Let’s talk about Therapeut:innengesundheit: Ein erfüllender Beruf mit Risiken

Eine Hand hält ein Papier, auf dem BALANCE und BURNOUT steht und BALANCE abgehakt wurde, BURNOUT nicht

Hallo, ich heiße Barbara, ich bin Psychologische Psychotherapeutin und bin ausgebrannt. Kaum einer spricht über psychische Belastungen in sozialen Berufen, doch Studien zeigen eindeutig ein erhöhtes Burnoutrisiko. In vielen Situationen bestärken und ermutigen wir unsere Klient:innen, selbstfürsorglicher mit sich umzugehen. Aber wie sieht das eigentlich bei uns Helfenden selbst aus? 

Eigentlich weißt du, was gut für dich wäre, aber du tust es nicht. Zu wenig Zeit, keine Energie, ein schlechtes Gewissen… Daher möchte ich hier mit dir offen über die mentale Gesundheit von Therapeut:innen sowie die Stolpersteine im Berufsalltag sprechen und wie du selbstfürsorglicher mit dir umgehen kannst. 

Um deine Selbstfürsorge zu verbessern, ist es zunächst wichtig zu verstehen, welche Belastungsfaktoren und Stolpersteine es in unserem Beruf gibt. Die (mentale) Gesundheit von Therapeut:innen findet allgemein und besonders in Deutschland recht wenig Beachtung und das, obwohl die wenigen Studien, die es zu dem Thema überhaupt gibt, zeigen, dass die psychische Verfassung von Psychotherapeut:innen nicht ideal ist. Zudem wird deutlich, dass Personen aus sozialen Berufen besonders burnoutgefährdet sind. Unser Beruf kann zutiefst erfüllend und gleichzeitig auch sehr herausfordernd sein. Zwischen Sitzungen, Organisation und Dokumentationen bleibt oft wenig Raum für uns selbst. Hinzu kommen noch berufliche und private Belastungsfaktoren. Doch wie können wir anderen helfen, wenn wir selbst am Limit sind? In einer Studie konnte gezeigt werden, dass das Wohlbefinden der Therapeut:innen auch den Patient:innen zugutekommt (Frank, 2000). Dies hat nämlich Einfluss auf den Therapieerfolg, die Beziehungsgestaltung und fördert die Ressourcenaktivierung. Na, wenn das kein gutes Argument für Selbstfürsorge ist. Daher priorisiere dich selbst und deine Selbstfürsorge wieder mehr in deinem (Berufs-)Alltag.  

Stolpersteine und Hindernisse 

In einem Review von Van Hoy und Rzeszutek (2022) wird deutlich, dass die Burnout-Gefährdung von Therapeut:innen sowie das Wohlbefinden mit einer Vielzahl von Faktoren zusammenhängen. Darunter soziodemographische (z. B. Alter, Geschlecht) und intrapersonelle Faktoren (z. B. Coping-Strategien, Persönlichkeitsmerkmale) sowie Arbeitsbedingungen (z. B. Unterstützung in Form von Supervision oder Therapie). 

In meiner Zeit im Gesundheitswesen habe ich hautnah erlebt, wie die Stolpersteine und der ständige Spagat zwischen dem Wohlergehen der Patient:innen und der eigenen Selbstfürsorge an die Substanz gehen können. Besonders dann, wenn Überbelastung normalisiert wird und Unterstützung ausbleibt. Und genau deshalb ist die mentale Gesundheit von Therapeut:innen mein Herzensthema geworden. Ich möchte hiermit das Tabu brechen und offen über die Risiken und Nebenwirkungen unseres Berufs sprechen. In unserem Beruf sind wir nicht gesünder oder weniger gesund als andere. Wir sind auch nicht durch unser Fachwissen geschützter. Auch wir können uns belastet, überfordert und gestresst fühlen.

Eine Frau greift sich ein Taschentuch aus einer Box, die ihr jemand anderes hinhält.

Studien zeigen, dass wir gefährdet sind an Depressionen, Burnout, Mitgefühlsmüdigkeit, Ängsten, Substanzmissbrauch und Suizidalität zu erkranken. Ca. 10 % der amerikanischen Psychotherapeut:innen leiden an einer psychischen Störung (Guy, 1987). Also lasst uns offen darüber reden.  

Ich selbst bin langsam ausgebrannt und habe dies erst sehr spät bemerkt. Zu sehr war ich damit beschäftigt mich anzupassen, eine gute Therapeutin zu sein und mitzuhalten. Meine erlebten Störgefühle und späteren Erschöpfungszustände habe ich als Defizite und Schwäche an mir wahrgenommen, denn schließlich haben die anderen auch in dem System funktioniert. Lange habe ich an mir gezweifelt, mich nicht richtig gefühlt und ich habe den Kontakt zu mir verloren. Zeitweise habe ich nicht mehr gewusst, was meine Bedürfnisse überhaupt sind, Grenzen habe ich mir keine erlaubt. Daher fiel es mir auch immer schwerer, selbstfürsorglich zu sein. Für mich ist es ein erster wichtiger Schritt, mögliche Stolpersteine zu kennen. 

Belastungsfaktoren  

(angelehnt an Rehan-Sommer & Kämmerer, 2019): 

  1. Die therapeutische Beziehung: Wir sind täglich mit den Problemen und dem Leid anderer beschäftigt. Unsere Aufmerksamkeit und auch unsere emotionalen und kognitiven Kapazitäten sind oft bei anderen. Das kann dazu führen, dass wir den Kontakt zu uns verlieren.
  2. Klient:innen: Schwierige/belastende Themen, keine Motivation, schwieriges Interaktionsverhalten etc. 
  3. Arbeitsbedingungen: Hoher Druck, Zeitknappheit, Teamdynamik, Personalmangel, hoher und ständig wechselnder Bürokratieaufwand etc. Zudem wird im Gesundheitssystem Überbelastung häufig normalisiert, was dazu verleitet, die Fehler bei sich selbst zu suchen. 
  4. Belastungen und Probleme aus dem Privatleben: Wir sind auch Menschen mit eigenen Themen und Vulnerabilitäten. Zudem leben wir in einer Welt, in der sich die allgewärtigen Belastungsfaktoren erhöht haben: Nachwirkungen der Pandemie, politische Konflikte, Klimawandel, Beschleunigung in allen Lebensbereichen, Rollenkonflikte etc. Auch dafür sollten noch Zeit und Kapazitäten zur Verfügung stehen. 
  5. Persönliche Eigenschaften und Merkmale: Überhöhte Ansprüche, Hang zur Selbstaufopferung, Perfektionismus, hohe Empathiefähigkeit, Leistungsfähigkeit. 
  6. Beschleunigung: Immer neue Therapiemethoden und differenziertere Diagnoseverfahren können Selbstzweifel, Druck und Versagensängste auslösen. 
  7. Scham: als Helfer:in selbst Hilfe zu brauchen. Dies führt dann dazu, Warnzeichen nicht ernst zu nehmen. 
Eine Frau liegt zusammengekauert auf einem Sofa und hält ihren Hund im Arm

Risiken und Nebenwirkungen 

Im weiteren Verlauf mit der Beschäftigung mit dem Thema Therapeut:innengesundheit bin ich dann auf wichtige Informationen gestoßen, die ich vorher nicht kannte. Ich erinnere mich, dass wir ein Wochenendseminar während der Verhaltenstherapieausbildung zum Thema Selbstfürsorge hatten. Aber das war es dann auch schon. Wir bekommen so viel Wissen für unsere Arbeit mit Klient:innen an die Hand, aber lernen wenig darüber, wie wir uns gut um uns selbst kümmern. Daher habe ich hier weitere wichtige Informationen, welche Risiken und Nebenwirkungen unser Beruf mit sich bringen kann: 

Mitgefühlsmüdigkeit ist eine psychische Belastung. Das Leiden kann nicht mehr nachgefühlt werden, sondern wird beginnend innerlich abgewertet (Rohwetter, 2019). Der Antrieb zu helfen oder das Leid zu lindern fehlt. Faktoren wie ungerechte Bezahlung, fehlende gesellschaftliche Anerkennung, höhere Arbeitsbelastungen sowie ein höher belastetes Klientel können hilflos, ärgerlich und weniger empathisch machen. Auch solche Gefühle sollten wir uns erlauben können.  

Moralische Verletzung ist eine weitere psychische Belastung. Sie resultiert aus einer Diskrepanz zwischen berufsethischen Idealen auf der einen Seite und den systemisch vorgegebenen Möglichkeiten auf der anderen Seite. Das bedeutet, dass du aufgrund der Rahmenbedingungen unfähig bist, deinen Standards entsprechend gute, gegenüber den Patient:innen qualitative Arbeit zu leisten. Und das hat einen großen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden der Behandler:innen (Talbot und Dean, 2018). 

Stress entsteht dann, wenn unsere eingeschätzten Ressourcen überstiegen werden und unser Wohlbefinden gefährdet wird (Lazerus und Folkmann, 1984). Ein erweitertes Modell zieht noch andere wichtige Faktoren hinzu. Dabei ist es zudem noch wichtig, ob die Aufgabe als sinnvoll und nützlich erlebt und meine Anstrengungen finanziell angemessen entlohnt, anerkannt und wertgeschätzt werden. Demnach wird ein hoher Arbeitseinsatz im Beruf als umso belastender erlebt, je weniger er mit angemessenen Belohnungen verbunden ist. 

Rückblickend habe ich all das erlebt und ich fühlte mich mit diesem Wissen entlastet und erleichtert. Alles ergab einen Sinn und mir wurde klar, dass es nicht mein Fehler war, dass ich ausgebrannt bin. Ich konnte meine Werte und Rolle als Therapeutin nicht leben. Ich fühlte mich durch das System eingeschnürt, wie in einem engen Korsett. Einmal sagte ein Supervisor in unserem Team, dass wir unsere Ansprüche runterschrauben müssten, um unser Wohlergehen zu sichern. Und eine Kollegin fragte daraufhin: „Wie weit denn noch?“ Und ich habe diese Aussage gefeiert, weil sie mir aus der Seele gesprochen hat. Heute weiß ich, dass diese Vorgehensweise auch nicht funktionieren würde. 

Über die Jahre habe ich mich so sehr angepasst an ein System, das nicht zu mir passt, dass ich nicht bemerkt habe, wie sehr es mir schadet. Wie sieht es bei dir aus? Kennst du deine Werte und dein Warum und lebst du diese schon? 

Konkrete Impulse für mehr Gesundheit und Selbstfürsorge im Praxisalltag erwarten dich im zweiten Teil der Artikelserie. 

Quellenangaben: 

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