Haltung gefördert. Die Grundlage sollte deine eigene lösungsorientierte Haltung sein. Bringst du deine Klient:innen durch deine Fragen eher dazu, ihre Probleme noch weiter zu analysieren, oder sind deine Fragen so gestellt, dass sie Ressourcen, Bewältigungskompetenzen, Perspektivenwechsel und einen Zukunftsblick ermöglichen?  

Eine kleine Zeitreise ist eine schöne Übung, den Blick auf den Lösungsraum zu richten: „Stellen Sie sich vor, das aktuelle Problem liegt längst hinter Ihnen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie auf Ihre Vergangenheit blicken? Was können Sie als älteres Ich Ihrem jüngeren Ich raten? Wofür hat es sich gelohnt durch die Herausforderung zu gehen? Erzählen Sie Ihrem jüngeren Ich, wie Ihr Leben jetzt aussieht, wie es Ihnen geht und wie Sie es geschafft haben dorthin zu kommen.“ 

Wie du siehst, hast du viele verschiedene Wege die Resilienz deiner Coachees zu stärken. Schon kleine Übungen haben eine große Wirkung.  

 

Zum Weiterlesen: 

[Werbung] Tatjana Reichhart & Claudia Pusch (2023). Resilienz-Coaching: Ein Praxismanual zur Unterstützung von Menschen in herausfordernden Zeiten. Berlin / Heidelberg: Springer.