Wie Kunsttherapie bei Depressionen helfen kann

Frau sitzt am Tisch und malt ein Bild.

Farben wahrnehmen, ins Tun kommen und den eigenen Körper erleben. Menschen mit Depressionen können durch Kunsttherapie Fähigkeiten und Ressourcen wiederentdecken, die für sie zuvor nicht mehr zugänglich waren. Wie du deine Patient:innen mit kreativen Methoden stützen und stärken kannst.

Die Depression gilt als eine der häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. Wenn psychische, verhaltensbezogene und körperliche Beschwerden den Alltag und das Leben der Betroffenen einschränken, ist eine Behandlung sehr wichtig. Bei frühzeitiger Diagnose ist die Erkrankung in der Regel gut behandelbar. Neben psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlungen gibt es dabei auch eine Vielzahl erlebnisorientierter Therapien und Methoden, die Betroffene stützen und ihnen helfen können, wie z. B. Musik-, Körper- und Kunsttherapie.

Sich mit Farbe und Formen auf dem Papier Schritt für Schritt wieder in die Aktivität zu wagen und durch das kreative Tun dem eigenen Schaffen zuzuschauen, das ist gerade für Patient:innen, die in meinem Atelier Kunsttherapie wahrnehmen, ein erster Schritt aus der Depression heraus. Dass sich Patient:innen, die an Depressionen erkrankt sind, dabei in schwarzen und sehr dunklen Tönen mitteilen, ist ein Klischee par Excellence. Sachte, sanfte, sehr zarte Töne, meist pastellig sind häufig zu beobachten. Dieser Anblick des sanften Ausdrucks weckt auch wieder erste zarte Emotionen. Viele meiner Klient:innen nehmen die Kunsttherapie parallel zu einer Psychotherapie wahr: der kreative Ausdruck auf dem Bild mit Farbe und Form unterstützt sie bei ihrem Genesungsprozess.

Im Folgenden stelle ich dir 8 Punkte vor, wie Kunsttherapie bei Depressionen wirkt, und zeige dir konkrete Methoden zur kreativen Anwendung in deiner Praxis.

Bildbeispiele aus dem Atelier von Christina Vedar.

1. Wahrnehmung fördern

Die Sinne wie Hören, Riechen, Schmecken, Sehen und Fühlen sind in einer Depression oft herabgesetzt. In der Kunsttherapie wird die sensorische Wahrnehmung durch das bewusste Nutzen und Aktivieren aller Sinne gefördert. Die Wahrnehmung wird auf das Hier und Jetzt gelenkt, um so das Empfindungsvermögen zu aktivieren und zu steigern. Konkret kann dies durch das Gestalten und Malen mit den Händen geschehen. Das direkte Auftragen der Farben mit den Händen stärkt die sensomotorischen Fähigkeiten und intensiviert das Erleben und Fühlen. Werden Farben mit Duftöl angereichert, kann zusätzlich auch der olfaktorische Sinn einbezogen werden. Zu beobachten, wie die Farben auf dem Untergrund reagieren, wirkt häufig beruhigend und erdend.

2. Ressourcen stärken

Menschen, die an Depressionen erkranken, verlieren oft den Zugang zu den eigenen Ressourcen und Stärken. Kreatives Arbeiten ermöglicht es ihnen, sich im Bild und im Gestalten zu erleben, die eigenen Stärken wiederzuentdecken und Ressourcen zu reaktivieren. Diese Erkenntnisse aus dem kreativen Prozess können Schritt für Schritt in den Alltag integriert werden. Lass deine:n Patient:in doch z. B. mal eine:n Superheld:in kreieren mit all den Stärken, die sie/er sich wünscht wieder erleben zu dürfen.

Frau sitzt auf dem Boden und schaut traurig, vor ihr liegen mehrere Bilder ausgebreitet.

3. Zugang zu den eigenen Gefühlen

In einer Depression ist das Spektrum der Gefühlswelt oft eingeschränkt: Freude kann oft nicht mehr gespürt, Wut und Trauer nicht mehr gelebt werden. Viele nehmen diesen Zustand als „leer“ wahr. Durch Kunsttherapie kann die emotionale Schwingungsfähigkeit erhöht werden. Das Anfertigen abstrakter Bilder und das Auftragen von Farben und Formen auf einer Fläche spricht das innere Gefühlsleben an. Erste Emotionen können wahrgenommen werden. Im weiteren Verlauf kann gemeinsam eine ganze Gefühlsbibliothek erarbeitet werden. Die Patient:innen fertigen eigene Bilder, Formen und / oder Szenen an, mit denen sie ihre Gefühle darstellen können. Das Visualisieren und Externalisieren der Gefühle unterstützt den Zugang und den Wiederaufbau der eigenen komplexen Gefühlswelt.

4. Perspektiven für die Zukunft entwickeln

Depressionen können mit Verlusten (z. B. des Arbeitsplatzes oder einer geliebten Person) sowie negativen Erfahrungen (z. B. der Ablehnung durch die Erkrankung) einhergehen. Gerade die konkrete Auseinandersetzung und das Visualisieren von Wünschen und Perspektiven ist kraftvoll, gibt Zuversicht und kann versöhnend wirken. Zukunftsperspektiven können z. B. durch das Gestalten von Visionsboards erarbeitet und gestärkt werden.

Ineinander gemischte Farben.

5. Aktivierung

Antriebsminderung, Interessensverlust, erhöhte Ermüdbarkeit und Freudlosigkeit sind Leitsymptome einer Depression. Kreativ sein wirkt dem entgegen und fördert die Aktivierung. Um sie nicht zu überfordern, sollten die Klient:innen in kleinen Schritten an das kreative Tun herangeführt werden. Das beginnt in der Therapie z. B. mit dem Ausmalen eines Mandalas, um dann Schritt für Schritt in die eigene Gestaltung und Auseinandersetzung zu kommen.

6. Förderung der Konzentration

Sich auf das kreative Schaffen zu fokussieren, fördert die Konzentrationsfähigkeit, die bei Menschen mit Depressionen häufig herabgesetzt ist. Unabhängig von der Art der kreativen Betätigung ist ein gewisses Maß an Konzentration notwendig. Patient:innen können sich so Schritt für Schritt wieder an längere Konzentrationsspannen heranarbeiten. Durch das spielerische und kreative Arbeiten wird der Arbeitsprozess als angenehm und wohltuend erfahren. Dennoch schildern viele Patient:innen, den Prozess zunächst als anstrengend und erschöpfend zu erleben. Deshalb solltest du deine Patient:innen behutsam im Prozess begleiten.

Bemaltes, zerschnittenes Papier

7. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers

Menschen, die an Depression erkrankt sind, leiden häufig an stundenlangem Grübeln und haben so den Zugang zum eigenen Körper verloren. Sie sind im Kopf und nicht im Körper. Hinzu kommen häufig psychosomatische Beschwerden. Die künstlerische Tätigkeit ermöglicht es Patient:innen, den eigenen Körper wieder zu spüren: die Farbe auf der Hand, die Schwingungen des Körpers beim Malen, der Geruch der Farbe, vielleicht auch die Anstrengung im Körper. Gerade großflächiges Malen ermöglicht Patient:innen, den ganzen Körper einzusetzen, und unterstützt sie, einen Zugang zum eigenen Körper wiederzufinden. Zudem fördert das aktive Malen und Gestalten einen Grübelstopp: es kann nicht gleichzeitig gemalt und gegrübelt werden.

8. Förderung der Eigeninitiative

Das Gestalten eigener Kunstwerke fördert die Eigeninitiative. Was zunächst als stark herausfordernd wahrgenommen wird, muss gut begleitet werden: Über die Kunst wird Schritt für Schritt die Eigeninitiative kreativ geübt.

Das Spüren und Erleben dieser positiven Kraft des Wollens fördert auch die Kraft des Wollens in anderen Lebensbereichen – und so den Genesungsprozess.