„Wer dem Hindernis ins Gesicht sieht, versteht, wie es überwunden werden kann“

Ein junger Mann springt über einen Zaun.

Tagtäglich verfolgen wir Ziele, große und kleine, kurz- und langfristige – und nicht immer sind wir erfolgreich dabei. Prof. Dr. Gabriele Oettingen spricht im Interview über die von ihr entwickelte Methode „WOOP“, die dabei hilft, Wünsche zu erkennen, Hindernisse zu überwinden und Ziele schneller zu erreichen.

Frau Professorin Oettingen, Sie sagen, dass positives Denken auf dem Weg zum Ziel hinderlich sein könne. Wie ist das gemeint?

Positives Denken gilt oft als der goldene Weg. Das stimmt, wenn wir kurzfristig unsere Stimmung aufhellen oder die Möglichkeiten der Zukunft mental explorieren wollen. Aber allein sind positive Zukunftsfantasien ein Hindernis für die tatsächliche Zielerreichung: Je positiver übergewichtige Personen über ihren Erfolg beim Abnehmen fantasierten, desto weniger Gewicht hatten sie nach drei Monaten bzw. einem oder zwei Jahren verloren. Je positiver Hochschulabsolvent:innen über ihren Start ins Berufsleben fantasierten, desto weniger verdienten sie zwei Jahre später. Und je positiver Leute über die Zukunft fantasieren, desto weniger depressive Stimmungen haben sie im Moment – aber über die Zeit werden sie depressiver.

Grund dafür ist, dass sich Menschen mit positiven Zukunftsfantasien schon angekommen wähnen, weil die mentale Vorstellung so stark ist, sodass man sich entspannt, der Blutdruck sinkt und mit ihm die Energie. Das ist problematisch, weil es meistens Energie und Anstrengung braucht, um Wünsche umzusetzen.

 

Sollte man positive Zukunftsfantasien also unterlassen?

Nein, denn sie sind Ausdruck unserer unbefriedigten Bedürfnisse, sie geben dem Handeln die Richtung vor. Damit positive Zukunftsfantasien aber nicht unsere Energie kappen, werden sie bei WOOP zwar beibehalten, jedoch komplementiert mit einem Schuss Realität, nämlich indem wir uns nach Hindernissen auf dem Weg zum Ziel fragen. Wer dem Hindernis ins Gesicht sieht, versteht, wie es überwunden werden kann.

Dabei geht es um Hindernisse in uns selbst. Wir können weder die Welt kontrollieren noch die Vorgesetzten oder die eigene Familie. Da wir aber uns selbst kontrollieren und verändern können, sollten wir ein inneres Hindernis, z. B. eine Überzeugung, eine Emotion oder eine Gewohnheit, wählen. Die Gegenüberstellung der richtungsweisenden Zukunftsfantasie mit dem Hindernis erzeugt die notwendige Energie, da wir erkennen, dass wir noch nicht am Ziel sind.

 

Dieser Abgleich von Wunschvorstellung und Realität wird als „mentale Kontrastierung“ bezeichnet. Inwiefern ist WOOP eine Erweiterung dieses Konzepts?

WOOP steht für „Wish“, „Outcome“, „Obstacle“ und „Plan“. Die mentale Kontrastierung beinhaltet nur WOO, also keine Plan-Komponente. Man hat einen Wunsch (Wish), man stellt sich die Konsequenzen bei Erfüllung dieses Wunsches vor (Outcome) und antizipiert Hindernisse, die in der eigenen Person liegen (Obstacle). Bei schwer zu überwindenden Hindernissen, etwa starken Impulsen oder Emotionen, ist es hilfreich, einen Plan hinzuzufügen (Plan). Solche Pläne formuliert man im Wenn-dann-Format: Wenn das Hindernis auftaucht, dann verhalte ich mich so und so. Dies stärkt die Verbindung zwischen Hindernis und Verhalten.

Eine Frau sitzt mit Bauhelm und Stift an einem Tisch und blickt sinnierend in die Luft.

Auf dieser kognitiven Ebene wird sowohl der Outcome mit dem Obstacle eng verbunden als auch das Hindernis mit dem Verhalten, um dem Hindernis beizukommen. Dadurch entstehen implizite Assoziationen, deretwegen man, sobald das Hindernis auftaucht, automatisch handelt. Ein weiterer kognitiver Prozess ist die Neubewertung der Realität: Die Einladung zur Party ist nicht mehr bloß eine Einladung, sondern auch ein Hindernis, eine Deadline einzuhalten.

Auf motivationaler Ebene ist zu beobachten, dass WOOP neue Energie erzeugt, was sich erneut per Blutdruck messen lässt. Man fühlt sich bereit und kann – das ist die Rückmeldungsebene – Kritik besser verarbeiten, weil der Fokus auf dem Wunsch und Hindernis liegt und nicht auf der Bewertung der eigenen Kompetenz.

Die mentale Kontrastierung ist also zwar eine bewusste Imaginationsübung, aber sie hat nicht bewusste Konsequenzen: kognitive, motivationale und rückmeldungsbezogene Prozesse. Diese gehen direkt in die Verhaltensänderung ein. Anders als bei den meisten anderen Interventionsstrategien setzt WOOP beim Verhalten an, und nicht indirekt bei der Selbstwirksamkeit. Erst im Nachgang der Verhaltensänderung wächst das Selbstvertrauen, wenn ich es z. B. schaffe, die Party früher zu verlassen, um meinen Bericht zu schreiben. Wir wollen also nicht zunächst die Einstellung oder das Selbstbild einer Person verändern – das passiert automatisch, wenn sie ihr Verhalten ändert.

 

Wie geht man mit scheinbar unüberwindbaren Hindernissen um?

Man kann den Wunsch anpassen, ihn auf später verschieben oder ihn loslassen. Ob es an der Zeit ist, einen Wunsch wegen übermäßiger Hindernisse loszulassen, entscheidet man für sich individuell: Solange ich z. B. davon überzeugt bin, etwas nicht zu können, werde ich es trotz Zuspruchs von außen auch nicht schaffen. Erst wenn ich mich mit dem Hindernis auseinandersetze, kann ich die Irrationalität meiner Überzeugung, inkompetent zu sein, erkennen und mein Verhalten ändern, wodurch auch meine Selbstwirksamkeit steigt.

 

Was ist beim ersten Schritt von WOOP, der Wunschformulierung, zu beachten?

Wählen Sie einen Wunsch, dessen Erfüllung Sie sich zutrauen, auch wenn es herausfordernd ist. Eventuell stellt man im Laufe des WOOP-Prozesses fest, dass ein Wunsch nicht erreichbar ist, weil er jenseits der eigenen Kontrolle liegt, beispielsweise wenn man sich das Ende der Pandemie wünscht. Dann sollte man nachbessern und einen Wunsch generieren, den man potenziell erfüllen kann, z. B. Verwandte und sich selbst zu schützen.

 

Spielen für die Wirksamkeit von WOOP die Kultur oder persönliche Eigenschaften eine Rolle?

Unsere Studien haben bisher keinen nennenswerten Einfluss von Persönlichkeit, Alter, Kultur, Herkunft oder kognitiven Kapazitäten auf den Erfolg von WOOP gefunden. WOOP ist eine Imaginationsübung, die auch Zweitklässler:innen und Schlaganfallpatient:innen gelingt und in Europa und den USA zu ähnlichen Ergebnissen führt.

Über einer Straße, auf der sich Fußgänger und Fahrradfahrer bewegen, sind zwischen den Häusern bunte Schirme aufgespannt.

Nichtsdestotrotz beeinflusst die Kultur die Erfüllbarkeit unserer Wünsche. Vergleichsweise einfach ist es, wenn ein Wunsch in den kulturellen Kontext passt, beispielsweise der Wunsch nach persönlichem Erfolg in einer individualistischen Kultur. Habe ich aber in einer individualistischen Kultur einen sehr kollektivistischen Wunsch, dann können Hindernisse auftauchen, die mit der individualistischen Kultur zusammenhängen. Möchte ich etwa eine Großfamilie haben, werden in meinem Umfeld wahrscheinlich mehr Hindernisse wie Kritik oder mangelnde Unterstützung auftauchen als in einer kollektivistischen Kultur. Mithilfe von WOOP kann ich erkennen, wann meine Wünsche gegen die Kultur gehen, sodass ich mich für meine Kultur oder meinen Wunsch entscheiden muss. Hier gilt es, abzuwägen und sich den Outcome vor Augen zu führen, um sich für den einen oder anderen Wunsch zu entscheiden.

Der Outcome-Baustein von WOOP ist folglich auch eine Überprüfung des Wunsches. Daher wird WOOP unwirksam, wenn die Schritte „Outcome“ und „Obstacle“ vertauscht werden, wir uns also nach Hindernissen befragen, ohne uns die Konsequenzen vor Augen geführt zu haben.

 

Wo finden Menschen, die WOOP ausprobieren möchten, Informationen und Anleitungen?

Auf der Webseite „woopmylife“ erhalten Interessierte kostenlos das WOOP-Manual sowie Videos, Audios und die WOOP-App. Wer noch mehr über die Methodik und den wissenschaftlichen Hintergrund wissen möchte, kann das Buch „Psychologie des Gelingens“ lesen.

 

Können auch Paare oder Gruppen WOOP nutzen?

Diese Frage ist noch nicht im Detail geklärt, aber zweifelsohne lässt sich WOOP in Gruppen wunderbar einsetzen. Jedes Gruppenmitglied kann sich einen Wunsch für die Gruppe überlegen, z. B. bessere Kommunikation oder mehr Harmonie. Anschließend werden die Wünsche besprochen, und es wird ein gemeinsamer Wunsch extrahiert. Auch den Outcome kann man in der Gruppe diskutieren.

Anschließend setzt man sich individuell mit den persönlichen Hindernissen auseinander: Was steht mir im Wege, mich für dieses Gruppenziel zu engagieren? Für den einen sind es vielleicht Selbstzweifel, für die andere die Abneigung gegen ein Gruppenmitglied. Für diese persönlichen Hindernisse entwickelt man Pläne. So funktioniert WOOP wirklich gut, denn die Leute haben gemeinsame Ziele, nähern sich diesen jedoch individuell an.

Eine Gruppe junger Leute steht mit Block und Stift bzw. Laptop beieinander und überlegt.

Wenden Sie WOOP selbst an?

Ja, natürlich! Ohne WOOP hätte ich nie die Website erstellen, die App entwickeln oder das Buch über WOOP schreiben können. Tagtäglich nutze ich WOOP für die großen und kleinen Dinge im Leben. Das hilft mir, den Tag zu strukturieren, da nachzulegen, wo ich zu wenig mache, und dort runterzunehmen, wo ich zu viel mache. Auch kann ich mit WOOP prüfen, ob ich noch hinter einem Wunsch stehe oder ob ich meine Energie im Moment für etwas anderes einsetzen möchte. WOOP ist mir zu einer Gewohnheit geworden, die mich in der Früh maximal zehn Minuten kostet.

Wer WOOP regelmäßig betreibt, kann schrittweise persönliche Baustellen abbauen. Das kann Monate dauern, man braucht wirklich Geduld, aber es lohnt sich langfristig. WOOP ist wie Fahrradfahren, man muss es lernen und intensiv üben, dann gelangt man überall hin – auch in Stresszeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Wir sprachen mit:

Prof. Dr. Gabriele Oettingen arbeitet seit 2002 als Professorin der Psychologie an der New York University. Zuvor hat sie u. a. an der Universität Hamburg gelehrt und geforscht. Auf Basis der mentalen Kontrastierung hat sie WOOP entwickelt, ein Tool zur Selbstregulation auf dem Wege der Zielerreichung.

Dieses Interview ist eine gekürzte Version des ursprünglich im report psychologie erschienenen Interviews: „Wer dem Hindernis ins Gesicht sieht, versteht, wie er es überwinden kann“, report psychologie, 1/2023, S. 10-12.

 

Zum Weiterlesen

[Werbung] Oettingen, Gabriele (2017). Die Psychologie des Gelingens. München: Droemer.