Bildkarten im Coaching: Bei Entscheidungen neue Perspektiven finden
Stell dir vor, ein Klient sitzt vor dir, seine Augen schweifen unruhig umher, seine Hände spielen nervös mit einem Stift. Er beginnt zu sprechen, doch die Worte klingen unsicher, stockend: „Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Alles fühlt sich so festgefahren an, als ob ich in einem Labyrinth stecke und den Ausgang nicht finde.“ Solche Momente, in denen Worte allein nicht ausreichen, kennst du sicher gut. In diesen Situationen hilft das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ nicht weiter. Aber wie können wir als Coach:innen in solchen Situationen unterstützen und neue Wege aufzeigen?
Bei Zweifeln und Entscheidungsschwierigkeiten kommt die Macht der Bilder ins Spiel. Denn: Unser Unbewusstsein weiß oft längst Bescheid und hat die Entscheidung bereits getroffen, aber wir brauchen einfach ein Gespräch – und zwar mit unserer Intuition.
Warum sind visuelle Impulse so wichtig?
Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Mehrheit der Menschen visuell orientiert ist (Höffler & Leutner, 2007). Bilder und Metaphern haben die einzigartige Fähigkeit, direkt mit unserer Intuition zu kommunizieren. Das Sprichwort „Bilder sagen mehr als tausend Worte“ bringt diese Tatsache präzise auf den Punkt. Oftmals sind unsere Klient:innen in einem Zustand der Verzweiflung, in dem ihnen die Worte fehlen, um ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken. In solchen Momenten können Bilder als kraftvolle Werkzeuge dienen. Sie ermöglichen es, komplexe innere Zustände auf eine visuelle und somit oft greifbarere Weise darzustellen. Indem wir Bilder in unseren Coaching-Sitzungen einsetzen, können wir unseren Klient:innen helfen, ihr Inneres zu erkunden und neue, oft überraschende Einsichten zu gewinnen.
Die Forschung hat klar gezeigt, dass menschliche Entscheidungsprozesse zu einem großen Teil auf unbewussten Mechanismen basieren (vgl. Kahneman, 2011). Dies bedeutet, dass wir oft intuitiv und emotional entscheiden, lange bevor wir uns dessen bewusstwerden. Emotionen spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie stark darauf einwirken, wie wir Optionen bewerten und welche Entscheidungen wir letztlich treffen. Insbesondere in Situationen, in denen Klient:innen mit Entscheidungsängsten kämpfen, können visuelle Hilfsmittel wie Bildkarten einen bedeutenden Unterschied machen.
Die Verwendung von Bildkarten in Coaching-Sitzungen bietet daher nicht nur einen visuellen Ankerpunkt, sondern ermöglicht auch eine emotionale und intuitive Annäherung an komplexe Lebensfragen. Indem Klient:innen Bilder wählen, die ihre aktuelle Situation oder ihre inneren Zustände widerspiegeln, können sie eine Verbindung zu ihren Gefühlen herstellen und neue Perspektiven auf ihre Herausforderungen gewinnen.
Die Vielfalt von Bildkarten
In Coaching-Sitzungen kannst du verschiedene Arten von Bildkarten einsetzen:
- Die bekanntesten sind Coaching-Impuls-Karten, die speziell für diese Zwecke entwickelt wurden. Sie präsentieren inspirierende Fotos und Bilder, die den Denkprozess anregen und dabei helfen können, Themen wie Stressmanagement und die Erschließung persönlicher Ressourcen zu unterstützen.
- Metaphorische oder assoziative Karten hingegen verwenden bewegende Zeichnungen, um verborgene Gefühle und Assoziationen zu wecken. Sie nutzen kraftvolle Metaphern und Assoziationen, um tiefere Einblicke und Erkenntnisse zu fördern. Durch die geschickte Kombination von Bildern und Worten werden sowohl kognitive als auch emotionale Prozesse angeregt.
- Besonders kreativ und effektiv sind selbstgemachte Karten, bei denen Bilder aus Zeitschriften und Magazinen verwendet werden. Diese individuellen Karten sprechen direkt die spezifischen Themen und Interessen der Klient:innen an und können dadurch eine besonders starke Resonanz und Wirksamkeit in der Coaching-Arbeit erzielen.
Wie du Bildkarten in der Praxis anwendest
Hier sind einige wirkungsvolle Methoden, wie du Bildkarten effektiv in deiner Coaching-Session einsetzen kannst. Die beschriebenen Methoden sind für alle Arten von Karten anwendbar und werden jeweils mit konkreten Beispielen aus der Praxis dargestellt.
1. Die Brücken-Methode ermöglicht es den Klient:innen, sich auf positive Ergebnisse zu fokussieren. Lege Bildkarten offen auf den Tisch und bitte deine Klient:innen, eine Karte auszuwählen, die ihre aktuelle Lebenssituation am besten beschreibt. Frage sie, wie sie sich beim Betrachten des Bildes fühlen und ob sie sich darin wiedererkennen können. Anschließend sollen sie eine weitere Karte auswählen, die eine positive Lösung oder Perspektive repräsentiert. Es ist wichtig zu betonen, dass es nicht darauf ankommt, wie sie zu dieser Lösung gelangen – es geschieht einfach. Zum Abschluss sollen die Klient:innen eine dritte Karte wählen, die etwas Symbolisches darstellt, das ihnen bei der Lösung ihres Problems geholfen hat.
Stelle dabei Fragen, die den Prozess unterstützen:
- Welche Emotionen löst dieses Bild bei dir aus?
- Kannst du dich selbst auf diesem Bild erkennen?
- Wie interpretierst du die Gefühle oder Absichten der Person auf dem Bild?
- Was sagt dir dieses Bild über deine aktuelle Situation?
Max wählt zunächst eine Karte mit einem Anker, der für ihn Sicherheit und Stabilität symbolisiert. Er fühlt sich in seiner aktuellen Situation sicher und geborgen, aber auch etwas eingegrenzt.
Als nächstes entscheidet er sich für ein Bild mit majestätischen Bergen, das ihm eine weite Perspektive und neue Möglichkeiten zeigt. Dieses Bild ermutigt ihn, über seine Grenzen hinauszuschauen und neue Horizonte zu erkunden.
Abschließend wählt Max eine Karte mit einer Autobahn, die Dynamik und Energie vermittelt. Dieses Bild steht für seinen Wunsch nach Veränderung und neuen Herausforderungen in seiner beruflichen Laufbahn. Er erkennt, dass er eine Pause einlegen muss, um dann mit neuer Energie in eine neue Richtung zu starten.
Durch diese Bildkarten-Methode gewinnt Max Klarheit über seine Gefühle und Gedanken bezüglich seiner beruflichen Zukunft. Er kann nun reflektieren, welche Aspekte ihm wichtig sind und welche Schritte er unternehmen muss, um seine Ziele zu erreichen.
2. Die „Entscheidungs-Verzweigung“ Methode ermöglicht deinen Klient:innen, alle Optionen zu betrachten und ihre jeweiligen Gefühle zu vergleichen.
Bitte deine Klient:innen zuerst, ein konkretes Thema zu nennen, bei dem sie Schwierigkeiten haben, eine Entscheidung zu treffen. Lasse sie dann eine Karte wählen und stelle eine Reihe von Fragen dazu. Anschließend sollen die Klient:innen noch zwei bis drei weitere Karten ziehen, die mögliche Handlungsoption darstellen. Diskutiert die Gefühle und Eindrücke zu jeder Karte und reflektiert, welche Option sich am angenehmsten anfühlt.
Diese Fragen können deinen Klient:innen helfen, weitere Impulse zu gewinnen:
- Beschreibe deine Gefühle: positiv oder negativ?
- Was hat dich an der Karte überrascht? Was hast du erwartet?
- Was ist besonders bemerkenswert und warum?
- Was fehlt dir? Was gefällt dir nicht? Warum?
- Wie wird sich die Situation auf dem Bild weiterentwickeln?
- Welchen Ratschlag gibt dir diese Karte? Was sagt sie dir?
Anna wählt zuerst die Karte mit der Brücke über den reißenden Fluss, die ihre aktuellen Herausforderungen widerspiegelt. Sie spürt, wie wichtig es ist, diese Phase zu überwinden. Als nächstes zieht sie eine Karte, die ein Flugzeug zeigt, das hoch in den Himmel fliegt. Dieses Bild symbolisiert für sie Freiheit und erinnert sie daran, dass sie möglicherweise einen Ortswechsel oder eine Veränderung in Betracht ziehen könnte, auch wenn sie sich zunächst unsicher und ängstlich fühlt. Schließlich zieht Anna die dritte Karte mit einem Treppenhaus, das Stufe für Stufe nach oben führt. Dieses Bild ermutigt sie, kleine Veränderungen schrittweise anzugehen und sich langsam, aber sicher in Richtung größerer Veränderungen zu bewegen.
3. Die Methode “Das ideale Ich” zielt darauf ab, die eigenen Eigenschaften und Ressourcen der Klient:innen wahrzunehmen.
Biete den Klient:innen an, zuerst eine Karte zu ziehen, die sie im Moment repräsentiert. Danach sollen sie eine zweite Karte wählen, die ihr ideales Ich in der Zukunft darstellt. Optional kann eine dritte Karte gewählt werden, die ihre einzigartige Stärke symbolisiert, die ihnen dabei geholfen hat.
Fragen, die die Interpretation fördern:
- Welche Aspekte deines aktuellen Zustands spiegelt diese Karte wider?
- Was gefällt dir an dieser Darstellung und was nicht?
- Wie fühlt sich die dargestellte Person oder das Objekt?
- Welche Ratschläge könnte diese Person oder dieses Objekt geben?
- Welche Stärken zeigt die Person oder das Objekt auf der Karte?
- Welchen Rat würde dein zukünftiges ideales Ich dir jetzt geben?
- Welche einzigartigen Fähigkeiten oder Ressourcen hast du noch nicht genutzt, um dein Problem zu lösen?
- Welche konkreten Schritte bist du bereit zu unternehmen?
Tobias wählt eine Karte mit einem fröhlich umherlaufenden Hund, der seinen aktiven, oft gestressten Zustand widerspiegelt, in dem er anderen dient und seine eigenen Wünsche vernachlässigt. Die Hektik und unnötigen Emotionen belasten ihn. Als zweite Karte wählt er einen Adler über einem Berggipfel, der Freiheit, Möglichkeiten und ruhige Entschlossenheit symbolisiert. Der Adler steht für Tobias' idealen Zustand: zielgerichtet und gelassen. Die dritte Karte, ein starker Baum mit tiefen Wurzeln, repräsentiert seine innere Stärke und Standfestigkeit. Trotz Stress erkennt Tobias, dass seine Verwurzelung ihm in schwierigen Zeiten hilft.
Durch die Karten erkennt Tobias, dass er mehr auf seine Bedürfnisse achten und sich weniger von Hektik überwältigen lassen sollte. Der Adler ermutigt ihn, seine Ziele höher zu setzen und mit Ruhe zu verfolgen, während der Baum ihm zeigt, dass er auf seine innere Stärke vertrauen kann.Oben genannte Beispiele zeigen, wie Bilder im Coaching genutzt werden können, um komplexe Emotionen und Lebenssituationen greifbarer zu machen. Sie eröffnen neue Perspektiven und ermöglichen tiefere Einblicke, die mit rein verbalen Methoden schwer zu erreichen sind.
Zum Abschluss der Sitzung: Nach der Arbeit mit den Bildkarten ist es sinnvoll, eine Zusammenfassung von den Klient:innen zu hören. Was hat sie überrascht? Welche Gefühle haben sie danach? Was war unerwartet, angenehm oder unangenehm? Als weitere Aufgabe können sie zu Hause ihre Gedanken frei schriftlich äußern.
Fazit
Bildkarten bieten eine kraftvolle Methode, um Klient:innen aus verzwickten Situationen, in denen ihnen die Worte fehlen, zu befreien. Indem wir die visuelle Sprache nutzen, können wir ihnen helfen, neue Perspektiven auf ihre Herausforderungen zu entwickeln. Für Coach:innen und Berater:innen bieten Bildkarten eine innovative und effektive Möglichkeit, Entscheidungsprozesse zu unterstützen und emotionale Klarheit zu schaffen.
Quellen:
Höffler, T. N., & Leutner, D. (2007). The role of visualizations in the learning process: A meta-analysis. Educational Psychology Review, 19(3), 301-323.
Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. New York City: Farrar, Straus and Giroux.