Der rollende Coachingraum: Warum wir mehr niederschwellige Angebote brauchen

Britta Cornelißen vor ihrem dunkelgrauen COACHINGVAN

Viel unterwegs sein und dennoch einen Coachingraum haben, das war der Wunsch von Britta Cornelißen. Den Traum hat sie sich mit ihrem COACHINGVAN erfüllt. Ob Coachingsitzung mit Blick in die Natur oder als niederschwelliges Angebot für benachteiligte Studierende auf dem Campus: Mit ihrem COACHINGVAN möchte Britta Coaching aus den verstaubten Büros holen und für alle Menschen zugänglich machen.

Britta, du hast einen COACHINGVAN. Wie kann ich mir das vorstellen?

Mein COACHINGVAN ist ein großer, dunkelgrauer Sprinter – was man sonst von Handwerker:innen kennt. Er ist liebevoll ausgebaut; da haben wir mit einem Tischler-Duo zusammengearbeitet. Der Van ist durch ein Oberlicht wunderbar lichtdurchflutet. Die Fenster an der Seite und hinten sind verdunkelt, sodass du selber rausgucken und den Blick schweifen lassen kannst, man von außen aber nicht reinsehen kann. So hast du beim Coaching deine Privatsphäre. Neunzig Prozent der Zeit bin ich remote von zuhause tätig. Aber im Grunde kann ich für eine Coachingsitzung überall hinfahren, ganz egal wohin. Auf den Waldparkplatz, mit Blick auf den Rhein… da, wo es den Klient:innen passt oder mir.

Wie bist du zu der Idee gekommen?

Corona war ausschlaggebend. Wir hatten auch schon vor Corona einen Van, mit dem wir aber nur privat unterwegs waren. Ich wollte immer mein eigenes Büro haben, aber gleichzeitig konnte ich mir nie vorstellen, dass das ein fester Ort ist. Wir sind als Familie super gerne unterwegs, mein Mann ist auch remote tätig und wir wollten von überall arbeiten können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist mir wichtig. So kamen wir auf die Idee, einen mobilen Arbeitsort zu schaffen. Jetzt habe ich mein flexibles Büro  oder auch meinen rollenden Coachingraum.  

Also nutzt du den Van als mobiles Büro, aber auch als Raum, in den Klient:innen kommen können?

Genau. Wenn ich zum Beispiel unterwegs bin, sagen wir mal für einen Auftrag in Münster und der geht nur einen halben Tag, kann ich trotzdem noch dortbleiben und online coachen, sodass ich keinen Stress habe, rechtzeitig meinen Termin wahrzunehmen. Ich fahre dann erst abends zurück. Ich habe in dem Van schon Coachings, Seminare und Vorträge abgehalten.  

Oder ich treffe mich mit Klient:innen an einem schönen Ort. Ich finde, grade Coaching muss man aus dieser verstaubten Büro-Ecke rausholen. Im Sinne der Attention Restauration Theory: Du schaust raus, lässt den Blick schweifen und dein Gehirn kann so noch effizienter fokussieren und Entscheidungen treffen. Aber gleichzeitig erholt es sich, weil du in die Natur blickst.  

Du verabredest dann mit deinen Coachees, z. B. die nächste Sitzung im Van in der Natur zu machen? 

Das ist natürlich nicht für jeden was, genauso wie Walking- oder Outdoorcoaching. Da muss man einfach gucken, ob das zu den Klient:innen passt und sie sich das vorstellen können. Ansonsten biete ich Coachings auch ganz normal in Büroräumen vor Ort, in Co-Working-Spaces oder remote von zuhause an. Je nachdem, woher die Klient:innen kommen, ist Remote-Coaching häufig die erste Wahl. Ich habe deutschlandweit Anfragen und kann natürlich auch im Sinne der Nachhaltigkeit nicht für ein Einzelcoaching mal eben nach Stuttgart fahren. Den Bedarf könnte ich gar nicht abdecken, wenn immer noch Fahrzeiten dazu kämen. Aber wenn es sich räumlich anbietet, erzähle ich von der Option. Viele Klient:innen lesen davon auch auf meiner Website und kommen genau deswegen zu mir. Entweder weil sie ohnehin gerne Zeit draußen verbringen oder weil sie den ganzen Tag im Büro sitzen und sich über die Option freuen, mit der Coachingsitzung im Van mal rauszukommen. 

Britta Cornelißen und ein Klient sitzen in ihrem Coaching-Van

Wie ist es für dich, mit deiner Arbeit immer woanders zu sein? 

Ich finde das sehr schön. Ich bin gerne unterwegs und habe mit dem Van auch mein eigenes Zuhause dabei. Im Januar und Februar war ich viel unterwegs und könnte mir da nicht vorstellen, immer in irgendeinem anderen Hotel einzuchecken. Für mich persönlich ist es im Van komfortabler. 

Wie organisierst du dich auf engem Raum? Dein Van ist ja Büro, Coachingraum, Übernachtungsmöglichkeit…

Es ist genug Platz. Das Bett kann man komplett zurückbauen, sodass man davon nichts mehr sieht. Wenn ich Mann und Kind dabeihabe, muss ich mich etwas organisieren und dann finden währenddessen natürlich auch keine Coachings statt. Aber wir verbringen gerne Zeit zusammen und können auch auf engem Raum gut zusammenleben. Ich kann im Van natürlich keinen riesigen Workshop abhalten. Aber man kann die vordere Sitzbank komplett umdrehen und dann könnten wir da rein theoretisch mit fünf Leuten für ein Teamcoaching sitzen. 

Du stehst mit deinem Van demnächst auch auf einem Campus im Ruhrgebiet und coachst Studierende. Kann dann einfach jede:r auf dich zukommen? 

Das ist mit der Westfälischen Hochschule, Campus Gelsenkirchen von der Gleichstellung organisiert. Ich bin dort seit 2019 als Speakerin zu Themen wie Female Leadership und Persönlichkeitsentwicklung. Es gibt aber immer wieder Themen, die kann oder möchte man nicht in einem großen Seminarrahmen ansprechen. Daher organisieren wir nun ein Coaching-Angebot für Studentinnen, Trans-Studierende, Studierende mit Migrationshintergrund, Behinderungen oder chronischen Erkrankungen  also für marginalisierte Gruppen , um in einem Safe Space über Herausforderungen des Studiums oder des Lebens zu sprechen. Interessierte können sich bei der Gleichstellung melden. Wir sammeln die Anfragen und schauen, welche Termine ich anbiete  je nachdem, wie der Rücklauf ist, einen ganzen Tag oder mehrere Tage. Wenn dann noch Termine frei wären, könnte man sich auch spontan einbuchen.  

Das Angebot ist wirklich niederschwellig. Jede Hochschule bietet psychologische Betreuung für Studierende oder arbeitet mit Stellen von der Stadt zusammen, aber ganz viele Studierende wissen das gar nicht. Ich habe oft die Herausforderung, dass ich Studierende weiterleiten muss, wenn es z. B. um Themen geht, die ich in einem einzelnen Workshop nicht bedienen kann. Vielen ist das dann neu. Psychologische Betreuung löst bei manchen auch noch immer Hemmungen aus. Bei mir steht da halt so ein Van, dezent beschriftet und ich glaube, das ist für die Zielgruppe ganz cool.  

Kommt es auch mal vor, dass du im Rahmen solcher niederschwelligen Angebote deine Coachees nur ein- oder zweimal siehst? 

Das könnte rein theoretisch vorkommen, aber sie kriegen immer ein gewisses Kontingent. Es kommt natürlich auch auf das Coachingthema an. Wenn z. B. eine Doktorandin kurz vor der Disputation steht und sich darauf vorbereiten möchte, sind in der Regel nicht so viele Sitzungen nötig. Aber viele Klient:innen betreue ich inzwischen über den zweiten Jahreswechsel hinweg.  

Wenn sie dich auf dem Campus kennenlernen und mit dir weiterarbeiten wollen, könntet ihr danach dann remote weiterarbeiten? 

Genau. Entweder wir arbeiten remote weiter oder ich bin ohnehin öfter vor Ort.    

Warum sind niederschwellige Coachingangebote wie dein COACHINGVAN so wichtig?

Professionelles Coaching wird häufig mit so einer bestimmten Management-Ebene verknüpft. Das ist eine sehr privilegierte, kleine Zielgruppe. Ich bin sehr interessiert an Lebensläufen und individuellen Geschichten. Ich freue mich, Menschen unterstützen zu können und möchte es gerne allen Menschen zugänglich machen. Christopher Peterson, einer der Mitbegründer der Positiven Psychologie, hat so sinngemäß gesagt: We all struggle, but the goal is to struggle well. Wir haben alle Probleme und da finde ich es super schade, dass Angebote nur ab einer bestimmten Gehaltsklasse zur Verfügung stehen sollen. Wir alle müssen resilient sein. Wir alle müssen die Fähigkeit haben, Herausforderungen in unserem Leben gut zu bewältigen. Aber manchmal sind es auch Probleme, die nicht pathologisch sind, mit denen man nicht zur Psychotherapeut:in geht. Da jemanden zu finden, der sich wirklich ohne Vorurteile Zeit nimmt, ist schwierig. Es ist für Laien auch oft schwierig, seriöses Coaching zu erkennen. 

Eine Person hält ein paar Münzen auf der Handfläche, die sie aus einer umgekrempelten Hosentasche gefischt hat.

Im Verlauf meiner Arbeitswoche kann es sein, dass ich Anfang der Woche eine alleinerziehende Mutter in Arbeitslosigkeit coache und drei Tage später eine:n Geschäftsführer:in. Das macht es für mich spannend. Diversity und Gleichstellung sind so wichtige Themen. Wenn ich jetzt nur noch mit einer bestimmten Menschengruppe zusammenarbeite, würde ich vielleicht den Blick für die Bedürfnisse und Belange anderer Gruppen verlieren.  

Wie findest du da eine Balance, deine Coachings so zu bepreisen, dass es sich möglichst viele Gruppen leisten können, es aber dennoch wirtschaftlich bleibt?  

Das ist tatsächlich mein tägliches Dilemma. Ich arbeite im Bereich der Frauenförderung und in der Gleichstellung marginalisierter Gruppen, aber niemand möchte dafür viel Geld ausgeben. Ich bin da sehr transparent. Ich orientiere mich am durchschnittlichen Coachinghonorar und je nachdem, was ich für einen Menschen vor mir sitzen habe, und wenn ich merke, Geld ist ein Thema, sage ich: „Überlege es dir. Das ist mein Durchschnittspreis. Ich bin offen für dein Angebot.“ Klar, wenn ich da Doktorand:innen oder Student:innen sitzen habe, kann ich nicht mit dem Höchstsatz um die Ecke kommen. Ich versuche, jedem gerecht zu werden, aber natürlich muss ich auch schauen, dass ich wirtschaftlich bleibe. 

Welche Visionen und Wünsche hast du für die Zukunft? 

Meine Vision ist es, Gleichstellung, Diversität und Female Empowerment in der Gesellschaft nachhaltig zu verankern und nachhaltig positive Veränderungen herbeizuführen. Ich würde am liebsten alle Gendergaps schließen, sodass Dinge wie Frauenquote und Förderung marginalisierter Gruppen überhaupt kein Thema mehr sein müssen. Aber solange das nicht so ist, gibt es viel zu tun und das motiviert mich für meine tägliche Arbeit.  

Für den Coachingmarkt würde ich mir wünschen, dass mehr Aufklärungsarbeit stattfindet. Es gibt unzählige Coach:innen in Deutschland. Irgendwann habe ich mal die Zahl 8.000 gehört… aber das ist Jahre her und die Zahl ist seitdem deutlich gewachsen. Es ist kein geschützter Beruf, d. h. es kann jede:r machen. Es wäre wichtig, dass man wirklich seriöse Coach:innen mit einer guten, wissenschaftlich fundierten Ausbildung von anderen unterscheiden kann. Ich sehe aber auch, dass sich da schon vieles tut.  

Vielen Dank für das Gespräch, Britta! 

 

Über Britta Cornelißen:  

Britta Cornelißen ist Wirtschaftspsychologin, Coachin, Trainerin und Gründerin des COACHINGLAB745 in Düsseldorf. In ihrer Arbeit integriert Britta aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aus Coaching, der Positiven Psychologie, der Angewandten Psychologie und Nachbardisziplinen. Britta ist remote tätig und deutschlandweit mit ihrem COACHINGVAN unterwegs. Für diesen wurde sie von der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen mit dem Innovationspreis „Westfälische Erfinderinnen“ ausgezeichnet. Britta hat einen Lehrauftrag als Dozentin für Coaching an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ganz besonders liegen ihr die Themen Gleichstellung, Diversität und (female) Empowerment am Herzen. 

Mehr Infos findest du auf: https://coachinglab745.de/