Der Umgang mit „Gewohnheitsenergie“: Heute so handeln, wie du morgen werden willst

Eine Reihe von aufgestellten Dominosteinen, die von rechts nach links kippen. Eine Frau hält in der Mitte ihre Hand in die Reihe und stoppt das Kippen.

Wir alle kennen sowohl bei uns als auch bei unseren Patient:innen vielfältige dysfunktionale Denk- und Verhaltensmuster. Diese sind vor dem Hintergrund unserer langjährigen „Gewohnheitsenergien“ verständlich, wir haben sie uns in ihrer Entstehung nicht ausgesucht. Dieser Gedanke kann entlastend sein, entbindet uns und unsere Patient:innen jedoch nicht von der Verantwortung, uns zu fragen: Wie will ich mit diesem Muster in Zukunft umgehen? 

Als ich vor einigen Tagen erneut in ein altes, dysfunktionales Schema „tappte“, stand ich innerlich vor der altbekannten Wahl, vor der viele unserer Patient:innen stehen und die vielleicht auch du kennst: 

  1. mich nach dem ersten Schreck beklagen und selbst beschuldigen 
  2. oder die Tatsache, „an den Haken“ gegangen zu sein, annehmen und es besser machen. 

Wieso tappen wir in alte Muster? 

Doch Halt! Vorher können wir uns einen Moment Zeit nehmen – vielleicht auf einem Spaziergang oder im Gespräch mit einer Vertrauensperson – zu verstehen, warum wir immer wieder in alte Muster „verfallen“. Meine Erfahrung ist, dass diese gewohnten, so oft im Gehirn gebahnten und verknüpften Autopilot-Mechanismen meist sogar über Jahrzehnte entstanden sind. Warum? Weil ebenjene dysfunktionalen Strategien erlernt sind, da auch unsere Rollenmodelle sie über viele Jahre „praktiziert“ und sie bewusst oder (meist) unbewusst an uns weitergegeben haben. Wir haben sie immer wieder beobachtet und so diese alten Muster übernommen. Wir konnten noch nicht zwischen dysfunktionalen, aber (leider) kurzfristig wirksamen Strategien (zu viel Konsum von…) oder gesunden Strategien unterscheiden, diesen Entwicklungsschritt in Sachen Differenzierung konnten wir als Kind noch nicht leisten. Doch nun als Erwachsene sind wir mehr und mehr dazu in der Lage. Auch wenn - dies macht die Tücke der Muster und ihre Aufrechterhaltung ja meist aus - sie eben kurzfristig Erleichterung, Belohnung, Spannungsabbau (Wutausbruch) oder Schutz (wie beim Rückzug) bieten. 

Im Hier und Jetzt andere Wege gehen 

Kennst du diesen kurzen inneren Moment, in dem wir uns als nun Erwachsene entscheiden können, wie wir reagieren? Ob wir der Versuchung bzw. der „Gewohnheitsenergie“ erliegen, so wie sonst auch – quasi auf Autopilot – zu handeln? 

Ein Mann sitzt mit Kaffeebecher in der Hand und aufgestütztem Kopf missmutig am Schreibtisch

Genau genommen möchte ich heute über die beiden Momente schreiben, in denen wir die Wahl haben: 

  1. Den Moment der aktuellen Situation, in dem mein Verhalten sichtbar wird: Wie spreche ich mit meinem Freund, anstatt mich zurückzuziehen? Esse ich noch ein zweites oder drittes Stück Kuchen, aus Kummer? Oder tröste ich mich auf eine gesündere Art? Prokrastiniere ich oder nicht?  
  2. Sowie den Moment „danach“, wenn ich prokrastiniert habe, anstatt endlich meinen Papierkram erledigt zu haben. Wie bewerte ich mich, wenn es doch nochmal wieder „Schema F“ geworden ist? 

Heute Morgen entschied ich mich für eine Akzeptanz, erneut wie oft gehandelt zu haben, und sparte so viel Energie für den ganzen Tag. Und versuchte es besser zu machen. 

In diesem Artikel möchte ich dir einige Werkzeuge in Erinnerung rufen, die du für dich oder mit deinen Patient:innen bzw. Klient:innen ausprobieren kannst: 

  • Akzeptiere, wenn du deinen Schemata erneut – wie beim Angeln – „an den Haken“ gegangen bist. Das passiert wirklich jedem Menschen immer wieder. Versuche wirklich eine Art „Ja, das ist jetzt halt so“ – Haltung einzunehmen, dich zu entspannen und vielleicht sogar kopfschüttelnd zu schmunzeln, wie hartnäckig manche Themen doch sind 
  • Spüre nach, was genau du besser machen möchtest. Welche inneren Bilder der Situation kommen auf, wenn du dir ein reiferes, erwachseneres, funktionaleres Verhalten deiner Selbst vorstellst? Achtung: Es geht mir hier nicht um Perfektion oder eine never-ending-Selbstoptimierung. Sondern um kleine, konkrete Verhaltensänderungen. Den Berg an Papieren nach Prioritäten ordnen und dann erst einen Teil davon erledigen. Ein Stück Kuchen essen, ja, und dann schnell eine große Tasse Tee trinken - am besten weit weg vom Rest des Kuchens, um Zeit (und Stimulus- wie Impulskontrolle) zu schaffen. 
  • Tue Dir Gutes, gerade nach dem Hineintappen in alte Muster. Behandle Dich nachsichtig. Wir alle sind auf dem Weg und keiner kann perfekt sein! Vielleicht brauchst du Ruhe, Schlaf, ein gutes Gespräch, um deinen Kopf zu entlasten. Es könnte sein, dass dein Körper ein sehr guter Resonanzboden dafür ist, was du jetzt brauchst, um so gestärkt und resilienter gegenüber den Anforderungen des Alltags zu sein. 

Das Wichtigste zum Schluss: Probiere diese Schritte wirklich einmal eine Woche lang aus. Vielleicht mit einem Reminder am Küchenschrank? Akzeptiere – spüre nach – tu dir Gutes. 

Zum Weiterlesen: 
(Werbung) Pigorsch, B. (2023). Freundschaft mit dem inneren Kritiker schließen. Kompetenz!Box Persönlichkeitsentwicklung. Paderborn: Junfermann.