Was die Forschung über Therapiebeziehung weiß - und wie du‘s in der Praxis umsetzt

Eine Mann und eine Frau sitzen sich auf zwei Stühlen direkt gegenüber, er sieht sie kritisch an, sie schaut zur Seite.

Die internationale Psychotherapieforschung umfasst mehrere hunderttausend Studien. Über vieles sind sich Forschende (noch) nicht einig, aber eines ist wissenschaftlich inzwischen ganz klar: Für den Outcome der Therapie sind die Mitwirkung der Patient:innen und die Therapiebeziehung entscheidend. Die wichtigsten Erkenntnisse der Forschung und was sie für deine Praxis bedeuten, findest du in diesem Artikel.

Therapeut:innen und Patient:innen erfreuen sich in Deutschland eines weltweit einmaligen Privilegs: Die Kosten für bis zu 100 Therapiestunden werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen zu 100 Prozent bezahlt. Heute kaum mehr bekannt ist, dass bis 1967 psychotherapeutische Leistungen keine Kassenleistung waren. Erst eine Studie, die Annemarie Dührssen in den 1960er Jahren an der Berliner AOK-Poliklinik mit über Tausend Patient:innen durchführte, konnte die Wirksamkeit und die wirtschaftlichen Vorteile von Psychotherapie eindrucksvoll nachweisen. Die Vertreter:innen der Krankenkassen und der Ärzteschaft stimmten schließlich zu, Psychotherapie in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen (Dührssen, 1962; Dührssen & Jorswieck, 1965).

Inzwischen umfasst die internationale Psychotherapieforschung viele hunderttausende von Studien. Welche Therapieform bei welchem Krankheitsbild auf welche Weise wirkt, ist ebenso umstritten wie die angemessenen Forschungsmethoden. Außerdem ist die Psychotherapieforschung nicht frei von wirtschaftlichen und berufspolitischen Interessen. Doch bei allen Problemen und Differenzen gibt es unter Psychotherapieforschenden auch Einigkeit hinsichtlich einer Reihe wichtiger Erkenntnisse. Diese lassen sich in deiner täglichen Arbeit mit Patient:innen nutzbringend und ohne großen Aufwand umsetzen.

 

Das Outcome der Therapie hängt wesentlich von den Patient:innen ab

Die Zeiten, in denen sich die Vertreter:innen der Therapieschulen erbittert über das bessere Verfahren (natürlich das eigene) stritten, liegen noch gar nicht so lange zurück. Psychotherapieforschende haben diesem Streit ein Ende gesetzt und klar gemacht: Bei der Wirksamkeit von Psychotherapie kommt es, wenn überhaupt, nur wenig auf die speziellen Theorien, Techniken und angewandten Methoden an. Am stärksten hängt der Erfolg einer Therapie von den betroffenen Patient:innen ab, z. B. von der Schwere der Störung, der Motivation oder auch der Unterstützung, die sie aus ihrem sozialen Umfeld bekommen. Auch die Fähigkeiten der Patient:innen, sich auf Beziehungen einzulassen oder ein zentrales Problem zu identifizieren, spielen eine wichtige Rolle (Lambert & Anderson, 1996; Lambert & Asay, 1984).

Kein Faktor korreliert stärker mit einem positiven Therapieergebnis als die Offenheit, das Engagement und die Mitwirkung der Patient:innen im Therapieprozess (Kolb et al., 1985; Garfield, 1994; Orlinsky, Grawe & Parks, 1994).

Die aktive Teilnahme der Patient:innen in der Therapie gilt als wichtiger Prädiktor für das Therapieergebnis (Gomes-Schwartz, 1978; O’Malley, Suh & Strupp, 1983; Windholz & Silberschatz, 1988). Bleibende psychotherapeutische Behandlungserfolge stellen sich vor allem bei jenen Patient:innen ein, welche die Veränderungen in der Therapie (offensichtlich zu Recht) ihren eigenen Bemühungen zuschreiben (Asay & Lambert, 2001). Jede Veränderung im Verlauf einer Therapie ist vor allem eine Selbstveränderung der Patient:innen (Prochaska, DiClemente & Norcross, 1992), für die der/die Therapeut:in allenfalls günstige Bedingungen herstellen kann.

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und blickt abwehrend zur Seite.

Traditionelle Psychotherapiemodelle, die Patient:innen noch als Empfänger:innen spezifischer therapeutischer Interventionen sahen, sind überholt. Psychotherapie-Patient:innen sind in der Regel überaus aktiv und erfindungsreich dabei, das Therapieangebot in ihrem Sinn zu nutzen und das Beste daraus zu machen. Nach außen beugen sie sich den Wünschen der Therapeut:innen, bilden sich aber letztlich ihre eigene Meinung (Rennie, 1990; Tallmann et al., 1994).

 

Welche Konsequenzen hat das für deine Arbeit?

Psychotherapie muss vor allem die Ressourcen der Patient:innen und ihres Umfeldes optimal nutzen. „In dem Augenblick, in dem sich Therapeut:innen mehr auf die Ressourcen der Klient:innen stützen, scheint mehr Veränderung zu passieren“ (Bergin & Garfield, 1994).

Stärke das Vertrauen deiner Patient:innen in ihr eigenes Selbstheilungspotenzial. Ermutige sie, ihre Ressourcen auszuschöpfen. Schreibe günstige Veränderungen, wenn immer möglich, deinen Patient:innen, ihren Fähigkeiten und den Qualitäten ihrer sozialen Unterstützungssysteme zu.

 

Die Bedeutung von Therapiebeziehung und positiven Erwartungen

Kaum eine Therapeut:in oder Psychotherapieforscher:in würde heute noch bestreiten, dass die Qualität der Therapiebeziehung einer der wichtigsten Wirkfaktoren ist. Das Beste an diesem Wirkfaktor ist, dass du ihn durch deine innere Haltung und dein interaktives Verhalten direkt beeinflussen kannst (vgl. Bachelor, 1991; Horvath, 1995; Krupnik et al., 1996; Orlinsky, Grawe & Parks, 1994). Entscheidend aber ist, was deine Patient:innen selbst als hilfreich empfinden. Es sind meist die Zeit und die Gelegenheit, dass sich deine Patient:innen auf sich selbst fokussieren und über sich selbst sprechen können. Dass sie anders als in ihrem Alltag jemanden haben, der ihnen zuhört, sich um sie kümmert, sie versteht und sie emotional entlastet (Phillips, 1984; Elliott & James, 1989).

Die überragende Bedeutung der Therapiebeziehung und des therapeutischen Bündnisses wurde immer wieder bestätigt (z. B. Martin, Garske & Davis, 2000; Norcross, 2011; Zuroff & Blatt, 2006). Adam Horvath identifizierte das Therapiebündnis als eine der zuverlässigsten Wirkungsvariablen eines positiven Outcomes von Psychotherapie (Horvath et al., 2011). 30 Prozent der Ergebnisvarianz von Psychotherapie können allein auf die Qualität der Therapiebeziehung zurückgeführt werden. Sie lässt sich über Variablen wie Empathie, Wärme, Akzeptanz und Bestätigung definieren.

Wichtig sind auch die positiven Erwartungen der Patient:innen (Lambert, 1992). Wenn deine Patient:innen die Beziehung mit dir positiv erleben, haben sie mehr Hoffnung, mit deiner Hilfe ihre Ziele zu erreichen. Ihre positive Erwartung beeinflusst wesentlich, wie stark sie sich in die therapeutische Arbeit einbringen. Und die Eigenarbeit deiner Patient:innen ist wie erwähnt entscheidend für den Erfolg der Psychotherapie.

Die positive Erwartung deiner Patient:innen, dass ihnen die Therapie bei dir helfen wird, steigt, wenn du ihnen dein therapeutisches Vorgehen aufbauend auf ihren vorhandenen Annahmen über ihre Probleme und den Behandlungsprozess erklären kannst (Crane, Griffin & Hill, 1986). Wenn deine Patient:innen gut verstehen und einsehen, was in der Psychotherapie bei dir passiert, sinkt auch das Risiko, dass sie die Therapie vorzeitig beendigen (Tracey, 1988). Sie sind wahrscheinlich zufriedener und tragen im Therapieprozess mehr zur Veränderung bei als Patient:innen, deren Vorstellungen über die Ursachen ihrer Probleme von deinen abweichen (Claiborn, Ward & Strong, 1981).

Ein junger Mann liegt auf der Couch und schildert einer Therapeutin etwas, die sich Notizen macht.

Der Psychotherapieforscher Klaus Grawe (2004) plädierte dafür, Patient:innen durch möglichst viele befriedigende Erfahrungen in der Therapie für therapeutische Interventionen optimal zu öffnen. Beispielsweise müssten Angstpatient:innen in der Therapiebeziehung positive Kontrollerfahrungen machen, vor allem dadurch, dass das therapeutische Vorgehen für sie transparent ist und sie Selbstwirksamkeit erleben können. Es wäre ganz im Sinne von Grawe, wenn du deine Patient:innen in alle deine therapeutischen Schritte und Entscheidungen einbeziehst sowie auf ihre Initiativen und Vorschläge eingehst. Lasse deine Patient:innen in möglichst jeder Therapiesitzung ihre eigenen Fähigkeiten und positiven Seiten wahrnehmen. Gehe auf ihre emotional bedeutsamen Ziele und Werte ein, auch auf Bedürfnisse nach Selbstwerterhöhung und Lustgewinn.

 

Was ist gut für das Therapiebündnis?

Hilsenroth et al. (2007, 2012) sowie Ackerman und Hilsenroth (2003) haben eine Reihe von Therapeutenvariablen zusammengetragen, die sich in einer Vielzahl von Studien als signifikant förderlich oder schädlich für das therapeutische Bündnis erwiesen haben.

 

Empfehlungen für die Initialphase von Psychotherapien

Aktivitäten, die signifikant mit einem positiven Therapiebündnis korrelieren:

  • Führe längere, emotional beteiligte und in die Tiefe gehende Interviews.
  • Zeige eine Haltung der Zusammenarbeit mit den Patient:innen.
  • Sprich über emotionale und verstandesmäßige Inhalte.
  • Nutze eine klare, konkrete und erlebensnahe Sprache.
  • Nutze offene Fragen auf das, was von den Patient:innen vorgebracht wird.
  • Gib den Patient:innen Raum, über für sie vorrangige Themen zu sprechen.
  • Exploriere diese Themen aktiv.
  • Schaffe Klarheit über die Ursache des Leidens der Patient:innen.
  • Identifiziere Beziehungsthemen, die sich wiederholen.
  • Unterstütze die Patient:innen dabei, ihre Gefühle zu erleben.
  • Erkunde unangenehme Gefühle.
  • Ermögliche den Patient:innen neue Einsichten.
  • Entwickle gemeinsam mit den Patient:innen individuelle Behandlungsziele und Aufgaben.
  • Fördere die Motivation der Patient:innen, sich zu verändern.

 

Empfehlungen für den Gesamtverlauf der Therapie

  • Unterstütze die Anstrengungen der Patient:innen und bejahe deren Erfahrungen.
  • Vermittle ein Gefühl von Verstanden-werden und Verbundenheit.
  • Weise auf Therapieerfolge in der Vergangenheit hin.
  • Fördere einen kooperativen Behandlungsprozess.
  • Stärke die Veränderungsmotivation.
  • Nutze offene Fragen.
  • Kläre, worunter die Patient:innen leiden.
  • Kommuniziere klar.
  • Konfrontiere in angemessener, nicht feindseliger Weise.
  • Spiegele die Aussagen und Erfahrungen der Patient:innen.
  • Unterstütze deine Patient:innen, Gefühle auszudrücken.
  • Erforsche die unterschiedlichen emotionalen Zustände der Patient:innen.
  • Zeige aktiv engagiertes Beteiligtsein.
  • Fokussiere auf das Hier und Jetzt der Therapiebeziehung.
  • Sprich über deinen eigenen Beitrag zum Prozess.
  • Gib den Patient:innen laufend Feedback.

 

Was ist schlecht für das Therapiebündnis?

Die meisten Studien, die von Hilsenroth ausgewertet wurden, stimmen darin überein, dass sich angespannte, müde, gelangweilte, defensive und anklagende Therapeut:innen, denen es zudem an Selbstvertrauen in ihre Fähigkeit mangelt, ihren Patient:innen zu helfen, und die kein ausreichend unterstützendes therapeutisches Umfeld bereitstellen, ungünstig auf das Therapiebündnis auswirken (vgl. Ackerman & Hilsenroth, 2001).

Eine Frau, deren Gesicht nur halb zu sehen ist, hat einen Arm vor sich verschränkt und hält sich mit dem anderen die Hand ans Kinn.

Für das Therapiebündnis negative Techniken

  • Unflexibles Durchführen der Behandlung
  • Überstrukturierung der Therapie
  • Versagen beim Strukturieren der Therapie
  • Unangemessene Selbstoffenbarung (Therapeut:in spricht über eigene emotionale Konflikte)
  • Unangemessener Gebrauch von Schweigen
  • Übermaß an Übertragungsdeutungen
  • Herabsetzende oder feindselige Kommunikation
  • Oberflächliche Interventionen, zu viel oberflächliche Information, welche die Kernprobleme der Therapie verfehlt

Schlecht ist auch, wenn Therapeut:innen eine Belastung oder einen Bruch im therapeutischen Bündnis gar nicht bemerken oder ungeeignet damit umgehen. Hilsenroth nennt folgende Verhaltensweisen, die einen Bruch im Therapiebündnis verschlimmern:

  • Dem Erleben der Patient:innen keine Beachtung schenken.
  • Jegliche Verantwortung für das Erleben des Bruchs im Therapiebündnis zurückweisen.
  • Therapeutische Interventionen (z. B. Übertragungsdeutungen, Fokussierung auf den Widerstand des Patienten) in dogmatischer und rigider Weise verwenden.
  • Den negativen Gefühlsausdruck der Patient:innen herunterspielen oder zurückweisen.

Wenn Patient:innen vor oder nach jeder Sitzung einen kurzen Fragebogen für ihre Therapeut:innen ausfüllen, kann die Behandlungsstrategie korrigiert und angepasst werden. Die schlechten Therapeut:innen können dadurch fast so gut werden wie die durchschnittlichen Therapeut:innen, und die durchschnittlichen Therapeut:innen werden fast so gut wie die besten Therapeut:innen (Okiishi et al., 2006).

Dieser Artikel kann natürlich nur einen kleinen Ausschnitt aus den vielen wertvollen Empfehlungen, die sich aus der Forschung für die psychotherapeutische Praxis ergeben, beleuchten. Weiterführende Informationen findest du u. a. im folgenden Lehrbuch (erschienen im Deutschen Psychologen Verlag, zu dem auch psylife gehört):

Zum Weiterlesen

Boessmann, U. & Remmers, A. (2020). Praktischer Leitfaden der tiefenpsychologisch fundierten Richtlinientherapie. Wissenschaftliche Grundlagen, Psychodynamische Grundbegriffe, Diagnostik und Therapietechniken. Berlin: Deutscher Psychologen Verlag.

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