Wie du die Schattenseiten der Selbstständigkeit zum Wachsen nutzt

Neben einem frisch eingepflanzten Setzling liegt eine Harke in der Erde.

Auf Social Media wird die Selbständigkeit oft als Heiliger Gral verkauft: Maximale Freiheit bei maximaler Selbstverwirklichung - und obendrein sei es total einfach, als Coach:in kontinuierlich 10k im Monat zu verdienen. Selten werden die Schattenseiten der Selbständigkeit beleuchtet. Das holen wir an dieser Stelle nach. Nicht, weil ich dich demotivieren will. Im Gegenteil: Ich behaupte, wenn du eine aufgeklärte und wache Vorstellung von der Selbständigkeit hast, kann dich das sogar motivieren und Enttäuschungen vorbeugen. 

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Ich liebe es selbständig und meine eigene Chefin zu sein. Aber ich will auch ehrlich mit dir sein: In den letzten neun Jahren gab es Phasen, da habe ich mich sehr herausgefordert gefühlt. Es braucht Disziplin, Selbstmitgefühl und ein unterstützendes Umfeld, um daran nicht zu verzweifeln, sondern zu wachsen.

Jede Schattenseite ist in Wahrheit ein Wachstumsfeld

Weil eine Schattenseite das Potenzial für dein inneres und äußeres Wachstum bereithält, möchte ich sie im Folgenden als Wachstumsfeld betrachten. Wir werden vier verschiedene von diesen Wachstumsfeldern näher beleuchten.

Wachstumsfeld Nummer 1: Du bist auf dich selbst angewiesen 

Als selbständige:r Coach:in bist du auf dich selbst angewiesen: Du bist gefordert, dich selbst zu organisieren, täglich zu motivieren und alle Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Das gilt für die großen Entscheidungen (wie finanzieller und rechtlicher Art) genauso wie für die kleineren (z. B. die Frage, welche Marketingkanäle die richtigen für dich sind). 

Natürlich kannst du Menschen um Rat fragen, aber letztendlich trägst du die Verantwortung für die Konsequenzen. Es gibt keine Chefin und keinen Vorgesetzten, die oder der etwas davon auffängt.

Du bist darüber hinaus dafür verantwortlich, dass der Laden läuft. Das ist am Anfang eine komplett neue Aufgabe, die überfordern kann. Darum ist es so wichtig, dich intensiv mit den Themen Akquise und Marketing zu beschäftigen und dich unperfekt sichtbar zu machen, anstatt zu glauben, du seist noch nicht gut genug.  

Man sieht die Hände zweier Menschen, die sich an einem Schreibtisch mit Laptops sitzend eine Visitenkarte überreichen.

Komplett in die Selbstverantwortung zu gehen, ist für dich als Selbständige:r wichtig. Das bedeutet meiner Meinung nach, dich auch für deine Gedanken und Gefühle verantwortlich zu fühlen. Ich fahre seit Jahren mit dieser Einstellung sehr gut: Meine Gedanken sind meine Gedanken und meine Gefühle sind meine Gefühle. Ich kann meine Gedanken und Gefühle beeinflussen – klar, mal mehr und mal weniger, schließlich bin ich ein Mensch –, aber unabhängig davon, gebe ich niemandem, erst recht nicht meinen Kund:innen, die Schuld an meiner Befindlichkeit. Das bringt Ruhe und Harmonie in mich und damit auch in meine Selbständigkeit. 

Wachstumsfeld Nummer 2: 100 Bälle in der Luft und nur zwei Hände 

Als Selbständige:r hast du sehr viele unterschiedliche Aufgaben. Bei den meisten fängst du vom Wissensstand her wahrscheinlich bei null an und arbeitest dich parallel in mehrere Bereiche ein.

Da kann schnell das Gefühl aufkommen, dass 100 Bälle umherschwirren, die du mit deinen zwei Händen gar nicht in den Griff bekommen kannst. Das ist verständlich und es braucht Zeit und Durchhaltevermögen, um ein Gefühl von Kontrolle über die vielen unterschiedlichen Aufgaben zu bekommen.

Lass uns ansehen, welche Aufgabenbereiche eine Selbständigkeit als Coach:in umfasst:

  • Dein Können als Coach:in verbessern und darin souverän werden: wichtig für dein Selbstbewusstsein und deine Überzeugungskraft im Kontakt mit potenziellen Kund:innen 
  • Steuerliches: von der Anmeldung deiner Selbständigkeit, über die Entscheidung im Hinblick auf die Kleinunternehmerregelung bis hin zu Steuervorauszahlungen etc. 
  • Rechtliches: Versicherungen, Rechte und Pflichten als Selbständig:er 
  • Finanzielles: sinnvolle Kontenstruktur, Buchhaltung, Preisfindung, Vorsorge und Co. 
  • Positionierung am Markt: Wer ist deine Zielgruppe? Welche Angebote hast du für sie? Was unterscheidet dich von anderen Coach:innen? etc. 
  • Verkauf, Akquise & Marketing: zu lernen, aktiv über deine Angebote zu sprechen, in Kennenlerngesprächen zu überzeugen, dich sichtbar zu machen und ggf. Social Media zu nutzen, um deine Arbeit bekannt zu machen etc. 
  • Umgang mit Kund:innen: auch in schwierigen Situationen konstruktiv und professionell bleiben, Grenzen setzen und in Führung gehen etc. 
  • Netzwerken: neue, relevante Kontakte aufbauen und pflegen 
  • Selbstführung: Arbeitsroutinen entwickeln, eigenständige Urlaubsplanung, Umgang mit Stress etc. 

Mein Tipp: Du darfst nachsichtig mit dir sein, um in deinem Tempo in die zahlreichen Aufgaben hineinzuwachsen. Für mich war die nebenberufliche Gründung der perfekte Rahmen dafür: Ich hatte dreieinhalb Jahre lang die Sicherheit meiner Teilzeit-Anstellung und konnte mich Stück für Stück in all die neuen Themen und Aufgaben reinfuchsen. 

Sich Zeit zu lassen ist ein besonders wichtiger Punkt, denn meiner Beobachtung nach braucht die Mehrheit der Coach:innen mehrere Jahre (!), um sich eine tragfähige und profitable Selbständigkeit aufzubauen.  

Wachstumsfeld Nummer 3: Allein auf weiter Flur 

Wer als Coach:in den Schritt in die Selbständigkeit wagt, tut dies in der Regel als Solo-Selbständige:r. Das bedeutet, dass du im Arbeitsalltag häufig allein bist und keine Kolleg:innen um dich hast. An diesem Punkt kann die Freiheit und Unabhängigkeit der Selbständigkeit kippen. Verständlich ist es, dass so manch Selbständige:r über Einsamkeit im Homeoffice klagt und sich überfordert damit fühlt, allen Aufgaben allein gerecht zu werden. 

Zwei Frauen sitzen in einem Café und unterhalten sich.

Ich kenne das Gefühl, wenn mir zu Hause an meinem Schreibtisch die Decke auf den Kopf fällt. Es ist wichtig, auch an dieser Stelle die Verantwortung für die Gestaltung deines Arbeitsumfelds zu übernehmen und aktiv zu werden (siehe Wachstumsfeld Nummer 1).

Folgende Dinge kannst du tun, um dich verbunden und unterstützt zu fühlen: 

  • Netzwerke aktiv: Als Selbständige:r brauchst du Menschen, die du niedrigschwellig um Hilfe bitten und um Rat fragen kannst, wenn du allein nicht weiterkommst. Das können Freund:innen und Familienmitglieder sein, aber viel wichtiger ist es meiner Erfahrung nach, darüber hinaus auch neue Kontakte zu knüpfen, die dir neue Ressourcen bringen. Über Netzwerke für (selbständige) Frauen (du findest sie einfach über Google) bin ich z. B. Teil verschiedener WhatsApp-Gruppen, in denen ich Fragen stellen kann und Unterstützung bekomme. Das ist Gold wert! Darüber hinaus gibt es viele Veranstaltungen für Selbständige, sicherlich auch in deiner Stadt. Du findest sie mit ein paar Klicks online, z. B. über eventbrite.com oder meetup.com 
  • Ab in den Coworking-Space: Ein Tapetenwechsel kann Wunder bewirken und du kommst unter Menschen. Manche Selbständige mieten sich dauerhaft in einen Coworking-Space ein, manche sind tageweise dort. Erlaubt ist, was für dich funktioniert. 
  • Online-Coworking: Seit 1,5 Jahren treffe ich mich mehrmals die Woche mit einer Freundin und Kollegin zum Online-Coworken. Wir loggen uns in Zoom ein, plaudern zum Start in den Arbeitstag, besprechen Herausforderungen, tauschen Erfahrungen aus und genießen das gute Gefühl, in Gemeinschaft zu sein, denn das Zoomfenster ist die ganze Zeit über an. Mein persönlicher Gamechanger und damit sehr empfehlenswert! 
  • Treffen mit gleichgesinnten Selbständigen: Ca. alle zwei Wochen treffe ich mich frühmorgens mit einer Coaching-Kollegin zum Kaffee und Austausch. Wir starten gemeinsam in den Tag und motivieren uns so für alles, was die Woche über ansteht. Auch solche Routinen kann ich nur empfehlen. 

Du siehst, du kannst dir als Selbständige:r deine Arbeit gestalten, wie du willst und wie es dir guttut. Probiere dich aus und finde die für dich richtigen Lösungen, und wichtig: Raus aus dem Homeoffice und unter die Leute gemischt

Wachstumsfeld Nummer 4: Ein Gefühl von Sicherheit finden 

Selbständigkeit wird oft mit Unsicherheit assoziiert: Niemand zahlt dir automatisch deinen Lohn fort, wenn du krank bist (außer du tust es selbst), und niemand übernimmt für dich die Altersvorsorge. Gleichzeitig bist du in keine größere Unternehmensstruktur eingebunden, sondern auf dich gestellt. Das kann verunsichern.  

Eine junge Frau sitzt an einem Tisch und blättert einen Aktenordner durch.

Ich vergleiche die Anstellung mit der Selbständigkeit gerne so: 

Angestellt zu sein, ist wie eine Pflanze in einem Gewächshaus zu sein: Das Klima und die Wetterbedingungen sind konstant, die Bewässerung ist gesichert, es gibt ein festes Dach über dem Kopf und Schutz vor allerlei Unwägbarkeiten.

Als Selbständige:r bist du eine Pflanze draußen in der freien Natur: Du bekommst das ganze Wetterspektrum ab, von praller Sonne über angenehmen Nieselregen bis hin zu Dürre und Hagel. Du bist gefordert, dir das Dach über deinem Kopf selbst zu bauen, vorausgesetzt, du willst überhaupt ein Dach. Vielleicht ist dir ein Sonnensegel lieber?

Was kannst du also tun?

Finanzielle Sicherheit kannst du herstellen, indem du... 

  • Rücklagen für Notfälle bildest, 
  • deine Einnahmen und Ausgaben im Blick behältst, 
  • dir regelmäßig einen Lohn auszahlst, statt zu schauen, was am Monatsende an Geld übrig ist, 
  • eine clevere Kontenstruktur aufbaust, die dir Überblick und Klarheit verschafft, 
  • dich um deine steuerlichen Pflichten kümmerst und dafür ausreichend und rechtzeitig Geld beiseite legst, 
  • dich freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versicherst (die Agentur für Arbeit hält dazu alle Infos bereit), 
  • dich um deine Altersvorsorge kümmerst, 
  • kontinuierlich Akquise betreibst und 
  • einen richtig guten Job mit deinen Kund:innen machst.

Abgesehen von der finanziellen Sicherheit ist deine innere Sicherheit ein wertvolles Gut, an dem es sich lohnt zu arbeiten. Denn egal, wie gut du dich äußerlich absicherst, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es trotzdem Phasen in deiner Selbständigkeit geben wird, die dich emotional herausfordern. Je mehr du in dir ruhst, desto leichter kannst du sie durchlaufen und daraus sogar gestärkt hervorgehen.

Darum ist es aus meiner Sicht vor allem als Selbständige:r unglaublich wichtig, für innere Stabilität zu sorgen.

Innere Stabilität kann z. B. bedeuten, dass du... 

  • an deinem Mindset und deinen Glaubenssätzen arbeitest, 
  • dich mit vermeintlich negativen Gefühlen auseinandersetzt, 
  • nicht förderliche Handlungsmuster bearbeitest, 
  • alte Traumata in die Heilung bringst, 
  • regelmäßig Selbstfürsorge betreibst, 
  • dein Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen stärkst, 
  • dein Vertrauen in das Leben/ das Universum/ wie auch immer du es nennen möchtest, stärkst. 

Je sicherer du dich mit dir selbst, deiner Arbeit und dem Leben fühlst, desto sicherer wird sich letztlich auch deine Selbständigkeit anfühlen. Und je sicherer sich deine Selbständigkeit anfühlt, umso leichter kannst du wiederum deinen Job machen, weil du weißt, du hast dich selbst, andere Menschen und das Leben an deiner Seite. 

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