Die Kraft der Stille: Schweigen für mehr Achtsamkeit im Berufsalltag

Eine junge Frau mit blonden langen Haaren und weißer Jacke wird von hinten gezeigt. Im Hintergrund ist ein grau bewölkter Himmel zu sehen.

Als Therapeut:innen und Coach:innen sind wir täglich mit den Sorgen und Problemen unserer Klient:innen konfrontiert. Wir sind für andere da, hören empathisch zu, unterstützen, ermutigen und reflektieren. Oft vergessen wir, dass wir auch für uns selbst sorgen müssen, um unser Wohlbefinden zu erhalten. In diesem Artikel teile ich mit dir meine Erkenntnisse und persönlichen Erfahrungen aus der Welt der Silent Retreats. Und wir sprechen darüber, wie wir als Expert:innen Momente der Achtsamkeit in unseren Alltag integrieren und die Kraft der Stille nutzen können, um unser mentales Wohlbefinden zu fördern.

Friendly Reminder: Gehe gut mit dir selbst um - ein Leben lang. Denn nur dann kannst du auch gut für andere da sein, und ganz ehrlich: Nur dann macht es auch Spaß! Für uns als Expert:innen ist Achtsamkeit ein Bestandteil der professionellen Arbeit, aber wie steht es um unsere eigene Achtsamkeit?

Der Alltag in unserer Arbeit geht mit verschiedenen Herausforderungen einher. Intensive Arbeitszeiten, das Anhören persönlicher Geschichten, die Verantwortung für das Wohl anderer Menschen - all diese Faktoren können zu emotionaler und mentaler Erschöpfung führen. Es liegt also auf der Hand, dass wir uns Zeit nehmen sollten, um auf uns selbst zu achten und unsere eigenen Ressourcen zu pflegen.

 

Von äußerer Ruhe zu innerer Ruhe

Durch das bewusste Erleben von Stille können wir uns von äußeren Einflüssen lösen und eine innere Gelassenheit und Klarheit entwickeln. Es hilft uns, in herausfordernden Situationen ruhiger und gelassener zu reagieren, wie ich selbst zuletzt in einem Silent Retreat in den spanischen Bergen erfahren durfte. Knackige Kälte in der Nacht und wohltuende Sonne am Tag. Orangen- und Olivenbäume, Natur, soweit das Auge reicht. Schweigen und Stille. Eine Stille, so wie ich sie aus der Stadt nicht kenne.

Irgendwann am dritten Tag fiel es mir auf - ich spürte eine so tiefe Entspannung und innere Ruhe, so nah, wie es an „inneren Frieden” kommen konnte. Dankbarkeit durchströmte mich, dass ich das erleben durfte. Eine neue Erfahrung, die ich in meinen Alltag mitnehmen wollte.

Selbstreflexion und Selbstfürsorge: Schweigen erleichtert es - um nicht zu sagen, ermöglicht es erst -, uns auf uns selbst zu konzentrieren und uns mit unseren eigenen Bedürfnissen und Emotionen zu verbinden. Durch das regelmäßige Schweigen können wir einen Raum schaffen, um uns selbst besser kennenzulernen, unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu erkennen und aktiv auf unsere Selbstfürsorge zu achten.

Der Weg zu allem Großen geht durch die Stille

- Friedrich Nietzsche

Zu schweigen ermöglicht uns, Raum zu bekommen, uns von äußeren Reizen, von Erwartungen und Urteilen zu lösen, und dann kommt da diese innere Gelassenheit (egal wie schmerzhaft kalt das Wasser in den Bergen ist, wie umständlich und weit weg das Plumpsklo ist, egal, dass sechs Menschen mit dir auf engem Raum schlafen, egal, dass dein Handy keinen Empfang hat, egal, dass du gerade nicht informiert bist, was in der Welt da draußen passiert). Die innere Gelassenheit, von der man liest, die irgendwie aber auch ein Mythos zu sein scheint. Da blinzelte sie mich an.

 

5 Tipps und Inspiration für mehr Stille und Achtsamkeit im Alltag

Die Königsdisziplin und größte Kunst ist es, Stille und Achtsamkeit im Alltag unterzubringen. Nach und nach entwickeln wir eine achtsame Haltung, die uns zur zweiten Natur wird. Es bleibt dennoch nicht aus, dass wir sie weiterhin pflegen.

 

1) Finde deine natürlichen Schweige-Momente im Alltag

Im Alltag lassen sich einige versteckte Momente des Schweigens finden. Wähle deine persönlichen, achtsamen Schweige-Momente, zu Hause im Haushalt, in Situationen des Wartens und/oder in der Bewegung.

Zu Hause und im Haushalt

Eine Tätigkeit zu Hause, die nicht viel kognitive Kapazität braucht, die automatisch verläuft, vielleicht sogar eine unliebsame Tätigkeit im Haushalt, die dich ohnehin nervt: Das könnte deine Achtsamkeits-Tätigkeit im Alltag werden. Ganz nebenbei wertet es deine Tätigkeit für dich auf. Den Boden wischen, Zähne putzen, Geschirr spülen per Hand, was fällt dir noch ein?

Eine Person lehnt an einem Holzgeländer, mutmaßlich eines Balkons, und schaut hinab auf Bäume. Man sieht nur Arme und Oberkörper der Person.

Gelegenheiten des Wartens

Welche Momente machen dir schlechte Laune? An der Ampel warten, in der Schlange an der Kasse stehen, die Geräusche in der Bahn? Bingo, das ist er, dein achtsamer Moment, deine Gelegenheit.

Bewegte Achtsamkeit: Was wirklich für dich funktioniert

Es muss nicht die Stunde Achtsamkeitspraxis im Schneidersitz sein! Viele lieben Bewegung, Laufen, Spazieren, sei es Rollschuhfahren, Bouldern und Klettern, Skateboarden oder Yoga. Die Liste ist lang. Finde die Bewegung, die dich in den Moment bringt und für dich funktioniert!

 

2) Gib Schweigen einen festen Platz

Dein Lieblingsort in der Wohnung? Vielleicht ist es die Fensterbank, auf der als erstes die Sonne ums Eck kommt. Vielleicht ist es deine Terrasse, deine Yogamatte mit Notizbuch, Lampe, Kerze. Erschaffe dir deinen Wohlfühlort in deinem Zuhause, so, wie er dir gefällt. Dieser Ort wird dich an deine Achtsamkeitspraxis erinnern und darf deine kleine Schweige-Oase sein.

 

3) Mindfulness-Klassiker

Ebenso lassen sich Methoden und Übungen aus der Achtsamkeit zu Momenten des Schweigens in den Alltag integrieren.

Bodyscan zum Einschlafen

Beobachte dabei systematisch und schweigend, was an verschiedenen Stellen im Körper gerade wahrzunehmen ist, ohne dies zu bewerten.

Atem als Anker

Du kannst deinen Atem als Anker nutzen, um immer wieder zu dir zurückzukommen, die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken, um präsent zu sein und ins Schweigen zu kommen.

Kurzer Körper-Check-in

Kurz einchecken und dich fragen: Was macht der Herzschlag? Was macht die Atmung? Was macht die Muskelanspannung? Der Fokus nach innen gibt dir ganz natürlich die Gelegenheit im Schweigen und achtsam zu sein.

Sonnenaufgang über den Bergen, ein Mann ist in der Ferne an einem Berghang zu sehen, im Vordergrund sind rosa-weiße Blumen.

4) Silent Walk

Das Schönste, was du tun kannst, um dein persönliches Silent Retreat zu machen, ist ein ausgiebiger Spaziergang oder eine Wanderung in der Natur. Allein, zu zweit mit Eingeweihten oder auch in der Gruppe. Das war mein absolutes Highlight im Silent Retreat: Eine Berg-Wanderung in der Gruppe, zwischen uns 2-3 Meter Abstand, sodass man sich keine Gedanken um den Weg machen braucht und sehen konnte, wann es um die nächste Ecke geht. Ein Spaziergang in Schweigen, bei dem jeder „mit sich” geht und doch alle zusammen.

 

5) Aktives Zuhören

Das aktive Zuhören kann nicht nur dazu beitragen, eine positive therapeutische Beziehung aufzubauen und ist somit nicht nur eine wichtige Fähigkeit, um das Wohlbefinden der Klient:innen zu fördern, sondern gleichzeitig auch eine Möglichkeit, Achtsamkeit im Alltag zu leben, den eigenen Geist zu beruhigen und das eigene Wohlbefinden zu fördern. Denn um aktiv zuhören zu können, müssen wir präsent und fokussiert sein. Wir lenken die Aufmerksamkeit bewusst auf das Gegenüber.

 

Fazit

Zu schweigen und ein Silent Retreat zu erfahren, ist definitiv lohnend. Die Stille ist nicht nur die Abwesenheit von Geräuschen, sondern ein Zustand, der uns inneren Frieden und Gelassenheit, Klarheit und Inspiration schenken kann. Ein Schweige-Retreat (regelmäßig) zu machen ist die Erfahrung wert, wenngleich es auch gut vorbereitet sein will. Die Kunst ist aber, kleine Inseln der Stille mit in den Alltag einzubauen. Ich freue mich, wenn ich ein paar Impulse geben konnte, Achtsamkeit ins Leben zu bringen.