„Ich kenne mich selbst nicht mehr“ - Psychische Beschwerden in den Wechseljahren

Eine ältere Frau sitzt auf dem Bett und stützt erschöpft den Kopf in die Hände.

Wenn Frauen im Alter zwischen 40 und 50 in der psychotherapeutischen Praxis von Stimmungsschwankungen, Ängsten, Erschöpfung und Schlafstörungen berichten, denken Behandler:innen und Betroffene in den seltensten Fällen an die Wechseljahre oder das sogenannte Klimakterium. Bisher war das Narrativ der Wechseljahre das der alternden Frau, deren Periode ausbleibt und die unter Hitzewallungen leidet. Mit psychischen Beschwerden wurde diese Phase nicht assoziiert. 

Seit einiger Zeit gibt es immer mehr Aufklärung darüber, dass sinkende Spiegel der Sexualhormone massive psychische Beschwerden auslösen können. Es werden mehr Studien zu diesem Thema veröffentlicht und die Deutsche Menopause Gesellschaft (DMG) bietet Fortbildungen für Fachpersonen an. Denn klimakterische Beschwerden können zu massivem Leidensdruck und Beeinträchtigungen der Lebensqualität führen. In der ICD-10 werden unter dem „Klimakterischen Syndrom“ die subklinischen affektiven Beschwerden, die mit den hormonellen Veränderungen der Wechseljahre einhergehen, zusammengefasst. Es können jedoch auch affektive Störungen, Angstzustände und Schlafstörungen in klinisch bedeutsamer Ausprägung auftreten, welche entsprechend diagnostiziert, kodiert und behandelt werden sollten. 

In meiner Praxis habe ich vielfach ähnliche Schilderungen gehört: „Ich kann nicht mehr schlafen. Ich bin vollkommen fertig, oft traurig, dünnhäutig, nervös und gereizt. Ich kann mich zu nichts aufraffen. Nach der Arbeit schaffe ich nichts mehr und beim Sport war ich schon lange nicht.“ Oftmals auch verbunden mit der Aussage: „Ich kenne mich selbst nicht mehr. Früher habe ich alles problemlos hinbekommen.“ Bei Frauen ab Anfang 40 ist es wichtig, über den Tellerrand zu schauen und an Beeinträchtigungen des psychischen Befindens im Rahmen der Wechseljahre zu denken.  

Die Wechseljahre markieren einen bedeutenden Übergang im Leben einer Frau. Dieser Übergang, der ungefähr zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auftritt, geht oft mit einer Vielzahl an Herausforderungen einher, die sowohl physischer als auch psychischer Natur sind. Frauen erleben eine Bandbreite von Emotionen, von Unsicherheit über den Verlust der Fruchtbarkeit bis hin zu Stimmungsschwankungen und Identitätsfragen.

 

Hohe Belastung, wenig Aufklärung 

Die essentielle Bedeutung dieses Themas für Psychotherapeut:innen liegt in der Notwendigkeit, die komplexen psychologischen Auswirkungen der Wechseljahre zu verstehen und einfühlsam darauf zu reagieren. Psychotherapeut:innen können Wegbegleiterinnen sein, die Frauen in dieser Lebensphase unterstützen, Orientierung bieten und Wege aufzeigen, wie sie nicht nur körperlich, sondern auch psychisch gestärkt aus den Wechseljahren hervorgehen. 

Zwei Stecknadeln auf einem Brett, auf das die Worte Postmenopause, Menopause und Perimenopause geschrieben stehen.

Aufgrund der Stigmatisierung und dem schambehafteten Image der Wechseljahre sind sowohl Betroffene als auch Therapeut:innen häufig nicht ausreichend über die Wechseljahre aufgeklärt und informiert. Es ist kaum bekannt, dass die Wechseljahre bereits mit Ende 30 oder Anfang 40 beginnen und einen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben können. Der Einfluss der Sexualhormone auf die Psyche wird in Studium und Weiterbildung selten oder gar nicht gelehrt. Dies ist häufig auch bei Ärzt:innen der Fall, was dazu führt, dass Betroffene mit ihren Beschwerden von Behandler:in zu Behandler:in pendeln, zum Teil falsche Diagnosen erhalten und verzweifelt sind, wenn die Beschwerden einfach abgetan werden.   

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Phasen der Wechseljahre und damit einhergehender Beschwerden: 

 

Perimenopause: Der Beginn des Wandels 

Die Perimenopause, oft als Übergangsphase bezeichnet, ist der Zeitraum, der die Jahre vor der eigentlichen Menopause umfasst. Die Perimenopause beginnt in den 40ern, kann aber auch früher eintreten und ist gekennzeichnet durch folgende mögliche Beschwerden: 

  • Unregelmäßige Menstruationszyklen: Die Länge und Intensität der Menstruationszyklen können variieren und Frauen erleben häufig, dass ihre Perioden unvorhersehbar werden. 
  • Schlafstörungen: Beeinträchtigung des Schlafs, Schlaflosigkeit oder unruhiger Schlaf 
  • Plötzliche Ängste: Ängste vor bestimmten Situationen oder eine allgemeine Ängstlichkeit  
  • Stimmungsschwankungen: Beeinträchtigung der Stimmung bis zu Niedergeschlagenheit, depressiver Episoden sowie Reizbarkeit 
  • Libidoverlust: Rückgang der sexuellen Lust 
  • Kognitive Einschränkungen: Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit und sog. „Brain Fog“ (Gehirnnebel) 
  • Eingeschränkte Leistungsfähigkeit: Energieverlust 
  • Gelegentlich Hitzewallungen und/oder Schweißausbrüche: Plötzliche Hitzeschübe und übermäßiges Schwitzen (Nachtschweiß) 

 

Menopause: Der Abschied von der Menstruation 

Die Menopause selbst wird definiert als der Zeitpunkt, an dem eine Frau zwölf aufeinander folgende Monate ohne Menstruation erlebt. Dieser Übergang, der normalerweise zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr stattfindet, bringt weitere spezifische Symptome mit sich: 

  • Vulvovaginale Atrophie: Der Rückgang von Östrogen führt zu einer Verringerung der vaginalen Schleimhaut, was Unbehagen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verursachen kann. 
  • Veränderungen in Haut und Haaren: Die Haut kann an Elastizität und Haare an Glanz und Dicke verlieren. 
  • Gewichtszunahme: Viele Frauen erleben während der Menopause eine Veränderung in der Verteilung ihres Körpergewichts. 
Eine ältere Frau steht vor einem Spiegel und trägt Puder auf.

Postmenopause: Neue Normalität finden 

Die Postmenopause beginnt nach der Menopause und erstreckt sich über den Rest des Lebens. In dieser Phase stabilisieren sich die Hormonspiegel auf dauerhaft niedrigerem Niveau. Obwohl viele der intensiven Symptome der Perimenopause und Menopause nachlassen, können einige anhalten, während andere möglicherweise auftauchen: 

  • Osteoporose: Der Rückgang von Östrogen kann das Risiko von Osteoporose erhöhen. 
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Das Nachlassen von Östrogen erhöht das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 
  • Urogenitale Beschwerden: Trockenheit und Atrophie der urogenitalen Schleimhäute können weiterhin Unannehmlichkeiten verursachen. 

 

Biologische Grundlagen: Der Einfluss der Hormone 

Als Ursachen für Beschwerden wird ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren angenommen. Unter anderem geht man davon aus, dass eine sogenannte Hormonsensitivität bei einigen Frauen zu Beschwerden führt.  

Im Verlauf der Wechseljahre kommt es zu einem graduellen Absinken der Hormonproduktion, insbesondere von Progesteron und Östrogen. Diese hormonellen Veränderungen haben nicht nur physische, sondern auch erhebliche psychische Auswirkungen.  

  • Progesteron, das während der reproduktiven Jahre als Gegenspieler von Östrogen fungiert, ist das erste Hormon, welches zurückgeht. Da Progesteron eine angstlösende und beruhigende Wirkung hat, geht der Rückgang häufig mit Auftreten von Ängsten und Verschlechterung der Schlafqualität einher. Der Einfluss von Progesteron auf den Schlaf kann sich auch auf die emotionale Stabilität auswirken. 
  • Der Abfall von Östrogen kann zu Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Hitzewallungen/Schweißausbrüchen (Nachtschweiß) führen. 
  • Testosteron, oft als „männliches" Hormon betrachtet, wird auch bei Frauen produziert und spielt eine Rolle bei der Erhaltung der Libido und des allgemeinen Wohlbefindens. Der Rückgang von Testosteron während der Wechseljahre kann zu verminderter sexueller Lust, Müdigkeit und Stimmungsschwankungen beitragen. Ein Mangel an Testosteron kann die allgemeine Lebensenergie und den Antrieb beeinträchtigen. 

In diesem Kontext wird deutlich, dass die Wechseljahre nicht nur einen rein körperlichen Wandel markieren, sondern auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. Aufgrund individueller Prädisposition, genetischer Faktoren und psychosozialer Stressoren steigt infolgedessen auch das Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln. 

 

Den Umgang mit Beschwerden verbessern 

Auch wenn die Wechseljahre eine normale Lebensphase sind, müssen Frauen die Beschwerden, die damit einhergehen, nicht aushalten, denn es gibt verschiedene Ansätze, um Beschwerden zu lindern. 

Diese sind: 

  • Hormonersatztherapie (HET) mit bioidentischen Hormonen  
  • Pflanzliche Präparate (z. B. Mönchspfeffer, Johanniskraut, Baldrian) 
  • Antidepressiva 
  • Lebensstilanpassungen (Ernährung, Mikronährstoffe, Bewegung, Schlafhygiene, Verzicht auf Koffein und Alkohol) 
  • Psychotherapie  
Eine ältere Frau steht lächelnd neben einer weißen Stehlampe.

Die S3-Leitlinie „Peri- und Postmenopause - Diagnostik und Interventionen“ empfiehlt den Einsatz von Verhaltenstherapie bei Beschwerden in den Wechseljahren. Methoden der Verhaltenstherapie können die Lebensqualität der Betroffenen positiv beeinflussen und den Umgang mit den Beschwerden verbessern. Im Folgenden nenne ich dir einige spezifische Aspekte, wie du in der Psychotherapie Frauen in den Wechseljahren unterstützen kannst: 

  1. Psychoedukation und Entpathologisierung: Durch Aufklärung über die Zusammenhänge zwischen hormonellen Veränderungen und psychischer Gesundheit lernen Patientinnen die Ursachen ihrer Symptome besser zu verstehen und einzuordnen. 

  2. Emotionale Bewältigung: Durch gezielte Techniken zur emotionalen Bewältigung kann der Umgang mit Stimmungsschwankungen, Ängsten und depressiven Verstimmungen erleichtert werden. 

  3. Kognitive Strategien: Kognitive Verhaltenstherapie kann dabei helfen, negative Denkmuster zu identifizieren und zu verändern, was besonders bei depressiven Verstimmungen, Ängsten und Hitzewallungen in den Wechseljahren hilfreich sein kann. 

  4. Hinderliche Gedanken in Bezug auf die Hitzewallungen identifizieren und hinterfragen: Wenn Hitzewallungen negativ bewertet werden (z. B.: „Das ist so peinlich“; „Hoffentlich sieht es niemand“), können diese Gedanken zu unangenehmen Gefühlen (z. B. Angst, Trauer) und diese wiederum zu dysfunktionalen Bewältigungsstrategien (z. B. Vermeidung) führen. Mithilfe des Dreiecksmodells können diese Zusammenhänge sichtbar gemacht und im nächsten Schritt Alternativgedanken und funktionale Bewältigungsstrategien erarbeitet werden. 

  5. Stressmanagement: Techniken zum Stressabbau, wie Achtsamkeitsmediationen oder PMR, können Frauen in den Wechseljahren unterstützen, insbesondere wenn Symptome wie Schlafstörungen und Hitzewallungen den Stress verstärken. 

  6. Selbstfürsorgestrategien vermitteln und einüben: Es entlastet, zur Selbstfürsorge anzuleiten und hinderliche Grundannahmen (z. B. „Ich bin verantwortlich, dass es den anderen gut geht“, „Meine Bedürfnisse zählen nicht.“) abzubauen. Auch kann die Etablierung von Selbstmitgefühl eine Strategie sein, um selbstfürsorglicher durch den Alltag zu gehen. 

  7. Reframing: Da negative Aspekte der Wechseljahre wie „alt“, „unattraktiv“, „unfruchtbar“, etc. gesellschaftlich im Vordergrund stehen, stellen diese zusätzliche Stressoren dar. Im Rahmen der Psychotherapie können positive Aspekte der Wechseljahre erarbeitet und neue Perspektiven entwickelt werden (z. B. keine Menstruation, Sexualität ohne den Stress der Verhütung, keine Rücksicht auf Kinder nehmen zu müssen, eigene Bedürfnisse und Gefühle in den Vordergrund stellen, sich Raum für sich nehmen dürfen, etc.). 

  8. Unterstützung bei Lebensstiländerungen: Begleitung bei der Anpassung des Lebensstils, um die Auswirkungen der Wechseljahre auf die psychische Gesundheit zu minimieren. Dies kann Ernährung, Bewegung, positive Aktivitäten und Schlafgewohnheiten umfassen. 

Durch diese unterstützenden Maßnahmen kann Psychotherapie dazu beitragen, dass Frauen in den Wechseljahren ihre psychische Gesundheit positiv gestalten und gestärkt in die nächste Lebensphase eintreten. 

 

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